Abgeordnetenhaus von Berlin -11, Wahlperiode
27. Sitzung vom 22. März 1990
1418
Frau Brinckmeier
(A) Wer dem vom Bundesverfassungsgericht mehrfach beton
ten Gesichtpunkt der gesellschaftlichen Kontrolle auch des
privaten Rundfunks ernst nimmt - und ich bin sicher, daß es
darüber in diesem Hause keine abweichende Meinung gibt —
der kann beide Gesichtspunkte nicht grundsätzlich ableh
nen. Daß der Entwurf hier ein Gremium vorsieht, in dem
nach gesetzlicher Vorschrift so viele Männer wie Frauen
sind, das müßte allgemein als Fortschritt Zustimmung
finden.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Was auf der anderen Seite die Repräsentanz gesellschaft
lich relevanter Gruppen angeht, so ist in einigen Vorbespre
chungen des Entwurfs kritisch angemerkt worden, daß -
anders als zum Beispiel im SFB-Rundfunkrat - hier keine
Verlegervertretung vorgesehen ist. Ich glaube nicht, daß das
ernsthaft gegen den Entwurf geltend gemacht werden kann.
Ich hoffe sogar zuversichtlich, daß die Verleger selbst und
ihre Interessenvertretungen anerkennen, daß ein Gremium,
das allgemeine Interessen gegenüber Wirtschaftsunterneh
men vertreten soll, die tatsächlich weitgehend von Verle
gern bestimmt werden, nicht sinnvoll mit Verlegervertretern
besetzt werden kann.
[Beifall bei der AL]
Die Verlegerinteressen müssen sich hier vielmehr als
Arbeitgeberinteressen von den Arbeitgeberverbänden eben
so vertreten lassen, wie umgekehrt die Interessen der
Journalisten und der Medienmacher nicht durch den Jour
nalistenverband und die IG Medien, sondern durch DGB und
DAG vertreten werden. Das ist meines Erachtens eine faire
Regelung, wie überhaupt die Zusammensetzung des Rates
fair ist.
Der Entwurf muß sich auch den Vorwurf des Bürokratis
mus nicht gefallen lassen. Er sieht tatsächlich keine kompli
zierten und umständlichen Entscheidungsstrukturen vor. Die
laufenden Entscheidungen der Anstalt sind nämlich nicht
diesem großen Rat zugewiesen, sondern einem aus ihm zu
wählenden Geschäftsführenden Ausschuß von zehn Mitglie
dern und einer hauptamtlichen Geschäftsführung von zwei
Geschäftsführern bzw. Geschäftsführerinnen. Alle diejeni
gen, die dem bisherigen Kabelrat mit seinen sieben Mitglie
dern für ein effektives Gremium hielten, können deshalb
gegen diese Regelung des Entwurfs mit seinem Geschäfts
führenden Ausschuß nichts Wesentliches verbringen. Dieje
nigen aber, die am bisherigen Kabelrat kritisieren, daß er
auf die Einhaltung der Programmpflichten durch die privaten
Anbieter nicht hinreichend geachtet habe, die müßten den
Entwurf wegen der gesellschaftlichen Repräsentanz im
großen Ratzustimmen.
Ich kann mir vorstellen, daß kurz denkende Kritiker der
einen wie der anderen Seite Anlaß für ihre Kritik finden. Den
einen sieht der Entwurf vielleicht zuviel, den anderen
zuwenig Kontrolle vor. Zu der Kritik, die zu einer früheren
Fassung des Entwurfs vom Verband der Privatfunkanbieter
vorgebracht worden ist, habe ich inhaltlich schon eine
Anmerkung gemacht. Ich wiederhole also hier meine Hoff
nung, daß die Verleger, die Privatfunkbetreiber auch ihrer
seits bereit sind, die Normen zu akzeptieren, die das
Bundesverfassungsgericht in seiner maßvollen Rechtspre
chung ihrer Tätigkeit gesetzt hat. Auch der Entwurf akzep
tiert diese Grenzen. Aber er nimmt sie - wie ich hoffe -
ebenso auch ernst.
Den Kritikern von der anderen Seite, die vielleicht gern
stärkere Kontrollbefugnisse gesehen hätten, will ich nur
einen Gesichtspunkt entgegenhalten: Das Verfassungsge
richt verlangt gesellschaftliche - nicht staatliche - Kontrolle.
