Abgeordnetenhaus von Berlin -11. Wahlperiode
27. Sitzung vom 22. März 1990
1398
Degen
(A) gen. Noch am 14. September vorigen Jahres meinten sie zu
der angebrochenen Entwicklung in der DDR feststellen zu
müssen, ich zitiere ebenfalls:
Ich stelle fest, es geht nicht um Wiedervereinigung.
Und im Herbst 1989 meinten sie, sie seien schon immer
gegen das „Wiedervereinigungsgequatsche“ gewesen.
Nach dem, was wir heute hier von Ihnen gehört haben, fällt
mir dazu nur die Bezeichnung Wendehals ein.
Natürlich wissen wir von Ihnen, wie und was sie auch
weiterhin tatsächlich denken. So haben Sie am 18. Novem
ber dem „Neuen Deutschland“ mitgeteilt:
Die SED ist ja gar nicht mehr das, was sie einmal war.
Es mag auch neue Berührungspunkte geben, die eine
veränderte SED für die SPD weiterhin und vielleicht
sogar verstärkt interessiert erscheinen lassen.
Auch von vielen Ihrer Parteigenossen gibt es entsprechende
Aussagen, die wir uns hier aber ersparen wollen. Jedenfalls
klingt es danach nicht besonders glaubwürdig, wenn Herr
Lorenz es als übel und ekelhaft bezeichnet, wenn PDS-Leute
wie Herr Gysi sozialdemokratisches Gedankengut für sich
reklamieren.
Wir werden aufmerksam beobachten, wie die SPD dort,
wo Mehrheiten von SPD mit PDS rechnerisch möglich sind,
sich künftig verhalten wird. Dies gilt insbesondere für die
Zeit nach dem 6. Mai diesen Jahres. Die an diesem Tag
stattfindenden Kommunalwahlen bieten die Möglichkeit ei
ner Kontrolle bis dahin erzielter Ergebnisse auf dem Weg
zur Einheit und ggf. auch deren Korrekturen.
Der SPD ist zuzugeben, daß den Deutschen in der DDR
von den Siegern des 18. März viel versprochen wurde. Wir
Republikaner meinen, daß das, was versprochen wurde,
(B) auch realisierbar ist und umgehend realisiert werden muß.
Wir haben aber unsere Zweifel, daß diejenigen im Westen,
die hier viele Erwartungen geweckt haben, auch zu deren
rascher Erfüllung bereit sein werden. Doch dazu dann
später noch weitere Ausführungen.
Die Partei „Die Republikaner“ hat inzwischen Registrie
rungen für ihre in der DDR bestehenden Gebietsverbände
beim Parteienregister der Volkskammer eingereicht. Sie
strebt auf der Grundlage dieser Registrierungen die Erfül
lung der formalen Voraussetzungen an, um möglichst vielen
Kreisen, Städten und Gemeinden zu den Kommunalwahlen
die Möglichkeit zu geben, dort Republikaner zu wählen.
Wahlkampfempfehlungen für andere wie zum 18. März wird
es nicht noch einmal geben. Sollte man die Republikaner in
der DDR auch künftig auf undemokratischem Wege von
politischer Teilhabe auszuschließen versuchen, so wird man
in der DDR massenhaft ungültige Stimmen zählen können,
die letztlich zu Lasten derer gehen, die am 18. März auch
mit den Stimmen der Republikaner indirekt gewählt wurden.
Die hinter uns liegenden Wahlen vom 18. März waren frei,
gleich und geheim - mit einer kleinen Ausnahme: Von den
Parteien, die an einer Wahlteilnahme interessiert waren,
wurde meine Partei durch den Beschluß der Volkskammer
vom 5. Februar diesen Jahres, der den Charakter eines
totalitären Sondergesetzes gegenüber einer politischen
Minderheit hatte, verboten und von der Wahlteilnahme
ausgeschlossen. Unter diesem Makel werden die Wahlen
vom letzten Sonntag unlösbar und auf Dauer leiden. Wir
gehen aber andererseits davon aus, daß diese Diskriminie
rung nunmehr Vergangenheit ist und der Vergangenheit
angehört. Ansonsten haben die Wahlen vom 18. März klar
und eindeutig den Wunsch unserer mitteldeutschen Lands
leute nach rascher Einheit Deutschlands zum Ausdruck
gebracht.
