Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
17. Sitzung vom 10. November 1989
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(A) Präsident Wohlrabe; Das Wort hat der Abgeordnete Diep
gen!
[Zurufe von den REP: Hallo, hallo! -
Kern (SPD): Einer dafür, einer dagegen!]
- ich bin dahin gehend belehrt worden, daß er es darf!
[Dr. Köppl (AL); Die Geschäftsordnung!]
Diepgen (CDU): Meine Damen und Herren! Wenn es jetzt
eine Geschäftsordnungsdebatte geben sollte, werde ich auf
meinen Redebeitrag verzichten und es außerhalb des Parla
ments sagen.
[Beifall von der CDU]
Ob das der Würde des Hauses entspricht - da mache ich ein
Fragezeichen. - Herr Dr. Staffelt, soll ich?
[Dr. Staffelt (SPD): Gerne!]
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich nur
mit einem Punkt der eben vorgetragenen Argumentation ausein
andersetzen. Worum geht es im Augenblick?
[Zurufe von der SPD und der AL]
Geht es um Bevormundung der Menschen? Geht es um Bevor
mundung der Menschen in der DDR, wenn es hier heißt:
Wir wollen hinwirken auf freie Selbstbestimmung und auf
die Verwirklichung von Einheit und Freiheit in freier Selbst
bestimmung.
Doch wahrlich nicht! Ich zitiere das hier, was damals Herr Brandt
auch formuliert hat und was Einigkeit, eine einheitliche Position
im Deutschen Bundestag gewesen ist. Es geht hier um etwas
anderes, und das bedaure ich. Deswegen ist es wichtig, daß
jeder bei der Abstimmung hier im Haus sich das vor Augen hält.
Es geht nicht nur darum, was andere wollen, die selbstverständ
lich ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung verwirklichen sollen
(B) und sich gegebenenfalls auch gegen Einheit entscheiden kön
nen, sondern hier und heute geht es darum, ob Sie die Einheit
der Stadt, ob Sie die Einheit Deutschlands wollen oder nicht.
Das ist der Unterschied.
[Beifall bei der CDU und den REP -
Kern (SPD): Welche Einheit?]
Wenn Sie jetzt von der bisherigen Formulierung abweichen,
dann geben Sie die Zielsetzung der Einheit insgesamt in
Deutschland auf. Das ist die Feststellung, die ich treffen muß.
[Starker Beifall bei der CDU und den REP]
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat jetzt der Kollege Pagel
von der Fraktion den REP!
Pagel (REP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In
der Fraktion der Republikaner hat ebenfalls eine sehr intensive
Diskussion stattgefunden über den hier angestrebten gemein
samen Antrag aller vier Fraktionen. Wir waren bereit, trotz einiger
Bedenken auch unsererseits, diesem gemeinsamen Antrag zuzu
stimmen, weil er ein Bekenntnis aller Parlamentsparteien zu dem
Ziel der deutschen Einheit enthält.
[Zurufe von der SPD]
Wir haben weitergehende Vorstellungen. Wir wollten in einem
Dringlichkeitsantrag zur heutigen Sitzung konkrete Schritte für
einen Weg zur deutschen Einheit Vorschlägen, denn ein solcher
Prozeß muß vorbereitet werden. Wir wollten auch Vorschlägen,
daß eine gemeinsame Sitzung des Abgeordnetenhauses
von Berlin mit dem Stadtparlament von Ost-Berlin stattfindet.
[Edel (SPD), zum John-F.-Kennedy-Platz deutend,
von wo Pfiffe zu hören sind: Hören Sie das Volk!]
Wir wollten auch, daß eine Sitzung des Deutschen Bundesta
ges nach vielen Jahren wieder in Berlin, in der Hauptstadt
Deutschlands, durchgeführt wird. Trotz dieser Bedenken, daß
uns dieser Antrag nicht weit genug ging, haben wir gesagt; Wir (C)
sind bereit zuzustimmen,
[Kern (SPD), zum John-F.-Kennedy-Platz deutend,
von wo Pfiffe zu hören sind: Da ist die Abstimmung!]
denn hier bekennen sich - oder wollten sich nach der Papier
form - auch SPD und AL zum Ziel der Einheit. Dies ist jetzt - ich
nehme einmal an, wieder durch den Druck der Alternativen Liste
- den Sozialdemokraten unmöglich geworden, wenn sie nicht
sogar - und dafür sprechen ja sehr viele Äußerungen von Herrn
Momper - dieses Ziel längst aufgegeben haben.
Ich sage Ihnen heute eines; Sie haben Angst vor der Wieder
vereinigung I Sie haben fürchterliche Angst vor der Wiederverei
nigung; Sie befürchten, daß damit Ihre Pfründe, Ihre sicheren
Pfründe schwinden.
[Gelächter bei der SPD und der AL]
Ich fordere Sie auf - und ich bitte Sie -: Geben Sie doch den
Menschen in allen Teilen Deutschlands eine Chance, überhaupt
ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben!
[Zurufe von der SPD und der AL]
Geben Sie ihnen eine Chance! Wenn sich dann die Menschen
dort anders entscheiden, ist das ihr gutes Recht. Aber Sie wollen
den Leuten, weil Sie Angst haben vor der Wiedervereinigung,
den Weg dorthin überhaupt verbauen.
Präsident Wohlrabe: Herr Pagel, vergessen Sie nicht, daß
da draußen Tausende auf uns warten! Ich bitte Sie wirklich, sich
kurz zu fassen!
[Starker Beifall bei der SPD und der AL]
Pagel (REP); Den Satz gestatten Sie mir noch: Zu Ihrem heu
tigen Verhalten und zu Ihrem Abgehen von der deutschen Einheit
- das, was Sie hier vertreten wollen - paßt auch Ihr unwürdiges (D)
Verhalten in der heutigen Parlamentssitzung.
[Zurufe von der SPD und der AL]
Was ich hier heute erleben mußte bei der Rede unseres Kolle
gen Degen, das hätte vielleicht in einen Provinzkindergarten oder
in ein schlechtes Kabarett gepaßt, aber nicht in ein deutsches
Parlament in dieser historischen Stunde.
[Beifall bei den REP - Zurufe von der SPD und der AL]
Präsident Wohlrabe: Als letzter Redner hat jetzt das Wort
Herr Dr. Statz! Ich bitte auch, sich daran zu erinnern, daß wir
wirklich dann abstimmen wollen und daß wir das tun, wozu wir
uns hier versammelt haben.
[Dr. Staffelt (SPD): So ist es! Bravo!]
Dr. Statz (AL): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren I Es gilt eigentlich nur, etwas klarzustellen. Der Kol
lege Landowsky hat, als wir über den Antrag gesprochen haben,
den Vorschlag gemacht, folgenden Satz erst einmal zu streichen,
weil er ihn für überflüssig hielt:
Die Menschen in der DDR bestimmen Wege und Ziele der
gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung in der
DDR selbst.
[Zurufe von der AL: Hört, hört!]
Das war so gesagt nach dem Motto: Das paßt irgendwie nicht in
den Stil, das ist doch selbstverständlich. Selbstverständlichkei
ten muß man manchmal kiarmachen. Es ist offen - und das ist
der Inhalt des AL-SPD-Antrags -, ob im Dienst einer gesamteu
ropäischen Friedensordnung Zweistaatlichkeit oder ein Deut
scher Einheitsstaat ein Weg, das politische Ziel ist. Das ist um
stritten. Für uns ist es nicht offen, weil wir grundsätzlich für den
Abbau von staatlichen Strukturen sind,
[Zurufe von der CDU; Das hatten wir alles schon!]