In dem vom Entwurf vorgesehenen Rat sind die wesentli
chen gesellschaftlichen Gruppen vertreten. Mehr Kontrolle
über private Unternehmen, als die, auf die sich die Reprä- (C)
sentanten der gesellschaftlichen Gruppen verständigen kön
nen, sollte in einer Gesellschaft wie der unsrigen billiger
weise niemand verlangen. Das Privatfunkgesetz ist keine
Spielwiese für Systemveränderer.
Man hat mir hier nur knappe zehn Minuten für die
Begründung unseres Gesetzenwurfes zugebilligt, so daß ich
mich auf wenige Aspekte beschränken mußte. Die Detailbe
ratung wird ohnehin im Ausschuß erfolgen, wo die Fragen -
Innenpluralismus, Außerpluralismus, innere Rundfunkfrei
heit, Rundfunkaufsicht und dergleichen mehr - intensiv
diskutiert werden müssen.
Noch eine Bemerkung zur Zuordnung der Frequenzen.
Natürlich ist es wichtig, daß dabei öffentlich rechtlicher und
privater Rundfunk gleiche Chancen haben müssen. Wer dies
am besten gewährleisten kann, darüber scheiden sich
bekanntermaßen die Geister, und die Frage wird in den
einzelnen Bundesländern deshalb auch sehr unterschiedlich
beantwortet. In unserem Gesetzentwurf haben wir uns dafür
ausgesprochen, daß dies das Abgeordnetenhaus künftig
entscheiden soll, weil uns die demokratischen Gesichts
punkte, nämlich die Legitimation aufgrund von Volkswahl,
mehr überzeugen, als die Entscheidung in die Selbstverwal
tung des Rundfunks zu geben. Deshalb hoffe ich auf eine
temperamentvolle, kontroverse, aber hoffentlich immer auch
konstruktive Diskussion im Ausschuß. - Herzlichen Dank. I
[Beifall bei der SPD]
Präsident Wohlrabe: Die Aussprache eröffnet die CDU.
Das Wort hat der Abgeordnete Landowsky!
Landowsky (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Kollegin Brinckmeier! Eine Me- ...
dienmetropole wird Berlin mit diesem Gesetz gewiß nicht,
und auch nicht das, was Herr Lorenz gestern im „Tages
spiegel“ sagte: „Berlin werde sich in den kommenden
Jahren zu einem europäischen Medienzentrum entwickeln.“
Entweder haben Sie, Herr Lorenz, diesen Gesetzentwurf
nicht gelesen, oder Sie haben ihn doch gelesen und führen
die Menschen hinters Licht. Politisch ist es ein Irrwitz, in der
jetzigen gesellschaftspolitischen Situation ein solches Ge
setz einzubringen. Es besteht überhaupt keine Notwendig
keit, ein Privatfunkgesetz jetzt vom Abgeordnetenhaus aus
für Berlin (West) zu regeln. Wenn das Kabelpilotprojekt nun
ausläuft, dann hätten Sie es um ein Jahr verlängern können
und damit dem Mischkanal und dem Offenen Kanal über
diese Verlängerung Rechnung tragen können. Dieses Ge
setz ist also kein Beitrag zu einem Medienzentrum Berlin.
Es ist vielmehr aus meiner Sicht der politisch verwerfliche
und in Teilen verfassungsrechtlich bedenkliche oder verfas
sungswidrige Versuch, die vorhandenen Privatsender zu
strangulieren, zum Teil zu liquidieren und neue Privatanbie
ter nur noch zuzulassen, wenn sie Ihnen politisch genehm
sind.
[Beifall des Abg. Dr. Lehmann-Brauns (CDU)]
Das ist der Inhalt dieses Gesetzes, und ich werde Ihnen dies
nachweisen.
Sollte die SPD-AL-Koalition das Privatfunkgesetz so ver
abschieden, verstößt sie außerdem - ich denke, daß dies
vorsätzlich ist - gegen die vertraglichen Verpflichtungen des
Landes Berlin aus dem Staatsvertrag über den Rundfunk.
Sie fügen damit automatisch nicht nur dem Land Berlin,
sondern auch der Landesrundfunkanstalt SFB schweren
Schaden zu, denn der SFB ist nur existenzfähig, wenn er
sich auch in Zukunft über den Finanzausgleich auf die
Solidarität der übrigen Bundesländer verlassen kann.
[Beifall des Abg. Dr. Biewald (CDU)]