Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
23. Sitzung vom 18. Januar 1990
1177
Dr. Statz
(A) Ich denke, wir müssen ganz deutlich darauf hinweisen und for
dern, daß die DDR dieses Recht auf ihre eigene Wirtschafts
grenze hat. Wenn wir das nicht tun, dann transportieren wir über
die Forderung, diese Wirtschaftsgrenze aufzugeben, letztendlich
die Einverleibungs- und Ausverkaufspolitik, die die Rechte in
diesem Land auf allen Ebenen zu betreiben versucht.
Das heißt aber nicht, daß wir uns nun nicht gemeinsam mit der
DDR darüber unterhalten und verständigen müssen, wie denn
dieses Grenzregime aussieht.
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Wer ist denn die DDR?]
Es soll nach Möglichkeit so liberal, so frei sein wie es irgend
geht. Auch das ist gar nicht in Frage zu stellen. Aber auch wir
haben eine Verantwortung, was den Grenzverkehr angeht, was
die Grenze als Wirtschaftsgrenze angeht, wenn wir nicht eine
offensive Politik der Destabilisierung betreiben wollen.
Deshalb begrüße ich es zum Beispiel außerordentlich, daß der
Regierende Bürgermeister bei der Frage der Arbeitsmigration,
der Arbeitsaufnahme hier und bei der Frage etwa des Lohndum
pings, das damit verbunden ist, zu einer Position gefunden hat,
daß beide Seiten hier im gegenseitigen Interesse eine Handhabe
dieser Wirtschaftsgrenze zu finden haben. Ich glaube, daß dieser
Ausgangspunkt in der Frage, was das Grenzregime angeht, fest
zuhalten ist, und zwar ganz unabhängig davon, ob wir zu einer
Vertragsgemeinschaft, zu einer Konföderation kommen. Das wird
noch - egal, wie man dazu steht - Jahre dauern. Und wenn man
das Reden von der Konföderation wirklich ernst meint - ich
bezweifle, daß sehr viele das tun, die das sagen -, dann heißt
Konföderation die gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen
zwei Völkerrechtssubjekten. Dazu gehört die Konsensbildung
über ein Grenzregime unter der Bedingung, daß diese nationalen
Souveränitäten der beiden deutschen Staaten anerkannt wer
den.
[Dr. Krähe (CDU): Statz rettet den Sozialismus!]
Es ist eben so, meine Damen und Herren von der Rechten,
(B) daß das Völkerrecht gilt -, und das ist gut so -, ungeachtet der
innenpolitischen Verhältnisse, daß das geradezu ein Existenz
grund des Völkerrechts ist; denn, wenn es nicht so wäre, wäre
jede politische Kritik, an welchen innenpolitischen Verhältnissen
auch immer, ein Grund für die Intervention und ein Grund für die
Durchbrechung des Völkerrechts. Es ist ein wirklich zivilisatori
scher Fortschritt, daß das Völkerrecht mit einem solchen poli
tisch neutralen Begriff der Souveränität umgeht, weil alles
andere letztendlich Kriegstreiberei und ideologischer Imperialis
mus ist.
[Unruhe bei der CDU - Degen (REP): Das ist dumm!]
Ich stehe zu diesem völkerrechtlichen Grundsatz, den alle Staa
ten dieser Welt anerkennen. Dies tut wohlweislich auch die
Bundesregierung, weil sie sich der Konsequenzen bewußt ist,
wenn diese Grundlage des Völkerrechts nicht mehr akzeptiert
wird.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Ich möchte abschließend noch ganz kurz etwas zu einem
anderen Teil der Anfrage der Republikaner sagen, der die Ein
reiseverbote betrifft, denn ich denke, daß wir als Alternative
Liste in diesem Fall auch Ihnen und der Öffentlichkeit eine Posi
tion schuldig sind, gerade auch deshalb, weil wir lange von Ein
reiseverboten betroffen waren. Ich gestehe gern zu, daß dieser
Punkt bei uns in der Alternativen Liste umstritten ist, daß wir hef
tige Debatten darüber geführt haben, wie gleichberechtigt die
Republikaner behandelt werden sollen, etwa im parlamentari
schen Rahmen, genau weil wir selber die Erfahrung der Diskrimi
nierung gemacht haben. Und die Initiative etwa - was von den
Republikanern kritisiert worden ist -, daß niemand im Präsidium
dieses Hauses von Seiten der Republikaner sitzt, ist nicht von
uns ausgegangen - das möchte ich ausdrücklich betonen. Aber,
und jetzt kommt ein sehr großes „Aber“, wir müssen uns genau
betrachten, wie die innenpolitischen Verhältnisse in der DDR im
Augenblick sind und welche Motive die DDR für Einreiseverbote
bei Republikanern hat. Wir verurteilen diese Einreiseverbote,
weil wir sie ganz grundsätzlich verurteilen. Wir würden es sehr
begrüßen, wenn die DDR ein solches Ausmaß an Souveränität
nach innen und außen besitzen würde, daß sie mit diesem Pro- (C)
blem ohne Repression umgehen würde. Aber ihr gegenwärtiger
Zustand ermöglicht das nicht, und ob die Haltung der DDR sich
dann nach den Wahlen ändern wird, ist sehr zu bezweifeln. Auf
der anderen Seite kann ich aufgrund der besonderen Situation,
in der wir im Augenblick leben, gut verstehen, daß die DDR-Füh-
rung in puncto Republikaner Befürchtungen hat und sehr zurück
haltend ist. Ich kann diese Bedenken aus zwei Gründen verste
hen: Der erste Grund ist der, daß eigentlich keine westdeutsche
Partei so schamlos wie die Republikaner gegenwärtig in die
innenpolitische Situation der DDR interveniert. Das ist eine so
offensive und brutale Destabilisierungsstrategie, daß ich denke,
daß Ängste sehr berechtigt sind, daß der Einfluß der Republika
ner in der DDR zunehmen könnte und daß das in eine Richtung
gehen würde, die in der Tat nur die Destabilisierung zum Ziele hat
und nicht mehr Verhältnisse der demokratischen Selbstbestim
mung, wie wir sie anstreben.
