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Volume Nr. 18, 16. November 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
18. Sitzung vom 16. November 1989 
824 
Diepgen 
(A) Ich halte es für einen politischen Skandal, wenn der Regie 
rende Bürgermeister öffentlich erklärt, es sei jetzt nicht mehr so 
wichtig, was mit der Mauer geschehe. Übrigens auch die Öff 
nung des Brandenburger Tores hat der Regierende Bürgermei 
ster gestern oder vorgestern 
[Zuruf: Vorgestern!] 
für nicht so interessant gehalten. 
[Zuruf von der CDU: Unerhört!] 
Ich stelle die Frage, Herr Regierender Bürgermeister: In welcher 
Stadt leben Sie eigentlich? 
[Beifall bei der CDU] 
Ich halte es für schlimm, wenn der zweitwichtigste Mann der 
SED, Herr Modrow, ausgerechnet den Regierenden Bürgermei 
ster von Berlin zum Zeugen dazu aufrufen kann, daß die Mauer 
nicht abgebrochen werden muß. Ich halte das für schlimm! 
[Beifall bei der CDU] 
Jedenfalls wir sagen; Die Mauer kann weg, die Mauer muß weg, 
und die Mauer wird auch fallen! Sie wird als Bauwerk aus Beton 
und Stacheldraht verschwinden - und zwar bald. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich habe meine Kritik an dem Regierenden Bürgermeister hier 
eben sehr vorsichtig formuliert. 
[Unruhe bei der SPD und der AL] 
Wenn sich die deutsche Nation trotz staatlicher Teilung auf den 
Straßen vereint, dann dürfen die Politiker sich nicht wie die Kes 
selflicker streiten. Mir liegt hier daran, Helmut Kohl und Willy 
Brandt für ihre heutigen Reden im Deutschen Bundestag aus 
drücklich zu danken. 
[Beifall bei der CDU] 
/gN Diese Reden waren deshalb so bedeutsam und so wertvoll, weil 
sie den Menschen in Ost und West Mut macht, daß unsere 
Demokratie über Persönlichkeiten verfügt, die einer solchen 
historischen Situation gewachsen sind und sich in der Gemein 
samkeit der Demokraten diesen ganz neuen und ganz außeror 
dentlichen Aufgaben stellen. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich finde, daß es für Berlin und für dieses Haus bedrückend 
und beschämend ist, daß ausgerechnet der Regierende Bürger 
meister von Berlin die Debatte im Deutschen Bundestag 
- eine Debatte in einem Schicksalsmoment für das immer noch 
geteilte Deutschland - zur Parteipolemik genutzt hat. Er hat das 
getan in einem Augenblick, in dem es in erster Linie um Sorgen 
und Chancen der von ihm vertretenen Stadt Berlin und der Bür 
ger dieser Stadt ging. 
[Beifall bei der CDU] 
Herr Momper, Sie behaupten, die Debatte im Deutschen 
Bundestag zum Bolzen und zum Treten nutzen zu müssen - 
[Zuruf von der CDU] 
und dieses übrigens vor erstarrten und eisigen Mienen in der 
gesamten ersten Bank Ihrer eigenen Fraktion. Das war ein Stück 
Hoffnung für mich. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich habe den Eindruck, Willy Brandt hat sich nicht nur für das 
Verhalten von vielen aus der heutigen Koalition in Berlin am ver 
gangenen Freitag geschämt, sondern auch für Ihre heutige 
Rede. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich hoffe, daß Sie Ihren Fehltritt so langsam begriffen haben. 
[Widerspruch bei der SPD - Zurufe - Unruhe] 
- Die Unruhe, die bei der Sozialdemokratischen Fraktion in den 
ersten Reihen festzustellen ist, ist vielleicht auch ein Stück Hoff 
nung, daß Sie genauso empfinden wie ich und viele, viele Tau 
sende Fernsehzuschauer, die diesen peinlichen Auftritt dieses (C) 
Regierenden Bürgermeisters miterleben mußten. 
