23. Sitzung vom 18. Januar 1990
Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
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Dr. Statz
(A) sind unsere demokratischen Gründe. Sie hätten damit gar keine
Probleme, weil ihre Gründe obrigkeitsstaatlich sind, nationalisti
sche und autoritäre sind, und deshalb setzen sie das auf die
Tagesordnung, und nicht weil es ihnen um die Demokratie
geht! - Danke schön!
[Beifall bei der AL und der SPD - Buwitt (CDU): Vorhin
haben Sie noch etwas anderes behauptet!]
Wir sind der Auffassung, daß wir uns unabhängig von diesen
Willkürmaßnahmen der DDR dort organisieren werden. Wir wer-
1 ' den auch früher oder später zur Wahl zugelassen werden, und
wir werden dann Ergebnisse erzielen, die mit Sicherheit noch
über den Ergebnissen in Westdeutschland liegen werden. Auch
10 °/o und 15 °/o ist durchaus dabei drin. Und daß ein Teil der
Opposition, gerade der links orientierten Opposition, die ja auch
der Alternativen Liste nähersteht, nicht begeistert ist von der
Aussicht, die Republikaner in einer nennenswerten Zahl im Parla
ment zu finden, das ist doch ganz klar. Selbstverständlich, wenn
wir hier 15 °/o oder mehr bei den Volkskammerwahlen bekämen,
dann fehlte natürlich dieser Teil vom Kuchen bei den anderen
Oppositionsparteien. Und es ist dann ganz genau wie im
Westen, dann gehen diesen Parteien eine ganz Reihe von Sitzen
und anderen angenehmen Dingen verloren. Aber so ist das nun
mal im Leben, und Sie können sicher sein, daß es unabhängig
von all diesen Willkürmaßnahmen im Endergebnis nicht dafür
ausreichen wird, die Republikaner in der DDR totzukriegen. Wir
werden dort kandidieren und wir werden dort ganz erhebliche
Ergebnisse erzielen können.
Ausdruck hiermit zurück und entschuldige mich für dieses unpar
lamentarische Verhalten.
[Beifall bei der CDU -
Dr. Krähe (CDU): Hervorragend!]
Ich muß jedoch dazu sagen, daß ich mich habe provozieren las
sen von einem infam unterstellten Vergleich, den der REP-Vorsit-
zende zog, indem er Sozialdemokraten und Kommunisten, SED-
Stalinisten, in einen Topf warf. Ich fordere ihn hiermit auf, diesen
Vergleich künftig zu unterlassen!
[Beifall bei der SPD -
Vereinzelter Beifall bei der AL]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Zu einer persön
lichen Bemerkung erhält Abgeordneter Degen das Wort.
Degen (REP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich nehme die Entschuldigung des Abgeordneten an. Er hat sie
in aller Deutlichkeit von sich gegeben. Trotzdem bleibe ich bei
meinem Redebeitrag. Ich stehe dazu so, wie ich es gesagt habe.
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Herzlichen Glückwunsch! -
Wagner, Jürgen (SPD): Dann stehe ich auch dazu I -
Weitere Zurufe von der SPD]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Damit ist endgültig der
Tagesordnungspunkt erledigt.
ich komme zu
ifd. Nr. 7 B, Drucksache 11/567:
Große Anfrage der Fraktion der SPD und der Frak
tion der AL über Obdachlosigkeit
Der Dringlichkeit haben wir bereits zu Beginn der Sitzung zuge
stimmt. Das Wort zur Begründung hat Kollege Edel für die SPD.
Edel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
„Wohnungsnot“ ist eine allgemeine Beschreibung der Lage auf
dem Wohnungsmarkt in der Stadt. Es gibt weniger Wohnungen
als Haushalte. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. „Obdach
losigkeit“ dagegen ist das Schicksal des einzelnen, das Schick
sal eines Menschen, der keine Wohnung hat, der eine Wohnung
sucht, aber zur Zeit keine Chance hat, sie zu finden. Deshalb darf
der Begriff Obdachlosigkeit nicht zu eng definiert werden.
