Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
26. Sitzung vom 8. März 1990
1324
Dr. Staffelt
(A) land, die polnische Westgrenze nicht in Frage stellen. Und ich
sage Ihnen an dieser Stelle noch eines; Es bedurfte offenbar
eines Hans-Dietrich Genscher und einer harten Position bis hin
zur Stellung der Koalitionsfrage, um diesen Bundeskanzler dazu
zu bewegen, einzulenken und die Schritte zu tun, die die Welt,
und ich vermute auch, die Deutschen, von ihm erwarten.
[Beifall bei der SPD - Pagel (REP): Wir nicht!]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Dr. Staffelt, gestat
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Adler?
Dr. Staffelt (SPD): Nein!
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal aut die
internationale Problematik hinweisen, die sich aus der Diskus
sion um die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in
der NATO ergibt. Es gibt doch wohl überhaupt keinen Zweifel,
daß wir an dieser Stelle das Sicherheitsinteresse der Sowjet
union zu respektieren haben. Wer von uns kann denn ein Inter
esse an der Destabilisierung Gorbatschows haben? - Doch
wohl niemand I Und ich will hier einmal ganz ausdrücklich in Rich
tung CDU/CSU sagen: Es ist doch ein historischer Glücksfall, in
dem wir uns befinden, daß diese Revolution hat stattfinden kön
nen.
[Miosga (REP): Gegen Ihr Zutun!]
Und wir haben häufig genug darüber geredet, wo die eigent
lichen Ursachen dafür liegen. Ich meine, man darf in dieser histo
rischen Situation den Bogen nicht überspannen, sondern man
muß mit beiden Füßen auf dem internationalen Teppich bleiben!
[Beifall bei der SPD]
Das ist die einzige Garantie, um zu gewährleisten, daß die deut
sche Vereinigung nicht gefährdet oder verhindert wird. Das Ein
vernehmen mit den Nachbarn ist dringend erforderlich, und
(B) darüber sind wir uns im Grunde auch einig.
[Adler (CDU): Ist die Frage,
ob Sie das wollen!]
Nur es bedarf, Herr Adler, einer Reihe von Maßnahmen, um
dieses Vertrauen, das Grundlage einer Vereinigung beider deut
scher Staaten ist, auch gegenüber den europäischen Nachbarn
zu erwerben. Dies ist auch eine Frage der Psychologie, und Sie
sollten an dieser Stelle vielleicht auch ein wenig mehr Sensibilität
entwickeln und erkennen, daß es Völker auf dieser Weit gibt, die
eben tatsächlich aus ihrer Geschichte und ihrer Erfahrung her
aus Sorge haben.
[Adler (CDU): Und Sie instrumentalisieren das -
das ist das Fatale!]
Es darf doch wahr sein, daß wir, die wir das Volk sind, das in
diesem Jahr 1989 und diesem Jahr 1990 eine Möglichkeit erhal
ten hat, die nationale Einheit wiederherzustellen, daß wir nun
einen kleinkarierten Krieg führen und an dieser Stelle nicht in der
Lage sind,
[Buwitt (CDU): Sie führen doch den Krieg!]
großzügig die Dinge deutlich zu machen, die übrigens seit
Jahren und Jahrzehnten Inhalt bundesdeutscher Außenpolitik
gewesen sind.
[Beifall bei der SPD]
Ich möchte - das habe ich bereits in der letzten Sitzung getan
- noch einmal zum Wahlkampf in der DDR ein paar Worte
sagen. Wir haben über niemand den Stab zu brechen; ich meine
allerdings auch - und darin teile ich die Auffassung des Regie
renden Bürgermeisters -, daß wir uns alle selbst verpflichten
sollten, dafür zu sorgen, daß ein überharter Wahlkampf vermie
den wird.
[Adler (CDU): Selbstkritik sollten Sie üben!]
Denn eines ist klar: Die Demokratie in der DDR ist eine zarte
Pflanze, die es aufzuziehen gilt. Ich bitte Sie, auch zur Kenntnis
zu nehmen, daß die Zielrichtung fast aller Gruppen, die sich
heute um Mandate zur Volkskammer bewerben, die Überwin- (C)
düng des stalinistischen Systems in der DDR war. Wir sollten
unseren Beitrag dazu leisten, daß die künftige Zusammenarbeit
dieser Gruppen gegen stalinistische Strukturen, die noch weiter
existieren, nicht behindert wird.