[Beifall bei der CDU und den REP - Starke Unruhe bei 
der SPD] 
Sie werden mir zustimmen, daß ich mich um sehr zurückhaltende 
Formulierungen bemühe, denn nach meiner festen Überzeugung 
[Erhebliche Unruhe - Glocke des Präsidenten] 
geht es mehr um Gemeinsamkeiten. Gemeinsamkeit ist das 
Gebot der Stunde! 
[Dr. Niklas (SPD): Und Herrn Gero Pfennig kennen Sie 
wohl gar nicht...? - Erhebliche Unruhe bei der SPD] 
Trotz dieses Regierenden Bürgermeisters steht dem Senat 
diese Gemeinsamkeit zur Lösung der vor uns liegenden großen 
Aufgaben ausdrücklich an. 
[Beifall bei der CDU] 
Die Gemeinsamkeit, die wir anstreben, findet aber ihre Gren 
zen, und zwar in wenigstens drei Punkten: 
[Erhebliche Unruhe - Zurufe] 
Erstens; Die CDU hält fest an dem Ziel der Selbstbestim 
mung. In der Koalitionsvereinbarung von SPD und AL steht das 
Bekenntnis zur fortdauernden Zweistaatlichkeit Deutschlands 
- übrigens einschließlich der Mauer. Das ist bisher nie wider 
rufen worden - im Gegenteil. Noch vor ein paar Wochen hat der 
Regierende Bürgermeister es als Chance für Europa bezeichnet, 
wenn es zwei deutsche Staaten gibt! Wir allerdings sagen: An 
der Zweistaatlichkeit auf Dauer festzuhalten, ist nichts anderes 
als die Absage an die Selbstbestimmung! 
[Beifall bei der CDU] 
Die Freiheit zur Selbstbestimmung schreibt ein Ergebnis bei 
der Ausübung dieses Rechts nicht vor. Niemand darf das Ergeb 
nis des Selbstbestimmungsrechts vorab festlegen! ^ 
[Beifall bei der CDU - Demonstrativer Beifall bei der 
SPD und der AL] 
Wir wollen die Einheit Deutschlands, und wir werben für diese 
Einheit Deutschlands! 
[Beifall bei der CDU] 
Und wir sind davon überzeugt, daß die Deutschen für die Einheit 
stimmen werden, wenn sie dies können, wenn die Voraussetzun 
gen dafür gegeben sind. 
[Kern (SPD): Das überlassen Sie mal den Deutschen!] 
Und übrigens, wenn Sie mal ein bißchen nachlesen und etwas zu 
differenziertem Überlegen bereit sind, dann werden Sie feststel 
len, daß beispielsweise die Vertreter der Sozialdemokratischen 
Partei in der DDR zu den Fragen der Einheit eine ganz andere 
Position einnehmen, als die ideologisch vorbestimmten Formu 
lierungen von Ihnen das überhaupt nur zulassen. 
[Beifall bei der CDU - Dr. Staffelt (SPD); Stimmt doch 
gar nicht! - Frau Korthaase (SPD): Diepgen-Märchen!] 
Wir schreiben dies niemand vor. Ich halte aber fest: Die Absage 
an die deutsche Einheit ist der eigentliche Akt der Bevormun 
dung der Deutschen in der DDR. 
[Beifall bei der CDU] 
Denn die Formulierung und die Zielsetzung, daß man selbst 
gegen den Willen der Deutschen in der DDR - so formuliert von 
der Alternativen Liste - an der Zweistaatlichkeit festhalten will - 
das ist Bevormundung der Menschen, und zwar in einer ganz 
schlimmen Art und Weise. 
[Beifall bei der CDU] 
Und noch eines; Man kann nicht Berlin als ungeteilte Stadt 
und gleichzeitig zwei deutsche Staaten wollen. Wer zwei deut 
sche Staaten und ein Berlin will, der will entweder das ganze 
Berlin in die DDR eingliedern, 
[Widerspruch bei der SPD] 
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