Obdachlos sind nicht nur die Nichtseßhaften - im Amts
deutsch -, also die Tippelbrüder, wie man sie früher nannte oder,
wie sie manche in der Stadt nennen: die Penner vom Bahnhof
Zoo, oder die Berber - wie sie sich selbst nennen -, die wirklich
draußen im Tiergarten schlafen und im wahrsten Sinn des Wor
tes kein Dach über dem Kopf haben. Obdachlos sind auch dieje
nigen, die in den städtischen und öffentlichen Einrichtungen der
sozialen Wohnhilfe leben. Obdachlos sind auch diejenigen, die
in den berühmten Läusepensionen, meist sehr mieser Qualität,
leben müssen, und_ obdachlos sind meiner Auffassung nach
auch die Aus- und Übersiedler, die heute in Turnhallen, Blech
containern und anderen Behelfsunterkünften wohnen, in Häu
sern, die diese Bezeichnung gar nicht verdienen, in denen den
Menschen vier Quadratmeter oder noch weniger pro Person zur
Verfügung stehen. Auch dieser Personenkreis ist obdachlos,
denn sie wohnen dort nicht nur wenige Tage und finden dann
eine menschenwürdige Behausung, sondern wir müssen ihnen
heute sagen, daß sie für mehrere Monate - vielleicht sogar ein
Jahr und länger - diese Verhältnisse ertragen müssen. Frau
Senatorin! Obdachlos sind doch wohl auch die Studenten, die
nach Berlin kommen, einen Studienplatz aber keinen Wohnplatz
haben und häufig aus dem Koffer leben; hier ein paar Tage, bei
einem Freund eine Woche, und wenn der sagt: Nun reicht es; du
mußt wieder weiterziehen! - müssen sie weiterziehen.
Obdachlos ist doch wohl auch die Familie, über die die Presse
vor einigen Tagen berichtet hat. Ein junges Ehepaar mit einem
zwei Monate alten Baby wohnt - sage und schreibe - in einem
Raum auf dem zweiten Hinterhof von sieben Quadratmeter
Größe, ohne Küche, und die Toilette ist zwei Höfe entfernt. In der
Im Endergebnis wird die Entwicklung Deutschlands über all
diese Versuche mit Zählkarten, Erfassung von Besuchern, Einrei
severweigerungen hinweggehen. All das sind doch nur Versuche
von jemandem, mit einem kleinen Eimerchen den Ozean auszu
schöpfen. Das muß scheitern, die Geschichte wird über derar
tige bürokratische Dinge hinweggehen. Wir werden in wenigen
Jahren in der Situation stehen, in der wir uns über solche Dinge
nicht mehr zu unterhalten brauchen.
[Beifall bei den REP]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Weitere Wortmeldungen
liegen nicht vor. Damit ist die Große Anfrage erledigt.
Nunmehr erteile ich dem Kollegen Wagner gemäß § 65
unserer Geschäftsordnung das Wort zu einer persönlichen
Bemerkung.
Wagner. Jürgen (SPD); Ich ziehe den von mir während des
Redebeitrags des Vorsitzenden der REP-Fraktion gewählten
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Für die Fraktion der
Republikaner hat jetzt der Abgeordnete Pagel das Wort.
Pagel (REP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Statz, ich bin Ihnen zunächst einmal für einen Teil Ihrer Aus
führungen durchaus dankbar. Richtig an Ihren Ausführungen ist,
daß wir als Republikaner die Existenz der DDR tatsächlich radi
kal in Frage stellen, allerdings nehmen wir damit den Willen der
Bevölkerung auf. Die Bevölkerung will diesen Staat nicht mehr,
sie will den Sozialismus nicht mehr, und sie will ganz offensicht
lich in ihrer großen Mehrheit die Wiedervereinigung und damit
die staatliche Einheit. Deshalb sind wir hier nur die Ausführenden
des Willens des Volkes
[Beifall bei den REP - Gelächter bei der AL]
und fühlen uns auch in dieser Rolle außerordentlich wohl.
Zweitens ist festzustellen, daß die Einreiseverweigerungen
gegenüber Abgeordneten und anderen Funktionsträgern der
Republikaner doch ganz offensichtlich nur daher rühren können,
daß man dort gegenüber dem Entstehen einer Partei, unserer
Partei auch in der DDR, offensichtlich ganz große Angst hat.
Denn wenn man der Auffassung wäre, wir würden dort drüben
nicht auf große Resonanz stoßen, dann müßte man sich ja nicht
eine derartige Mühe machen.