Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
23. Sitzung vom 18. Januar 1990
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Bogen
Durch die inzwischen erfolgte Genehmigung nach § 4
des Energiewirtschaftsgesetzes ist die Beschlußempfeh
lung überholt. Die 380-kV-Leitung wird errichtet. Wenn
sich die SPD hinsichtlich der Stromtrasse nicht durch
gesetzt hätte, wäre Berlin noch mehr in Richtung einer
Provinzstadt abgedriftet.
Ein Ziel der Beschlußempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft vom 4. Dezember 1989 in Sachen Stromver
bund sollte auch sein, einen regionalen Energieverbund
zwischen den beiden Teilen unserer Stadt zu fördern.
Hierbei wurde übersehen, das Stromnetz Ost-Berlins mit
dem des RGW verknüpft ist. Dieses Netz hat nicht die bei
uns übliche Frequenzstabilität. Das West-Berliner Netz
ließe sich in einen solchen Energieverbund nur über eine
kostenaufwendige und ernergievernichtende Gleich
stromkopplung einbeziehen. Das wäre aber ein techni
scher Rückschritt. Das West-Berliner Netz an das fre
quenzunstabile RGW-Netz anzuschließen, also unseren
Stromstandard auf Ostblockniveau zu drücken, kann
doch nicht das Ziel der Ökosozialisten von der AL sein.
Denn in diesem Fall würden wir auch aus demrOsten
Atomenergiestrom beziehen. Andererseits muß die DDR
daran interessiert sein, die jetzt noch geplante Gleich
stromkopplung einzusparen, die einen Anschluß ihres
Netzes an das westeuropäische Netz ermöglicht. Hierzu
muß die DDR sich vom RGW-Netz abkoppeln und den
Strom so frequenzstabil erzeugen, wie das internationaler
Standard ist. Das ist im Rahmen eines Zusammenwach
sens beider Teile Deutschlands genauso unabdingbar
wie die Konvertibilität der DDR-Mark. Sobald in der DDR
marktwirtschaftliche Verhältnisse herrschen, wird auch
deren Strom-Standard den Regeln der westlichen Welt
entsprechen.
Die AL verfolgt mit der von ihr initiierten Beschlußemp
fehlung das Ziel, daß kein preiswerter in Kernkraft
werken erzeugter Strom in unsere Stadt gelangt. Früher
oder später zwingt aber der Wettbewerb dazu, auch in
unserer Stadt den angebotenen preiswerten, mit Hilfe
von Kernenergie hergestellten Strom zu nutzen. In Frank
reich hat die Umstellung auf Kernenergie zur Halbierung
der Stromkosten gegenüber unseren Preisen geführt. Wir
und insbesondere unsere Industrie haben einen
Anspruch auf preiswerte Energie, eine der wichtigsten
Voraussetzungen für ein unternehmensfreundliches Um
feld. Daß Berlin in dieser Hinsicht nicht zur Provinz wird,
muß verhindert werden.
Selbst die DDR hat angesichts der Braunkohleproble
matik längst eingesehen, wie wichtig die Kernenergie ist.
Leider sind die rund um Berlin errichteten Kernkraftwerke
mit einer äußerst rückständigen Technik aus der
UdSSR versehen. Es ist die Technik des Kernkraftwerkes
Neoworonesch 2. Ich habe im Jahr 1973 dieses Kern
kraftwerk besichtigt. Besonders bleibt mir in Erinnerung,
wie der Leiter dieses Kraftwerkes auf meine Eintragung
im Gästebuch reagierte. Ich wünschte einen stets stö
rungsfreien Betrieb, was zu einer regelrechten Verbrüde
rungsszene führte. Denn ich ich hatte damit verdrängte
Sorgen angesprochen.
Mit der Ablehnung des Stromverbundes offenbart die
AL ihr wahres Gesicht; Der Umweltschutz kann jedenfalls
nicht das Ziel dieser Partei sein, denn ein Strombezug ist
natürlich umweltfreundlicher als die mit starken Abgasbe
lastungen verbundene Stromerzeugung aus Öl und
Kohle.
