Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
25. Sitzung vom 22. Februar 1990
RBm Momper
Mut, gegen die Obrigkeit aufzustehen, über die Solidarität zwi
schen den Menschen bis hin zur gleichberechtigten Teilhabe der
Frauen im Beruf. Das alles kann die DDR einbringen.
[Beifall bei der SPD -
Unruhe bei der CDU]
Auch wenn uns die Entwicklung in der DDR sehr bewegt, die
sozialen und politischen Probleme in unserem Alltag bleiben uns
erhalten. Sie werden mit dem Hinweis auf die Einheit nicht
gelöst. Die Fragen der Bewahrung der natürlichen Umwelt, der
Politik einer sozialen Gerechtigkeit und Liberalität in der Innenpo
litik sowie in der Ausländerpolitik bleiben ganz oben auf der
Tagesordnung. Deshalb hält der Senat jetzt erst recht an der
Politik des ökologischen Stadtumbaus fest. Sie ist für West-Ber
lin genauso richtig, wie sie für Ost-Berlin notwendig ist.
[Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Köppl (AL)]
Es gibt keine Alternative zum Ausgleich zwischen Ökonomie
und Ökologie. Die Wiederherstellung der Einheit unserer Stadt
ist nicht das Einfallstor für die alte umweltfeindliche Politik. Es
gibt keinen Grund, neue Autobahnen zu planen,
[Beifall bei der SPD und der AL]
es gibt aber viele Gründe, das Netz der S-Bahn wieder zu ver
knüpfen.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Es gibt keinen Grund, die Flächenknappheit nunmehr für aufge
hoben zu erklären und auf Verdichtung und flächensparendes
Bauen zu verzichten. Jeder zubetonierte, zugebaute Quadratme
ter Grünfläche ist unwiederbringlich ein Stück verlorene Natur.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Buwitt (CDU): Die schwächste Regierungserklärung,
die je zu hören war!]
Das bleibt eine einschränkende Bedingung für künftiges Bauen.
[Unruhe bei der CDU]
Weil die Ausuferung der Stadt über Jahrzehnte künstlich auf
gehalten wurde, haben wir jetzt die einmalige Chance, die Ent
wicklung der Stadt und dieser Region ökologisch zu planen
und die Fehlentwicklungen anderer Ballungsräume zu vermei
den. Das gilt auch für die Verminderung und Beseitigung des
Abfalls aus unserer Stadt. Keine hochverdichtete Stadt kann das
auf ihrem begrenzten Stadtgebiet allein bewältigen. Ich bedaure
deshalb, daß die DDR sich nicht an die geltenden Verträge
gehalten hat. Ich habe Verständnis dafür, daß die Anwohner der
Deponien in der DDR der Grundwasserverseuchung Einhalt
gebieten wollen, aber die notwendigen Veränderungen können
nicht von heute auf morgen geleistet werden. Das braucht einige
Zeit. Wir wollen zur Sanierung der Deponien in unserem Umland
beitragen. Der Regionalausschuß ist ein geeignetes Gremium
zur Koordination dieser Politik, mit der die Zukunftsperspektive
des Großraums Berlin planvoll erarbeitet werden soll. Auch hier
geht es um gleichmäßiges Wachsen und nicht etwa um
Wuchern.
Die Entwicklung in und um Berlin muß im Gleichklang mit der
gesamten deutsch-deutschen Entwicklung erfolgen.
[Beifall bei der SPD]
Die Einigung der Stadt und die Herstellung einer gemeinsamen
Stadtverwaltung ist nicht vorstellbar ohne die vorherige Herstel
lung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Die Einheit ist
uns sicher. Wir müssen sie jetzt Schritt um Schritt organisieren,
damit der Übergangsprozeß den Menschen nicht schadet. Die
Forderung der CDU, die Einigung Berlins vorzuziehen und iso
liert zu betreiben, ist verfehlt, denn sie bewirkt ein Chaos.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Wir können kein isoliertes Währungsgebiet für Groß-Berlin
errichten, wir müssen warten, bis die Währungsunion insgesamt
geschaffen ist. Alles andere würde zu einer Ausweitung von
Schwarzmarkt und Schwarzarbeit und am Ende zur sozialen
Destabilisierung auch bei uns führen. Ebenso unsinnig ist die (C)
Forderung, Gesamtberliner Wahlen vor der Vereinigung der
beiden deutschen Staaten abzuhalten.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Welche Kompetenzen sollte denn ein solches Gesamtberli
ner Parlament haben? Ein gemeinsames Parlament bedeutet
auch eine gemeinsame Verwaltung und eine gemeinsame Wäh
rung. Alles, was geplant und geordnet geschehen soll, geriete
sonst sofort ins Trudeln. Die Forderungen der CDU sind eine
leichtfertige Effekthascherei. Sie satteln auf eine Entwicklung in
Richtung der Einheit Forderungen auf, die die Stabilität der Ent
wicklung gefährden.
