Abgeordnetenhaus von Berlin -11. Wahlperiode
27. Sitzung vom 22. März 1990
1426
Häusler
(A) - so vor allem im §4 doch wird dabei bei der
Frequenzvergabe unter mehreren Bewerbern derjenige
bevorzugt, der in höherem Maße über das öffentliche
Geschehen - das wäre ja wünschenswert - oder aber über
Angelegenheiten von Minderheiten berichtet. „Im höheren
Maße“ aber kann das doch wohl nicht mehr Ausgewogen
heit bedeuten. Und so lautet das Gesetz dann im Klartext:
Wer besonders stark für die multikulturellen Belange eintritt,
der hat die Lizenz schon fast in der Tasche. Eine Definition
von Ausgewogenheit ganz eigener Art: SPD-AL-Parteilich-
keit ausgeprägtester Art hinter einem Wust von sich wieder
holenden Begriffen, die den Eindruck vermitteln sollen, man
halte sich ja bloß an die Rundfunk- und Fernsehrechtsspre
chung.
Unklar bleibt auch, wie denn das alleinige Recht des
Rundfunkveranstalters nach § 7, den Inhalt der Sendung zu
entscheiden und Verantwortung zu tragen, mit dem SPD-AL-
Verständnis von redaktioneller Rundfunkfreiheit in Einklang
zu bringen ist. Auch die Einschränkung des Direktionsrech
tes in §7 Abs. 4 ist nicht begründet. Wer Verantwortung
trägt, muß auch die entsprechenden Maßnahmen verfügen
können. Daß dabei reine Willkür oder Schikane ausscheidet,
sollte schon nach arbeitsrechtlichen Kriterien unzweifelhaft
sein. Damit will niemand den Journalisten eine Meinung
vorschreiben, untersagen oder was immer auch. Es kann
aber auch kein Freibrief ausgestellt werden für Bestrebun
gen, die eigene persönliche Meinung durch entsprechende
Techniken zur öffentlichen Meinung zu erklären. Dies ist -
und es passiert eben nicht selten - genauso verwerflich wie
die Unterdrückung von Meinungen, denn es behindert durch
gesteuerte oder unterdrückte Information in ganz unerträgli
cher Weise die öffentliche Meinungs- und Willensbildung.
Und dies bedeutet eine verheerende Wirkung im Hinblick
auf das Funktionieren des demokratischen Staates.
Die Verpflichtung auf die Wahrheit allein hat sich als
unzureichend erwiesen. Denn Teile einer Information, die in
sich wahr sind, können durch die vorsätzliche Auswahl oder
Betonung zur Unwahrheit werden. Was aber folgt daraus?
Müßte sich der Staat, der die Ausgewogenheit und Pro
grammneutralität zu sichern hat, nicht auch einmal in
anderer Weise über Journalisten Gedanken machen als nur
über Presserechts- und Redaktionsstatute und gesetzliche
Redaktionsfreiheiten? Ist nicht das vielerseits vorhandene
Unbehagen über die Informationstechniken eine letzthin nur
unterdrückte Kritik an der mitunter mangelnden Qualifika
tion von Journalisten, die durch ihr Wirken einem ganzen
Berufsstand schaden, der doch eigentlich als unersetzlicher
Informationsvermittler im System eines demokratischen
Staates hohes Ansehen genießen sollte? Gäbe es hier
keinen Grund zur Kritik, so wären die Leitlinien des
Deutschen Presserates zu fairer Berichterstattung nicht
notwendig gewesen.
Damit Sie nun nicht denken, allein die Republikaner
würden hier zu Beanstandungen neigen - obwohl sie
manchen Grund hätten, die Objektivität der Berichterstat
tung anzuzweifeln soll hier der bekannte Tübinger
Rechtswissenschaftler Günter Dürig zitiert werden. In einem
Vortrag der Ringvorlesung Tübinger Juristen im Jahre 1963
sagte er zur Grundrechtsverwirklichung auf Kosten von
Grundrechten unter anderem folgendes:
[Teige: (AL): Können Sie nicht ein
paar Seiten überschlagen ? - Das ist ja
trostlos!]