Der zweite Punkt ist: Es gibt keine Partei in der Bundesrepu
blik, die - und darauf bin ich eben schon einmal eingegangen
- die staatliche Existenz der DDR wirklich frontal und brutal in
Frage stellt. Und auch da, denke ich, kann es ein gewisses Ver
ständnis dafür geben, daß ein Staat, für den diese Grundlage
des Völkerrechts tatsächlich nicht akzeptiert wird, daß ein Staat
da sehr sensibel reagiert, und zwar - das möchte ich betonen
- die Gesamtheit der Bevölkerung. Es gibt ja keine der gegen
wärtigen Oppositionsgruppierungen - von der SED will ich •
schweigen, weil deren Antifaschismus von unserer Seite aus
immer kritisiert worden ist,
[Frau Wiechatzek (CDU); Wo haben Sie das denn
kritisiert?]
auch in der funktionalen Art und Weise, wie er im Augenblick
gehandhabt wird -, aber es gibt ja keine Gruppe in der DDR, die
eine Zulassung der Republikaner zu den Wahlen will. Das heißt,
es gibt einen ganz breiten gesellschaftlichen Konsens, daß eine
Legalisierung des Rechtsradikalismus in der DDR unter den
gegenwärtigen Bedingungen in Anbetracht der sensiblen demo- (D)
kratischen Situation, daß eine solche Zulassung nicht ge
wünscht wird. Und da kann ich nur sagen, wenn das auf eine so
große Mehrheit innerhalb der DDR stößt - wir betonen ja immer
das Recht auf Selbstbestimmung -, dann kann ich von meinem
ganz grundsätzlichen Demokratieversländnis her wiederum nur
sagen, ich wünschte mir eine demokratische Souveränität in der
DDR, die damit gelassener umgehen würde, weil ich der Mei
nung bin, daß Repression kein Umgang mit dem Neonazismus
und Neofaschismus ist,
[Beifall bei der SPD]
aber dann kann ich wiederum nur sagen, ich kann das verstehen,
daß in der gegenwärtigen sensiblen Situation die DDR so damit
umgeht. Ich kann meine eigene Grundsatzposition dem entge
genhalten, aber ich vermag in dieser Situation das nicht frontal zu
kritisieren.
Ich komme zum Schluß;
[Zuruf von der CDU: Das ist auch besser so!]
- Das weiß ich, das sagen Sie immer, ich könnte Sie auch noch
ein bißchen ärgern und weiterreden, aber ich denke, das Wich
tigste ist gesagt. Meine Redezeit ist auch zu Ende. Es ist wirklich
nur noch ein Satz.
[Preuss (CDU): So wichtig sind Sie auch nicht, daß Sie
mich ärgern können!]
- Ich meine, wenn Sie die Tatsache, ob Sie sich ärgern, davon
abhängig machen, ob ich wichtig bin, und nicht von meinen
Argumenten, dann ist das Ihr Problem. Sie sollten zuhören, das
wäre mir viel lieber, als daß Sie mich für wichtig halten.
Mein letzter Satz ist der: Die Argumentationslinie der Republi
kaner ist doch keine demokratische, sie ist eine national-obrig
keitsstaatliche, und das ist der Unterschied! Wir sind ja aus ganz
grundsätzlichen demokratischen Gründen für die Liberalisierung,
zum Beispiel auch dagegen, daß die Zählkarten dazu benutzt
werden, unter Durchbrechung des Datenschutzes hier Fahn
dung zu betreiben. Wir hatten ja gerade diesen Fall. Aber das