Abgeordnetenhaus von Berlin -11. Wahlperiode
27. Sitzung vom 22. März 1990
1377
Präsident Wohlrabe
Ich stelle fest, daß Herr Abgeordneter Albert Eckert mit
der erforderlichen Stimmenmehrheit zum stellvertretenden
Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin gewählt
worden ist. - Ich darf ihm sehr herzlich gratulieren und ihn
bitten, die Arbeit hier so zu vollziehen, wie es erforderlich
ist.
Ich darf aber gleichzeitig Frau Abgeordnete Dr. Schramm
sehr herzlich danken für ihre Mühen und ihre Leistungen,
die sie als Vizepräsidentin vollbracht hat.
[Beifall - Heiterkeit]
Wir fahren fort in der Tagesordnung. Ich rufe auf
lfd. Nr. 1 B:
Aktuelle Stunde zum Thema „Nach der Wahl in
der DDR - die Rolle Berlins als Hauptstadt“
verbunden mit der
Erklärung des
Regierenden Bürgermeisters:
Deutschland und Berlin nach den ersten freien
Wahlen in der DDR am 18. März 1990
sowie verbunden mit den folgenden Dringlichkeiten:
Drucksache 11 /701:
Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der
SPD und der Fraktion der AL über Bildung eines
gemeinsam tagenden Arbeitsgremiums
Drucksache 11/702:
Antrag der Fraktion der AL und der Fraktion der
SPD über Dialog mit dem Berliner Runden Tisch
Wird den Dringlichkeiten widersprochen? - Das ist nicht der
Fall. Dann werden sie wie genannt behandelt. Der Ältesten
rat empfiehlt für die Besprechung eine Redezeit bis zu 30
Minuten pro Fraktion, wobei sich die Aussprache in zwei
Rederunden vollziehen wird. Dazwischen soll die Erklärung
des Regierenden Bürgermeisters liegen. Die Aufteilung der
Redezeit auf die einzelnen Redner bleibt wie immer den
Fraktionen überlassen. Wird dagegen Widerspruch erho
ben ? - Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.
[Unruhe]
Die erste Runde ist eröffnet. Die Wortmeldungen in der
Reihenfolge: CDU, SPD. AL, REP. - Ich darf sehr herzlich
bitten, daß auch bei der Fraktion der AL jetzt die Ruhe
wieder einkehrt, Herr Köppl, daß auch Sie bitte Platz
nehmen, damit wir uns dem Redner der Unionsfraktion,
Herrn Diepgen, zuwenden können. - Herr Abgeordneter
Diepgen, Sie haben das Wort.
Diepgen (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die ersten freien Wahlen in der DDR
seit über 40 Jahren waren eine Krönung des Weges zur
Demokratie, die Krönung des Weges der Bevölkerung zur
Demokratie. Die Diktatur hat abdanken müssen, und der
große Sieger dieses Wahlsonntags war die Freiheit.
[Beifall bei der CDU und der SPD]
Es gibt noch einen anderen Sieger dieser Wahl. Das war (C)
die Allianz für Deutschland.
[Beifall bei der CDU]
Die Deutschen in der DDR haben sich an diesem Sonntag
entschieden, und zwar mit Mehrheit entschieden für einen
schnellen Weg zur deutschen Einheit, für die soziale
Marktwirtschaft und gegen sozialistische Experimente.
[Beifall bei der CDU]
Dieses Wahlergebnis ist ein Ausdruck hoher Erwartungen.
Diese Erwartungen richten sich an die Verantwortlichen in
Ost-Berlin, aber auch an die Verantwortlichen in Bonn. Und
diese Erwartungen dürfen jetzt nicht enttäuscht werden. Wir
brauchen schnelle, gute und sorgfältige Schritte zur deut
schen Einheit.
Im Ergebnis dieses Wahlsonntags kann ich mir folgenden
Fahrplan vorstellen: Nach der Konstituierung der Volkskam
mer bekennt sich dieses frei gewählte Parlament, so wie es
die Wähler erwarten, zu dem Weg zur deutschen Einheit
über Artikel 23 des Grundgesetzes
[Beifall bei der CDU]
und beauftragt die neue Regierung mit zügigen Verhandlun
gen mit der Bundesregierung über die notwendigen Über
gangsbestimmungen. Diese Verhandlungen sollten und
könnten dann parallel zu den „Zwei-plus-vier“-Ver-
handlungen laufen und parallel mit ihnen im Herbst abge
schlossen werden. Das garantiert auch, daß niemand
unserer Nachbarn vor vollendete Tatsachen gestellt wird.
Wenn dann im November die KSZE-Konferenz stattfindet
und das Ende der Nachkriegszeit besiegelt - die Beendi- ^
gung der Nachkriegszeit in Europa muß das Ziel dieser
Konferenz sein
[Beifall bei der CDU)
könnte gleichzeitig der Beitritt der DDR zum Grundgesetz
formell vollzogen werden.
Der Bundestag muß dann nach dem Beitritt das Grundge
setz in der DDR in Kraft setzen, verbunden mit einem
Eingliederungsgesetz, das die notwendigen Übergangsbe
stimmungen enthält. Alle anderen Gesetze der DDR bleiben
- das wissen alle Juristen - zunächst gültig. Ich sage das
deswegen noch einmal, weil viele diese Rechtsfragen
verkennen. Es ist nicht so, daß sich mit einem Beitritt über
Nacht alles nach dem Bundesrecht richtet.
Meine Fraktion ist für Tempo in der deutschen Einheit.
Das heißt: So schnell wie möglich Währungs-, Wirtschafts-
und Sozialunion
[Beifall bei der CDU]
und noch in diesem Jahr Beitritt der DDR zum Grundgesetz
und noch in diesem Jahr Abschluß der „Zwei-plus-vier“-
Verhandlungen. Der Artikel 23 GG ist der schnellste, der
beste und der flexibelste Weg, gerade auch im Interesse der
Deutschen in der DDR. Um deren Interessen zu wahren,
muß dieser Weg beschriften werden.
Die Vorschläge haben natürlich auch Auswirkungen auf
die Bundestagswahlen. Im Moment werden in Bonn und
anderswo verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Da ist zum
Beispiel von Nachwahlen von Vertretern der Volkskammer
zum Bundestag die Rede. Da ist auch die Rede davon, daß
Delegierte aus der Volkskammer in den Deutschen Bundes
tag entsandt werden. Ich halte alle diese Denkmodelle für
schlechte Kompromisse. Sie entsprächen auch nicht der