Die Deutschen in der DDR haben gezeigt, daß sie
mehrheitlich und unter den gleichen Bedingungen leben
wollen wie ihre Landsleute hier im Westen Deutschlands. (C)
Sie haben dazu jene gewählt, die ihnen die schnellstmögli
che Erfüllung dieses Wunsches versprochen haben und
nicht Ängste geschürt haben oder viele Wenn und Aber hin
und her aufgebaut haben. Sie haben zugleich jene gewählt,
die in der Bundesrepublik die Regierungsverantwortung
tragen, weil ein Volk eben nur eine Regierung haben sollte
und weil die Regierenden Versprochenes eher einlösen
können als eine Opposition. Herr Kohl ist, wie hier schon
richtig gesagt wurde - auch von Seiten der SPD -, nun am
Ball.
Wir Republikaner haben klare Vorstellungen, wie es mit
dem Einigungsprozeß in Deutschland weitergehen sollte.
Die Volkskammer muß sich umgehende konstituieren und
eine Regierung auf möglichst breiter Grundlage bilden.
Noch im April muß mit der Kürzung der Grundbedarfssub
vention begonnen werden, um wirtschaftlich flexibler zu
werden und eine Voraussetzung zur Verwirklichung der
Währungsunion noch in diesem Sommer zu schaffen. Zu
gleich müssen die letzten gesetzgeberischen Aktivitäten der
alten Volkskammer kritisch überprüft werden, ob sie den
wirtschaftlichen Angleichungsprozeß in Deutschland fördern
oder eventuell sogar behindern oder bremsen. Nach der
Währungsunion muß die Wirtschaftsunion umgehend folgen.
Weitere Etappen müssen eine Rechts- und Sozialunion in
Deutschland sein.
Am Ende dieses Jahres müßten dann nach Auffassung
meiner Fraktion gemeinsame Wahlen in Gesamtdeutschland
zu einem gesamtdeutschen Bundestag als politische Abrun
dung des hier begonnenen Einigungsprozesses stehen, aus
dem dann eine gesamtdeutsche Regierung hervorgehen
wird. Nun sind Herr Kohl und seine Partei aber keine
Republikaner.
(D)
[Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!]
- Wer weiß! - Statt auf eine schnelle Regierungsbildung in
Ost-Berlin hinzuarbeiten, gibt es dort bereits ein kabarettrei
fes Hickhack um Positionen, Posten und Postchen. Vor der
Währungsunion werden nach der Wahl schnell weitere
Hürden wirtschaftlicher Art gerückt, die geeignet erschei
nen, die Währungsunion in ferne Zukunft zu verschieben.
Den Gipfel macht es, wenn Herr Kohl davon spricht, die
deutsche Einheit werde mit der westeuropäischen zusam
menfallen und erst zum 1. Januar 1992 oder eventuell sogar
noch später erfolgen. Die CDU entlarvt sich hier als eine
klare antinationale Partei, die den Weg zur Einheit Deutsch
lands - wie auch die SPD - nur notgedrungen - von den
Volksmassen in Mitteldeutschland, in Leipzig, in Plauen, auf
Rügen und anderenorts gedrängt - eingeschlagen hat,
während ihr Herz in Wirklichkeit der westeuropäischen
Einigung gehört, nämlich einem Europa der Bonzen und
Bürokraten in Brüssel, das die Identität der Völker Europas
bedroht und ihnen die Luft zum atmen nimmt.
Wir Republikaner bejahen dagegen ein Europa der Vater
länder. Unter diesem Gesichtspunkt begrüßen wir ausdrück
lich die bevorstehende Einigung Deutschlands. Wir wissen
uns eins mit dem Prozeß der nationalen Erneuerung, wie er
dieser Tage die meisten Völker Mitteleuropas wie Tsche
chen, Ungarn und die Völker des Baltikums erfaßt hat. Wir
fordern alle Seiten dieses Hauses auf, diesen Prozeß nach
Kräften zu unterstützen. Dies gilt insbesondere in Anbe
tracht unserer Verantwortung für unsere mitteldeutschen
Landsleute und deren Umland. Die Republikaner sind
jedenfalls bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen und
für Deutschland und für ein einig Deutschland in Europa zu
arbeiten.
[Beifall bei den REP]