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Volume Nr. 23, 19. Januar 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
23. Sitzung vom 18. Januar 1990 
1185 
Haberkorn 
(A) Es gibt eindeutig Möglichkeiten, über das Wohnungsbin 
dungsgesetz sich mit dem Problem ganz anders zu beschäfti 
gen. Wir können davon ausgehen - so, wie es in München schon 
lange passiert ist Berlin ist ein Gebiet, in dem es Wohnungs 
notstand gibt. Wenn wir diesen Wohnungsnotstand erkennen - 
und alle beschreiben ihn -, dann können wir auch entsprechend 
gesetzliche Vorschriften in Angriff nehmen, um dann konsequen 
ter mit sozialem Wohnungsbau, mit öffentlich geförderten Woh 
nungen umzugehen und diese auch verstärkt für den Personen 
kreis nutzen, der ohne Wohnung ist. ln diese Richtung werden 
wir als AL zusammen mit der SPD gehen - hoffe ich und ich bin 
guten Mutes, daß die auch mitziehen werden. Der Bausenator 
mag sich damit beschäftigen, aber nicht in der Konsequenz, wie 
wir diese Vorschläge jetzt auch noch einmal intensivieren wer 
den. Das heißt, wir wollen, daß der gesamte soziale Wohnungs 
baubestand, das sind rund 400 000 Wohnungen in dieser Stadt, 
so weit eingebunden wird, daß entsprechend daraus auch die 
Belegungsrechte für Personen mit Wohnungsberechtigungs 
schein und Dringlichkeiten zu ziehen sind. Machen wir es so, daß 
wir eine Überlassungsverordnung in dieser Stadt verfügen, 
[Frau Fluhr (SPD): Niemals!] 
eine Überlassungsverordnung, die entsprechend dann auch die 
Bezirksämter in die Situation versetzt, ganz klar über Wohnungs 
bestand einen Überblick zu haben und auch entsprechend 
Zuweisungen zu verfügen, wo Wohnungen leerstehen. Wir kön 
nen es nicht mehr der Verfügungsgewalt der Vermieter überlas 
sen, wen sie in ihre Wohnung herein nehmen wollen oder wen 
nicht. Es gibt keine anderen Lösungsvorschläge. Der beste 
hende Kooperationsvertrag, der mit den gemeinnützigen 
Wohnungsbaugesellschaften abgeschlossen ist, besagt ledig 
lich, daß 3 500 Wohnungsnotfälle, was nicht alles Wohnungs 
lose sind, sondern auch andere Personen mit Dringlichkeit, pro 
Jahr untergebracht werden sollen. Wir haben aber einen 
Bestand von 35 000 Wohnungslosen. Wo sind die Vorschläge, 
was mit diesen Personen passieren soll? Wer will eigentlich 
diesen Bestand an Wohnungslosigkeit abbauen? - Keiner 
macht uns Vorschläge, da konsequent heranzugehen. Von da her 
spitzt sich die ganze Diskussion zu: Wer will welche soziale Stra 
tegie in dieser Stadt fahren? Was soll die nächsten Jahre hier 
passieren? Ist es ein Bekenntnis dazu, den Ausbau von Heim 
plätzen zu intensivieren oder vorrangig sozialpolitisch die Unter 
bringung von Wohnungslosen im sozialen Wohnungsbau zu ver 
anlassen und zu forcieren? 
Wir sind für den zweiten Schritt, denken aber, daß das allein 
nicht ausreichen wird. Nur noch einmal eine Zahl, damit klar wird, 
daß darüber eine Chance besteht, daß mehr Wohnungslose aus 
der Wohnungslosigkeit herauskommen: Bei 400 000 Wohnun 
gen im sozialen Wohnungsbaubestand besteht schon eine Fluk 
tuationsrate von 18 000 bis 20 000 pro Jahr. Da kann man 
schon mehr Wohnungslose unterbringen, als wenn man sie auf 
3 500 - und nur auf diese - beschränkt, wobei wir nicht davon 
ausgehen, 
[Edel (SPD): Herr Haberkorn, es gibt noch andere Leute, 
die Wohnungen suchen!] 
- wobei wir nicht davon ausgehen, Herr Edel, daß es nur um 
Wohnungslose gehen kann, die untergebracht werden, sondern 
um den Personenkreis derer, die WBS-Berechtigung - mit 
Dringlichkeit - haben. Dort muß ein entsprechendes Quotie 
rungsverfahren vorhanden sein, das alle Personengruppen 
- bevorzugt jedoch Wohnungslose - berücksichtigt. 
[Beifall bei der AL - 
Vereinzelter Beifall bei der SPD] 
Wir sind nicht so weit, daß wir sagen: Nur um die Wohnungslo 
sen geht es. - So blind sind wir auch nicht, denn wir wissen auch 
um den Begriff der sozialen Verträglichkeit und können uns nicht 
auf einen Personenkreis beschränken. 