[Beifall bei der SPD -
Landowsky (CDU): Sie waren immer gegen
die Einheit ...! -
Weitere Zurufe von der CDU]
Wir wollen die Einheit der Stadt mit einem durch Wahlen legiti
mierten Partner in Ost-Berlin vorbereiten und organisieren. Es
wäre richtig, nach einem solchen Wahltermin gemeinsame Ver
sammlungen der beiden Parlamente und der Stadtregierungen
stattfinden zu lassen. Mit dem Regionalausschuß hat der Senat
einen Vorläufer für ein solch paritätisch zusammengesetztes Be
ratungsgremium schon sehr früh initiiert.
Mit dem geplanten Austausch von Verwaltungsbeamten trei
ben wir das Zusammenwachsen der beiden Stadtverwaltungen
weiter voran. Das ist der richtige Weg, den wir gehen werden.
[Beifall bei der SPD -
Zuruf von der CDU: Mit Krack zusammen!]
Die Konferenz von Ottawa hat für uns Deutsche einen
großen Fortschritt gebracht. Über die Zukunft der Deutschen
wird mit den Deutschen zusammen verhandelt werden. Die For
mel Zwei plus Vier sagt: Zwei deutsche Staaten und die vier Sie
germächte werden am Verhandlungstisch sitzen. Dieser Erfolg
ist dadurch ermöglicht worden, daß auch der sowjetische (q)
Staatschef Gorbatschow eindeutig allen Deutschen das Recht
auf Selbstbestimmung zuerkannt hat. Das dokumentiert einen
entscheidenden Kurswechsel der sowjetischen Politik in der
deutschen Frage. Daß die Sowjetunion dabei vor dem Hinter
grund ihrer historischen Erfahrungen mit den Deutschen ihre
Sicherheitsinteressen einbringt, ist verständlich; das wollen wir
akzeptieren. Wenn wir Deutschen dieses Sicherheitsinteresse
respektieren, ist das schon ein Element von Sicherheitspartner
schaft in Europa.
[Beifall bei der SPD]
Folgerichtig muß dem Vorschieben der NATO bis zur polni
schen Grenze eine klare Absage erteilt werden.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Weil zwischen dem Zeitpunkt der Vereinigung der beiden
deutschen Staaten und der späteren Schaffung einer neuen
europäischen Friedensordnung keine sicherheitspolitische
Destabilisierung, etwa zu Lasten Polens oder der Sowjetunion,
entstehen darf, habe ich vorgeschlagen, für eine Übergangs
zeit -
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Entschuldigen sie bitte,
Herr Momper! - Ich muß bitten, das auf der Besuchertribüne ent
rollte Plakat herunterzunehmen.
Momper, Regierender Bürgermeister: - die Vier-Mächte-
Verantwortung, wie wir sie heute für Groß-Berlin kennen, in
allen militärischen Angelegenheiten auf das Gebiet der heutigen
DDR auszudehnen und dieses Gebiet ebenso wie Berlin zu ent
militarisieren. Das heißt, ebenso wie hier dürfen dann auch auf
dem Gebiet der heutigen DDR keine deutschen Truppen statio
niert werden. Sowjetische Truppen könnten für die genannte
Übergangszeit unter der Kontrolle und Beobachtung der Vier
Mächte auf dem Gebiet der heutigen DDR bleiben, und zwar in
ebenso großer Zahl, wie amerikanische, britische und französi
sche Truppen in Westdeutschland und West-Berlin stationiert