Um auf die Beschlußempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft zurückzukommen, ist festzustellen, daß Nach
verhandlungen nicht das Gebot der Stunde sind. Viel
wichtiger ist es, hinsichtlich der Kabeltrasse in unserer
Stadt keine weitere Zeit mehr zu verlieren. Eine Freilei
tung hätte 80 Millionen DM gekostet. Die Verlegung zum
Teil als Erdkabel würde die Kosten auf 350 Millionen DM
hinauftreiben. Wegen der erforderlichen umfangreichen
Vorarbeiten wie Bodenuntersuchungen, die auch neue
Probleme aufwerfen, worauf die AL nur wartet, wird unnö
tig viel Zeit vergeudet. Zur Zeit ist noch nicht einmal die
genaue Lage einer unterirdisch zu verlegenden Trasse
klar. Deshalb sollte zunächst die gesamte innerstädtische
380-kV-Leitung als Freileitung verlegt werden. Nachträg
lich könnten dann einzelne Abschnitte zu gegebener Zeit
ohne Termindruck unterirdisch verlegt werden. Nur in
diesem Fall ließe sich der für das Jahr 1992 geplante
Inbetriebnahmetermin einhalten.
Abschließend muß noch auf einen Widerspruch hinge
wiesen werden: Wie will der Senat eine Olympiade för
dern, wenn sein Koalitionspartner Berlin zum Ökodorf ver
kommen lassen will?
(C)
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Dann spricht jetzt für die
AL-Fraktion Herr Berger.
Berger (AL): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich
gebe nichts zu Protokoll, sondern lasse die Gelegenheit nicht
entgehen, auf das Thema Stromverbund, bei dem wir von der
Alternativen Liste eine sehr konfliktreiche Position in der Stadt
politik eingenommen haben, noch einmal einzugehen. Und ich
lasse mir vor allen Dingen die Gelegenheit deshalb nicht neh
men, weil wir einen Antrag vorliegen haben, der, was seine Ver
wirklichung oder Nichtverwirklichung betrifft, sehr merkwürdig
ist. Darauf sind leider meine Vorredner nicht eingegangen; auch
nicht Sie, Herr Niklas! Darauf möchte ich noch einmal eingehen,
zunächst auf die Intention dieses Antrags.
Es geht nur scheinbar um einen CDU-Antrag; es handelt sich
um einen Ersetzungsantrag von SPD und AL. Ende des letzten
Jahres hatte ich die Hoffnung, daß der Vertrag, der politisch wohl
insgesamt nicht mehr zu verhindern war, doch noch in einigerma
ßen vernünftige Bahnen gelenkt werden könnte. Dieser Antrag,
über den wir reden - das muß ich kurz zitieren -, besagt:
Der Senat wird aufgefordert, Möglichkeiten einer der verän
derten Situation angepaßten Modifikation des Stromliefe
rungsvertrags zu überprüfen.
Mit der „veränderten Situation“ war gemeint; Nach der Öff
nung der Grenzen sich die Demokratisierung in der DDR, auch
den Schwung einer ökologischen Umorientierung der Energie-
und Wirtschaftspolitik der DDR, die wir damals erwartet haben,
zunutze zu machen!
[Buwitt (CDU): Wann war das?]
Und das war Ende letzten Jahres. Eine Woche, nachdem dieser
Antrag im federführenden Wirtschaftsausschuß angenommen
worden war, hat der Senat einen Beschluß gefaßt, der diese
Modifikation ausdrücklich nicht vorsah. Das Merkwürdige an
diesem Antrag - ich versuche, dies in der kurzen Zeit zu erläutern
- ist, daß er mir heute wieder aktuell zu sein scheint, weil die
Bewag signalisiert hat, daß die Trassenführung, die ihr vom
Senat vorgegeben wurde, nicht realisierbar sei.
Der Antrag war ein unerfüllter, sehr wichtiger Auftrag, der nicht
nur an den Senat, sondern an alle vertragschließenden Parteien,
auch an die DDR und die beteiligten Energieversorgungsunter
nehmen gerichtet war, ein dringender Appell, sich in der Sache
Stromlieferungsvertrag noch einmal ernsthaft zu überlegen, ob er
nicht in zwei Richtungen geändert werden kann und muß. Ich
benenne sie einmal ganz global, um von den technischen Um
ständen abzusehen. Zum einen in die Richtung, einen Regional
verbund im Raum Berlin in der Energieversorgung herzustel
len; denn wir reden ständig über die Frage, wie nach Öffnung
der Grenzen eine regionale Politik geführt werden kann, und
über den Regionalverbund waren wir uns im Parlament im Prinzip
weitgehend einig. Wenn ich Herrn Pieroth richtig verstanden
habe, hat er gesagt, daß er ursprünglich auch in dieser Richtung
mit einer damals noch autoritär regierten DDR verhandelt hat.
[Palm (CDU): Zusätzlich!]