[Beifall bei der SPD]
Herr Diepgen, der demokratische Grundkonsens, über den
wir viel geredet haben, der bisweilen vielleicht auch in Frage
gestellt war, aber der doch immer alle demokratischen Parteien
in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg in die Lage
versetzt hat, in schwierigen Situationen miteinander zu reden
und zusammenzuarbeiten, dieser Grundkonsens darf in der DDR
nicht gefährdet werden. Darum geht es mir,
[Wittwer (CDU): Sprechen Sie mal mit Lafontaine darüber!]
und dazu müssen wir alle unseren Beitrag leisten.
[Beifall bei der SPD]
Es ist von Ihnen, Herr Diepgen, und auch vom Regierenden
Bürgermeister über die Frage der künftigen Entwicklung bezüg
lich der politischen Gremien gesprochen worden. Lassen Sie
mich an dieser Stelle unsere Forderungen noch einmal deutlich
machen. Wir meinen, daß es notwendig ist, nach dem 18. März
eine Zusammenarbeit des Abgeordnetenhauses von Berlin
mit gewählten Vertretern Ost-Berlins herzustellen, um damit
mehr Stabilität in Berlin zu erreichen. Unseres Erachtens bieten
sich hier die gewählten Volkskammerabgeordneten Ost-Berlins
an. Zugegeben: Sie sind nicht unmittelbar zuständig für kommu
nalpolitische Fragen, aber wir wollen mit ihnen in einer Über
gangsphase bis zum 6. Mai Grundsatzfragen erörtern, die vor
allem die Problematik der Ländergliederung und der Verfassung
betreffen. Ich meine, daß wir ein solches Gremium brauchen,
damit nicht in Ost-Berlin ein Vakuum entsteht, weil Stadtverord
netenversammlung und Magistrat nicht demokratisch legitimiert
sind und der Runde Tisch nach Wahlen in der DDR nicht mehr
repräsentativ sein wird. Das heißt: Die Menschen werden sehen, ^
daß es bestimmte Mehrheitsverhältnisse gibt, die am Runden
Tisch aber nicht realisiert sind. Deshalb glaube ich, daß dieser
Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters und der SPD-Frak-
tion ein Vorschlag ist, über den wir alle nachdenken sollten. Und
ich meine, daß er nach dem 6. Mai ergänzt werden sollte durch
ein ähnliches Gremium mit der Stadtverordnetenversammlung,
die zu diesem Zeitpunkt auch neu gewählt sein wird.
Dazu möchte ich, Herr Diepgen, auf eines aufmerksam
machen: Ich stimme mit all den Kolleginnen und Kollegen in
diesem Haus überein, die sagen; Das, was wir bisher an Kon
trolle der Arbeit des Regionalausschusses praktiziert haben,
ist zuwenig!
[Löffler (SPD): So ist es! - Beifall bei der SPD]
Es ist keine Frage, daß wir die Zusammenarbeit mit der Exekutive
Ost-West verstärken müssen. Das, Herr Diepgen, ist nicht nur in
Richtung Senat gesagt, sondern das muß auch in die eigene
Richtung wirken; denn die parlamentarischen Initiativen in Rich
tung auf den Regionalausschuß sind bisher mehr als dünn. Des
halb kann ich an Sie, Kolleginnen und Kollegen, nur appellieren:
Gehen wir zur Sache, fordern wir den Senat, kontrollieren wir
den Senat, und sorgen wir dann dafür, daß nach dem 6. Mai ein
Gremium existiert, das - mit Unterausschüssen versehen analog
der Unterausschüsse des Regionalausschusses - den Regio
nalausschuß unmittelbar kontrolliert! An dieser Stelle müssen wir
unsere Aufmerksamkeit verstärken; denn je mehr Legitimation
die Organe des anderen Teils der Stadt und des Umlands haben,
desto wichtiger ist die Einflußnahme des Abgeordnetenhauses
von Berlin auf diese Institutionen und ihre Arbeit.
[Beifall bei der SPD]
Soweit ich gehört habe, ist der Regierende Bürgermeister dar
an interessiert - das Recht kann man ihm auch gar nicht neh
men -, die Dinge auf den Weg zu bringen. Das betrifft auch den
Vorschlag, daß sich beide Parlamente zum gegebenen Zeitpunkt
einmal zusammenfinden können. Ich finde diese Anregung gut,
Herr Regierender Bürgermeister, habe dazu aber eine Bitte: Sie