Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
23. Sitzung vom 18. Januar 1990
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Frau Dr. Schramm
(A) Und da fängt es an, daß wir nicht als Einheit sprechen können.
Es gibt unterschiedliche Optionen für die Zukunft, es gibt
unterschiedliche Pläne, wie die Dinge zu erreichen sind, und es
gibt unterschiedliche Strategien.
[Wronski (CDU): Und es gibt noch Kontakte zur SED!]
Wir können nicht als „Wir“ hier reden, und wir können uns auch
nicht davor drücken, ein Subjekt zu nennen. Wir sind das Sub
jekt, und deshalb, weil es keine Einheitsfront in der deutschen
Frage gibt und schon sehr lange nicht mehr gibt, kann die Formel
nicht mehr gesprochen werden
[Zurufe von der CDU]
- es sei denn, wir behalten diese Unehrlichkeit oder Dominanz
[Anhaltende Zurufe von der CDU]
oder Tradition bei, ohne das „Wir“ zu sprechen, ohne zu sagen,
was wir eigentlich machen wollen.
Wir meinen zum Beispiel - ich weiß, Sie von der CDU meinen
etwas anderes; das ist Ihr gutes Recht; und die von der SPD
meinen wieder etwas anderes, und wieder andere meinen ganz
etwas anderes -,
[Wronski (CDU): Bei wem haben Sie das alles
gelernt?]
daß alle Kooperationen, alle Unterstützungen, alle menschlichen,
kulturellen, wissenschaftlichen konkreten Kontakte, auch das
Zusammenwachsen zwischen Kulturen stattfinden kann ohne
staatliche Einheit - das ist der einzige Unterschied.
[Zurufe von der CDU]
Wir meinen, daß die staatliche Einheit keine notwendige Voraus
setzung ist für vieles, was wir zwar nicht inhaltlich, aber in der
Form ähnlich wollen wie Sie. Ich will, daß die Wissenschaftler
Zusammenarbeiten,
(B)
[Dr. Heide (CDU): Darum schaffen Sie die
Akademie der Wissenschaften ab, ja?]
daß Studenten dort und hier studieren können, daß der Umwelt
schutz gemeinsam angegangen wird. Im Detail - ob man dieses
oder jenes Projekt bevorzugt - gibt es Unterschiede, aber in der
großen Zielsetzung, daß man die Stadtplanung, daß man dies
alles zusammen macht, doch nicht.
Wegen der - sage ich jetzt - außenpolitischen Komponente in
erster Linie und weil die staatliche Einheit keine Vorbedingung
für die Kooperation ist und wegen der ungeheuren Gefahr, daß
das Gleichgewicht in Europa durcheinander kommt, daß die
UdSSR isoliert wird,
[Zurufe von der CDU: Ja! Natürlich!]
daß - das ist jetzt ein Sprung - durch diese sehr stark mitteleuro
päisch zentrierte Entwicklung die USA isoliert werden, fände ich
es eine falsche Politik, wenn es zu dieser Einheit käme. Langfri
stig gedacht, wäre die Entwicklung ungeheuer riskant, und da
überspringt die Formel mit ihrem „Wir“, die Probleme einer staat
lichen Einheit in einem europäischen Raum, der Friedensrege
lung.
[Zurufe von der CDU]
Solange das nicht gelöst ist, solange wir nicht wissen, was
vorrangig ist, meinen wir - Sie nicht; das ist Ihr gutes Recht; und
die dort nicht und die anderen hier auch nicht; aber wir meinen -,
eine staatliche Einheit ist nicht das Ziel. Und deshalb können wir
diese Formel nicht sprechen.
Ich bin froh, daß unterschiedliche Positionen ehrlich anerkannt
werden. Es war nicht möglich, den Anfangssatz; „Wir bekunden
unseren Willen, daß wir...“ - wie geht es weiter? - gemeinsam
fortzuführen, sich in diese Realität zu fügen - das ist bitter für
Sie, es ist eine gewisse Erleichterung für uns - und auf die For
mel zu verzichten. Ich denke, das ist würdiger, ehrlicher
[Landowsky (CDU); Also, Würde ist es nicht!]
und auch der Pluralität der Meinungen angemessener als das, (C)
was bisher hier abgelaufen ist. - Ich danke für Ihre Aufmerksam
keit!
[Beifall bei der AL und der SPD -
Bartsch (REP); Ihnen sollte man die Diäten sperren!]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Weitere Wortmeldungen
liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Die CDU fordert
die namentliche Abstimmung. Ich bitte die Herren Führer und
Bayer, an der Wahlurne, die gleich aufgestellt wird, den Abstim
mungsvorgang zu kontrollieren. Und ich bitte wieder Herrn Vet
ter, daß er die Namen verliest.
[Aufruf der Namen und Abgabe der Stimmkarten]
Darf ich fragen, ob alle Abgeordneten die Möglichkeit hatten,
sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Das ist offensichtlich
der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Beisitzer, das
Abstimmungsergebnis festzustellen. Zuvor möchte ich noch
bekanntgeben, daß der Herr Abgeordnete Degen eine - nach
seiner Ansicht falsche - Stimmkarte abgegeben hat. Er hat die
Ja-Karte eingeworfen, wollte aber mit „Nein“ stimmen. Das wird
so bei der Auszählung berücksichtigt. - Ich bitte, nun mit der
Auszählung zu beginnen.
[Auszählung]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Ich bitte wieder Platz zu
nehmen, damit ich das Abstimmungsergebnis bekanntgeben
kann: Abgegebene Stimmen 122, davon stimmten mit ja 70, mit
nein 52, keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag angenommen,
daß ab sofort die Eingangsformel zur Eröffnung der Sitzung des
Abgeordnetenhauses von Berlin entfällt.
[Beifall bei der AL]
Wir kommen nunmehr zur
lfd. Nr. 26, Drucksache 11/558: (D)
Vorlagen - zur Kenntnisnahme - gemäß Artikel 47
Abs. 1 VvB
Überweisungsanträge liegen nicht vor. Ich stelle somit fest,
daß das Haus von den Verordnungen Kenntnis genommen hat.
Lfd. Nrn. 27 bis 29 sind bereits durch die Konsensliste erle
digt.
Ich rufe auf
lfd. Nr. 30;
a) Drucksache 11/521:
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion
der AL über Änderung der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin
b) Drucksache 11/522:
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion
der AL über Änderung des Geschäftsbereichs
des Ausschusses für Bundesangelegenheiten
und Gesamtberliner Fragen
Mir ist signalisiert worden, daß dazu nicht gesprochen wird, so
daß wir zur Empfehlung des Ältestenrats kommen, die Überwei
sung beider Anträge an den Rechtsausschuß - federführend als
Geschäftsordnungsausschuß - und an den Ausschuß für
Bundesangelegenheiten und Gesamtberliner Fragen. - So
beschlossen.
Lfd. Nrn. 31 bis 36 sind bereits durch die Konsensliste erle
digt.
Lfd. Nr. 37, Drucksache 11/539:
Antrag der Fraktion der REP Uber Entzug des Ver
trauens gemäß Artikel 42 Abs. 2 VvB