Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
26. Sitzung vom 8. März 1990
Sen Pätzold
(A) Parlaments zu beurteilen. Ich würde auch die Abgeordenten
bitten - auch wenn es hier häufig anders geschieht das, was
unter den Fraktionen direkt auszutragen wäre, nicht über das
dafür ungeeignete Medium Senat zu versuchen.
Präsident Wohlrabe: Gibt es noch eine Zusatzfrage?
- Herr Kollege Hopmann! Danach Frau Kollegin Künast!
Hopmann (AL): Teilt der Senat meine Auffassung, daß West-
Berlin auch als eine Stadt von Totalverweigerern betrachtet wer
den kann, da es hier weder einen Ersatzdienst noch eine Wehr
pflicht gibt und dies sogar durch internationale Verträge abgesi
chert ist? Teilt der Senat meine Auffassung, daß es entspre
chend dieses Status keinerlei Gründe gibt, den Totalverweigerer
Scherer auszuliefern, und daß, was den Bürgern hier recht ist,
doch den Bundesbürgern billig sein sollte?
[Beifall bei der AL]
tiv eindeutigen Rechtsfragen nicht mit Begriffen überlagert wer
den würden, die dafür eigentlich ungeeignet sind und wo es zu
Mißverständnissen kommen kann, die vielleicht für die Situation
in Berlin nicht förderlich sind.
(C) |A)
|
Präsident Wohlrabe: Jetzt hat als letzter der Kollege Degen
das Wort.
Degen (REP): Herr Senator! Ich frage Sie, trifft es zu, daß - I
nachdem die Meldung hier aus dem Abgeordnetenhaus zum
polizeilichen Lagedienst kam, daß Herr Scherer sich hier aufhal
ten soll - geantwortet wurde: Dort führen wir keinen Haftbefehl
durch. Das sollen die Bediensteten des Abgeordnetenhauses
selbst machen; wir holen ihn dann ab. -? Das wäre wohl unzu
mutbar, der Haftbefehl muß schließlich verkündet werden. Dann
habe ich eine weitere Frage; Wer trägt die Kosten für den
Schlüsseldienst?
Präsident Wohlrabe; Herr Senator Pätzold, bitte!
Pätzold, Senator für Inneres: Herr Abgeordneter! So ver
kürzt, wie Sie fragen, kann ich Ihre Auffassung und Ihre Frage
stellung leider nicht teilen. Dabei kommt es im Leben auch nicht
so sehr darauf an, welche persönliche Auffassung man zu
bestimmten Dingen hat, sondern das Wesen einer parlamentari
schen, freiheitlichen Demokratie besteht darin, daß von rechtmä
ßig gewählten Parlamenten Gesetze zustande gekommen sind
und jeder - gleichgültig ob ihm das gefällt oder nicht - an diese
Gesetze gebunden ist. Danach hat selbstverständlich nicht nur
jeder Bürger, sondern auch der Senat zu handeln.
Präsident Wohlrabe: Frau Künast - bitte!
Frau Künast (AL): Herr Pätzold! Werden Sie oder wird der
(B) Senat dafür Sorge tragen, daß es für Herrn Scherer, der Inhaber
eines Behelfsmäßigen Berliner Personalausweises ist und damit
zum Ausdruck gebracht ist, daß er Berliner Bürger ist, in West
deutschland nicht zu einer Zwangsanmeldung nach dem dorti
gen Melderecht kommt - in der Haftanstalt, in der Herr Scherer
einsitzen wird -, und werden Sie damit auch Sorge dafür tragen,
daß Herrn Scherer als Berliner Bürger kein erneuter Einberu
fungsbescheid zugestellt wird?
Präsident Wohlrabe: Herr Senator, bitte!
Pätzold, Senator für Inneres: Frau Abgeordnete Künast! Ich
würde gern für vieles sorgen, aber ich fürchte, daß dafür ein Ber
liner Senator nicht sorgen kann - selbst wenn er wollte.