Das wird aber allein auch nioht ausreichen - Frau Stahmer hat 
es selbst angesprochen -, wenn wir in dieser Stadt viele 
Reform-, Sozialisierungs- und Integrationsprojekte - gerade rot- 
grüne Projekte - vorantreiben oder umsetzen wollen über die 
Unterbringung von Haftentlassenen in therapeutischen Wohnge 
meinschaften bis über Schwerbehinderte oder auch HlV-lnfi- (C) 
zierte, Alleinerziehende, die aus der Wohnung rauswollen, Asyl 
bewerber, Aussiedler, Frauenhausbewohnerinnen. Wenn wir alle 
diese Leute integrativ aus ihren Notsituation herausbringen, 
dann heißt dies, daß wir für sie eine andere Art von Vorsorge tref 
fen müssen. Der Senat muß sich für die nächsten Haushaltsbera 
tungen einen Finanzpool überlegen, aus dem entsprechende 
Wohnungen sowohl prophylaktisch angemietet - Großraum 
wohnungen -, notfalls auch Häuser angemietet und angekauft 
werden, meinetwegen auch Eigentumswohnungen. Alles das 
wird billiger sein, als in drei, vier oder fünf Jahren auch nur eine 
Fünf- oder Sechszimmerwohnung für Projekte übernehmen zu 
wollen bzw. anzumieten. Hier muß also ein bißchen weiter als nur 
über den Haushalt 1991 gedacht werden. Hier muß ein Verfü 
gungstopf her, der für solche Projekte rechtzeitig eine Bestands 
sicherung vornimmt. Hier gibt es großen Nachholbedarf. 
Wenn wir davon wegkommen wollen, Notunterkünfte zu 
bauen, und rot-grünen Vereinbarungen näherkommen wollen, 
Notunterkünfte zu reduzieren, dann muß das auch als eine - das 
ist zumindest angesprochen worden - konkretere, intensivere 
Nutzung bzw. Zwischennutzung von Wohnungsleerstand ver 
standen werden. Es bieten sich freie, gemeinnützige Träger an, 
die dort aktiv tätig werden sollen; auch hier habe ich das Gefühl, 
daß seitens des Senats damit zu defensiv umgegangen wird. 
Natürlich funktioniert die Zwischennutzung von Leerstand nur, 
wenn man anschließend auch weiß, wie man die Leute dann wie 
der unterbringt. Die Angst, damit defensiv umzugehen - nicht zu 
wissen, wohin, und daß dann evtl, mit diesen hin- und herfungiert 
wird -, ist begründet. Das kann aber schon funktionieren, wenn 
mehr Belegungsbefugnisse für Wohnraum da sind. Wir werden 
um die Anwendung des § 5 a Wohnungsbindungsgesetz nicht 
herumkommen, es sei denn, es gibt noch irgendwelche überzeu 
genden Argumente, wie mit 35 000 und mehr Obdachlosen in 
dieser Stadt umgegangen werden soll, wie diese aus ihren Not 
unterkünften raus sollen. 
Allein die Beschreibung ist mir mittlerweile zu wenig. Die (pj 
Ungeduld bei den Gruppen wird stärker. Nicht umsonst ist die 
Große Anfrage jetzt eingebracht worden, um noch einmal nach 
außen deutlich zu machen, daß das Problem erkannt ist. Aber 
allein das Problem zu erkennen, ohne dabei eine Lösung anzu 
bieten, kann wohl nicht alles ein. Wozu schließen wir Koalitions 
vereinbarungen, in denen wir Abbau von Obdachlosigkeit und 
nicht Verwaltung von Obdachlosigkeit erreichen wollen? Da ist 
noch eine Lücke, ein Handlungsbedarf, der von uns - von der 
Koalitionsregierung - nicht inhaltlich gefüllt ist. Hier ist mir auch 
die Haltung vom Bausenat zu defensiv. Selbst die Dringlichkeit 
für alleinstehende Wohnungslose anzuerkennen, scheint dort 
noch nicht in die Köpfe eingedrungen zu sein, 
[Sen Nagel: Das haben wir Gott sei Dank 
abgeschafft!] 
- Genau das Beispiel, das Herr Nagel da bringt; Gott sei Dank 
abgeschafft. - Er teilt also die Vorstellung, daß alleinstehende 
Wohnungslose auch einmal länger in ihrer Wohnungsnot verhar 
ren können. Gerade die alleinstehenden Wohnungslosen sind 
die, die zu Dauerobdachlosen in dieser Stadt geworden sind und 
die dann in der Tat - wie Herr Wischner sagt - sehr schwer über 
haupt noch in Wohnraum zu integrieren sind. Hier wird am völlig 
falschen Ende eine Hilfeleistung reduziert. 
Ein zweiter Punkt, der mir auch zu defensiv aus dem Hause 
Nagel angegangen wird, ist, wie mit dem Kooperationsvertrag 
mit den Wohnungsbaugesellschaften umgegangen wird. 
Natürlich will man es sich mit diesen nicht verderben und will für 
die nächsten Jahre auch, daß die Wohnungsbaugesellschaften 
viel bauen. Man will möglichst an einem runden oder eckigen 
Tisch sitzen. Das kann ich alles verstehen! Aber mir leuchtet 
trotzdem nicht ein, wenn die Wohnungsbaugesellschaften 
sagen, daß sie nicht mehr als 3 500 Leute unterbringen können. 
Dies hieße dann, daß die Wohnungsbaugesellschaften das Ver 
fügungsrecht über den öffentlich geförderten Wohnungsbau 
haben, und wir ziehen wir uns dann zurück, weil wir einmal 
irgendeinen Kooperationsvertrag geschlossen haben, einen 
Kooperationsvertrag, der von vielen SPDIem zum Zeitpunkt des
	        
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