Wir empfinden es nicht als Tangierung unserer Wissen
schaftsfreiheit, wenn Qualifikationsnachweise gefordert
werden. Im Gegenteil!
[Teige (AL): Schauen Sie doch mal hoch,
ob noch alle da sind!]
Soll es dann aber auch wirklich zum Wesen der (C)
Pressefreiheit gehören, daß selbst ein Chefredakteur
keinen Befähigungsnachweis braucht? Eine „venia scri-
bendi“ wäre ebensowenig ein Eingriff in die Pressefrei
heit, wie es die „venia legendi“ in die Wissenschafts
freiheit ist.
Und was für den Chefredakteur gilt, sollte für jeden anderen
Journalisten ebenfalls gelten,
[Teige (AL): Herr Häusler, Ihre eigene Fraktion
hört auch nicht mehr zu!]
Freiheiten - so sagt Dürig - sind nicht beziehungslos,
sondern stehen im Zusammenhang mit der verfassungs
rechtlichen Treueklausel oder wenigstens Fairneßkiausel. -
Herr Teige, davon haben Sie noch nicht viel gehört - das ist
mir klar. - Dürig regt an, selbst zu prüfen, ob journalistische
Leistungen immer den Anforderungen der Fairneßklausel
entsprechen.
[Teige (AL): Es rettet Sie nicht!
Reichen Sie es einfach ein!]
Ich jedenfalls
- so Dürig wörtlich -
sehe mit Sorge, wie eine gewisse Presse etwa perma
nent das Wort „Bonn“ auf der Zunge zerschmelzen läßt,
wie man es mit dem Wort „Weimar“ gemacht hat.
[Teige (AL): Wir haben ja nun Ihren
guten Willen gesehen! Hören Sie auf!]
- Wir können vielleicht gemeinsam singen, aber wir finden
kein gemeinsames Lied, Herr Teige! - Wer sich schon (D)
Gedanken über die Medienpolitik machen will, sollte auch in
diese Richtung denken, in eine Richtung, die nicht ganz so
unwesentlich ist, wie der Entwurf von SPD und AL durch die
gähnende Gedankenleere im vorliegenden Entwurf andeu
ten will.
Es genügt eben nicht, sich durch formale Konstruktionen
ideologische Vorteile verschaffen zu wollen. Auf diesem für
die Demokratie so wichtigen Feld darf man eigentlich etwas
mehr an Substanz erwarten. Auch die Menschen in Ost-
Berlin werden hier hellhörig werden, denn reglementierte
Rundfunk- und Fernsehinformationen hatten sie über 40
Jahre lang zur Genüge. Sie haben ganz gewiß keinen
Bedarf an neuen Informationsverhinderungspraktiken - an
Praktiken, die eigentlich nur denen einfallen können, die es
mit der Demokratie nicht eben sehr ernst meinen. AL und
SPD haben hier wieder einmal ein Beispiel für politische
Unkultur gegeben. - Ich bedanke mich.
[Beifall von der AL]
Präsident Wohlrabe; Jetzt hat das Wort Herr Kollege
Lehmann-Brauns für die letzten vier Minuten der Unions
fraktion!
Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Das Gesetz stammt bekanntlich aus der
Feder des Referenten der Kultursenatorin, ist dann in die
Müllerstraße gegangen und ist jetzt von Ihnen eingebracht
worden. Um so erstaunlicher ist es, daß die Kultursenatorin,
wenn sie heute schon einmal anwesend ist - Frau Brinck-
meiers Vortrag hat sie gar nicht mitbekommen - hier gar
nicht geredet hat.
[Frau Wiechatzek (CDU); Hört gar nicht zu!]