Präsident Wohlrabe: Herr Hopmann!
Hopmann (AL): Herr Innensenator! Glauben Sie denn, daß
der entmilitarisierte Status der Stadt der durch das Vier-
Mächte-Abkommen gesichert ist, meine persönliche Ansichtssa
che ist? Glauben Sie eigentlich, daß es noch zeitgemäß ist,
Totalverweigerer auszuliefern, während diese in der DDR schon
seit drei Jahren nicht mehr verfolgt werden und in der DDR die
Soldaten aus den Kasernen wegiaufen?
Präsident Wohlrabe: Herr Senator, bitte!
Pätzold, Senator für Inneres: Herr Abgeordneter Hopmann!
Es steht jedem Bürger frei, seine Vorstellungen von einem entmi
litarisierten Status von Berlin oder West-Berlin zu haben. Es ist
nur so, daß formell darüber nun wirklich die Alliierten entschei
den, die für die Entmilitarisierung Berlins gesorgt haben und sie
40 Jahre lang aufrecht erhalten haben. Auf deren Entscheidung
kommt es an. Die Alliierten haben nun einmal entschieden, daß
diese Frage nichts mit dem so oder so zu beurteilenden entmilita
risierten Status zu tun hat. Ich wäre auch dankbar, wenn die rela-
Präsident Wohlrabe: Den Schlüsseldienst müssen wir zah
len! - Herr Senator!
Pätzold, Senator für Inneres: Herr Abgeordneter! Ich weiß
nicht, ob ich das so bestätigen kann, wie Sie gefragt haben. Die
Polizei ist jedenfalls gehalten, insbesondere nach dem Grund
satz der Verhältnismäßigkeit zu handeln. Ich finde, daß sie das in
hervorragender Weise getan hat. Im übrigen ist der Präsident
des Abgeordnetenhauses Inhaber der Haus- und Polizeigewalt
im Bereich des Abgeordnetenhauses. Wie sich der Präsident
des Abgeordnetenhauses, der auch Ihre Rechte - die Rechte
aller Abgeordneten - zu wahren hat, mit der Polizei auseinander
setzt, ist seine Sache. Und ich finde - wenn ich mir dieses Urteil
erlauben darf -, daß beide Seiten ihre Sache ordnungsgemäß
vollzogen haben.
Die Frage nach der Bezahlung des Schlüsseldienstes ist eine
eher nachrangige Frage. Ich bekenne freimütig, daß ich es nicht
weiß.
Präsident Wohlrabe: Damit ist diese Anfrage erledigt.
Wir kommen jetzt zur Mündlichen Anfrage des Kollegen Adler
über
I
Zuwachsraten der Straßenkriminaiität
Herr Adler, Sie haben das Wort!
Adler (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
frage den Senat:
1. Teilt der Senat die Auffassung des Landesbezirksvorsitzen
den der Gewerkschaft der Polizei, die Entwicklung der Straßen
kriminalität in Berlin nehme mehr als besorgniserregende Aus
maße an?
2. Sind die von der Gewerkschaft genannten Steigerungssra-
ten - Januar 1990 im Vergleich zum Januar 1989 - zutreffend:
- Diebstähle aus Kfz
ca.
45 o/o,
- Wohnungseinbrüche
ca.
65 %,
- Taschendiebstähle
ca.
113 0/o,
- Raubstraftaten
ca.
80 o/o?
Präsident Wohlrabe: Das Wort zur Beantwortung hat Herr
Senator Pätzold - bitte!
Pätzold, Senator für Inneres: Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich beantworte die Mündliche Anfrage wie folgt:
Zu Frage 1: Ja. Die Polizeibehörde ist dem Anstieg der Stra
ßenkriminalität durch verstärkte Einsätze begegnet. So wurden
im Monat Januar 1990 fast 40 000 Einsatzstunden zur Bekämp
fung der Straßenkriminalität geleistet. Damit wurde der Monat
Januar 1989 um etwa 14 000 Einsatzstunden, also um mehr als
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