Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
18. Sitzung vom 16. November 1989
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Frau Leyk
(A) relativ locker gesehen und sich bestimmter Überbauung und
Zusatzbauten nicht verschlossen gezeigt hat. Das ist ein guter
Weg, wie wir weiterkommen können.
[Beifall bei der SPD]
Präsident Wohlrabe: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor. - Doch, Entschuldigung! Herr Kollege Michaelis! - Ich bitte,
die Wortmeldungen rechtzeitig abzugeben.
Michaelis (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die vorliegende Drucksache ist ein anschauliches Beispiel dafür,
wie gut diese Koalition funktioniert. Von da her wäre es wirklich
abwegig, wenn wir uns an dieser Stelle nicht mehr zur Rede mel
den wollten. Es gilt, ein kleines bißchen für diesen Bereich zu fei
ern. Hier ist es unter Rot-Grün gelungen, der Politik wirklich eine
andere Richtung zu geben. Wir haben etwas verhindert, was
falsch angelegt war, und in die richtige Richtung gebracht.
[Beifall bei der AL -
Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Aus meiner Sicht der Dinge hat es auf Anregung der AL-Frak-
tion im Frühsommer eine Anhörung zur studentischen Woh
nungsnot gegeben. Dabei mußten wir feststellen, daß das Stu
dentendorf Schlachtensee im wesentlichen leer steht - in
einigen Gebäuden - und daß die bisherige Planung absolut vor
sah, diese leerstehenden Gebäude abzureißen. Das Argument
für diese Abrißpläne war, daß die Gebäude baulich nicht mehr in
wunderbarem Zustand waren und daß sie - das muß man sich
auf der Zunge zergehen lassen - nicht mehr den Wohnansprü-
chen genügten, wie sie heute von Studenten gestellt werden. Ein
völlig falscher Ansatz, wenn man sich auf der anderen Seite ent
gegenhält, wie hier in der Stadt die Studenten verzweifelt nach
Wohnraum suchen. Man kann so etwas doch nicht abreißen.
Das war auch im Mai schon absehbar, das haben wir gesehen
(B) und umdirigiert. Es kann nicht sein, daß mit der Argumentation,
die Damen und Herren Studenten brauchten ein 2-Zimmer-
Appartement mit Naßzelle, nunmehr dieser Bau, der auf wohnge
meinschaftsähnliche Formen zugeschnitten ist, tatsächlich abge
rissen wird. Es ist erfreulich festzustellen, daß nun in diesem
Haus Konsens darüber herrscht, daß nicht abgerissen wird. Aber
tun Sie bitte nicht so, als ob das Ihre ursprünglichen Pläne
waren. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wollten
dieses Studentendorf, jedenfalls die Gebäude, um die es sich
hier handelt, abreißen.
Aufgrund dieser verfehlten Politik hat es sich auch ergeben,
daß diese Räumlichkeiten sehr lange leerstanden, daß nicht
gleich, wie es von Anfang an gesagt war, hier schnell renoviert
und instandgesetzt werden konnte. Aus diesem Grund besteht
die Gefahr, daß ein sehr viel höherer Investitionsaufwand erfor
derlich ist, um diese Räumlichkeiten instandzusetzen. Es ist
durchaus zutreffend, wenn von der SPD gesagt wird, daß das
jetzt ein sehr zügiges und richtiges Verwaltungshandeln ist, das
man belobigen muß. Es hat schnell Platz gegriffen, und es ist mit
Hilfe des Studentenwerks gelungen - selbstverständlich gelun
gen, bei der Nachfrage -, die Räumlichkeiten sehr schnell zu ver
mieten.
[Vereinzelter Beifall bei der AL]
Wenn wir hier über das Studentendorf reden, ist auch Gele
genheit, noch drei Sätze zur studentischen Wohnungsnot
überhaupt zu sagen. Die Studenten sind eine Klientel, die sehr
stark auf punktuelle Hilfe angewiesen ist. Hier sind Menschen
betroffen, die in ihrer Mehrzahl finanziell nicht so stark dastehen.
Meine Fraktion wird daher selbstverständlich auch Wohnungs
neubau für Studenten unterstützen. Wir werden weiter Initiativen
starten, damit leerstehende Räume Studenten zur Verfügung
gestellt werden, damit sie umgewidmet werden für studenti
sches Wohnen.
Als letztes möchte ich darauf hinweisen, daß aus meiner Sicht
der Dinge auch die Marchstraße in diesen Zusammenhang
gehört, selbst wenn dort nicht nur Studenten wohnen. Dort sind
auch Studenten drin, und man muß tolerant mit diesen Hausbe
setzern umgehen, auch im Licht der hier herrschenden Woh- (C)
nungsnot.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Präsident Wohtrabe: Es gibt keine weiteren Wortmeldun
gen zum Tagesordnungspunkt 19. Wir können abstimmen. Die
Ausschüsse empfehlen Annahme des Antrags. Wer dem Antrag
der Fraktion der AL und der Fraktion der SPD, Drucksache
11/145, seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? -
Einstimmig so angenommen.
Ich darf dann noch mitteilen, daß die lfd. Nrn. 20 bis 22 durch
die Konsensliste bereits erledigt sind.
Wir kommen auf den besprochenen Sitzungsablauf zurück.
Ich rufe daher nunmehr auf
lfd. Nr. 16 A:
a) Aktuelle Stunde
zum Thema „Berlin - eine Stadt der deutsch
deutschen Begegnungen“
b) Erklärung
des Regierenden Bürgermeisters
über „Berlin vor neuen Aufgaben“
c) Drucksache 11/452:
Antrag der Fraktion der REP auf Annahme einer
Entschließung Uber Einheit und Freiheit für
Gesamtdeutschland
d) Drucksache 11/454:
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion
der AL auf Annahme einer Entschließung über
Solidarität des Bundes mit Berlin
Die Rednerfolge ist wie folgt vorgeschlagen worden: CDU, SPD,
REP, AL.
Ich darf jetzt dem Regierenden Bürgermeister das Wort ertei
len.
Momper, Regierender Bürgermeister: Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren I Die Mauer trennt die Berline
rinnen und Berliner nicht mehr. Die Grenzen trennen nicht mehr
Deutsche von Deutschen. Seit dem historischen 9. November
1989 ist freies Reisen in Deutschland wieder möglich gewor
den.
[Kendzia (REP): Das ist doch gar nicht wahr!]
Mit jedem neuen Übergang zwischen Ost und West knüpfen wir
neue Bande, gewinnen wir neue Freunde. Die Mauer ist degra
diert worden zum Relikt des Kalten Krieges und zur Graffiti-
Wand des Westens, Berlin ist lebendiger denn je. Es waren
unbeschreibliche Szenen der Freude, die sich an den Übergän
gen in diesen Tagen abgespielt haben. Jenseits aller Ideologien,
jenseits aller Politik ist das urmenschliche Bedürfnis nach Frei
heit und nach Kontakten mit den Nachbarn wieder deutlich
geworden - 28 Jahre Mauer haben dieses Bedürfnis nicht zer
stören können. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Deut
schen ist sehr lebendig.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Der Besucherstrom von über zwei Millionen Menschen in
wenigen Tagen hat eine beeindruckende Welle der Hilfsbereit
schaft in unserer Stadt ausgelöst. Wie alle mitgeholfen haben
und eigene Initiativen starteten, das war typisch Berlin.