Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
23. Sitzung vom 18. Januar 1990
1145
(A) Stellv. Präsidentin Dr.Schramm: Herr Diepgen! Das ist
keine Rede mehr zur Geschäftsordnung!
Diepgen (CDU): Deshalb bin ich der Auffassung, dieses muß
jetzt, sofort, hier in aller Öffentlichkeit diskutiert werden. - Vielen
Dank!
Damit kommen wir zur (C)
ifd. Nr. 1 A:
aktuelle Stunde zum Thema „Zur aktuellen Lage in
den Berliner Kindertagesstätten”
[Sehr starker anhaltender Beifall bei der CDU -
Zurufe von der SPD und der AL]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Gibt es dazu eine
Gegenrede? - Ich sehe, Herr Löffler von der SPD spricht gegen
diesen Geschäftsordnungsantrag.
[Zuruf von der CDU: Früher hat er uns die Kommunisten
schmackhaft gemacht!]
Löffler (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich habe das Wort zur Geschäftsordnung und will mich korrekt
daran halten. Ihr Beitrag, Herr Kollege Diepgen, war zur Sache.
Unser Antrag zur Geschäftsordnung lautet: Es
liegt dem Präsidium ein Beschlußempfehlung des Ausschusses
für Bundesangelegenheiten vor mit Dringlichkeit. Nach der übli
chen Praxis des Parlaments bitten wir, diese Beschlußempfeh
lung wie üblich als letzte der Beschlußempfehlungen, nämlich als
Punkt 25 oder 26 A, vor allen anderen Anträgen zu behandeln,
weil es eine Beschlußempfehlung ist.
[Adler (CDU); Die Dringlichkeit ist noch gar
nicht anerkannt!]
- Darüber bitten wir abzustimmen.
[Adler (CDU); Sie sind nur zu feige! -
Dagen (REP); Sie sind nur zu
feige vor der Bevölkerung!]
(B) ich stelle - zweitens - zur Geschäftsordnung fest, daß es
Ihnen, Herr Kollege Diepgen, wie jedem anderen Mitglied auch
nicht zusteht - nach der Geschäftsordnung die Amtsfüh
rung der amtierenden Präsidentin hier zu kritisieren.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Schütze (CDU): Die ist doch unfähig! -
Zuruf von der CDU: Sie soll zurücktreten!]
Wenn Sie glauben, nach der Geschäftsordnung im Recht zu
sein, eine Präsidentin oder den Präsidenten zu kritisieren, dann
hat das im Ältestenrat zu geschehen und nicht hier.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Preuss (CDU): Das ist ja das einzige
Thema im Ältestenrat!]
Ich glaube, die Fraktionsvorsitzenden sollten in der Wahrneh
mung der Geschäftsordnung vorbildlich sein. Sie waren es, Herr
Kollege Diepgen, in zwei Punkten nicht.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Wir kommen damit zur
Abstimmung. Wer stimmt dem Antrag der CDU-Fraktion zu, jetzt
gleich über diesen Antrag zu beraten und zu befinden?
[Zurufe von der CDU]
- Wer stimmt dagegen?
[Pfui-Rufe von der CDU]
- Das letztere war die Mehrheit.
[Preuss (CDU): Die Volkskammer hatte
soeben die Mehrheit! -
Weitere Zurufe von der CDU]
- Ich bitte alle Anwesenden, sich zu beruhigen. - Ich muß noch
feststellen, daß das dann am Ende der Beschlußempfehlungen
behandelt wird - Herr Löffler hat es schon gesagt -, und zwar als
Punkt 25 A.
und ich möchte ihnen vorschlagen, damit die
Drucksache 11/572:
Antrag der Fraktion der CDU Uber Situation in den
Berliner Kindertagesstätten zu verbinden. Können
wir so verfahren? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Es muß dann noch die Dringlichkeit für diesen
Antrag anerkannt werden. Wer ist für die Dringlich
keit? - Wer ist dagegen? - Niemand! Also ist die
Dringlichkeit anerkannt - Das Wort hat jetzt Herr
Löhe von der SPD.
Löhe (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wie wir gerade gesehen haben, gibt es viele wichtige Dinge in
diesem Parlament. Trotzdem oder deswegen hat meine Fraktion
wie die Alternative Liste die Notwendigkeit gesehen, die augen
blickliche Kindertagesstättenproblematik offensiv anzusprechen.
Es gibt in unserer Stadt viele unterschiedliche Meinungen zu
diesem Thema, und eine streitbare Demokratie beinhaltet auch,
daß Koalitionsfraktionen nicht nur Claqueure des von ihnen
gewählten Senats sind. Die Öffentlichkeit, Erzieherinnen und
Erzieher sowie die Eltern haben das Recht, die Argumente aller
zu hören, insbesondere die Argumente, die ihnen weniger
bekannt sind als die gewerkschaftlichen.
Zu keiner Zeit waren die berechtigten Forderungen der
Erzieher und Erzieherinnen umstritten. Insbesondere die For
derungen nach qualitativen Verbesserungen in Kindertagesstät
ten haben immer die Unterstützung meiner Fraktion gefunden.
Die Streiksituation in den Kindertagesstätten wurde in einer
großen Solidarität von den Eltern getragen. Auch dies zeigt deut
lich, daß notwendige Verbesserungen angesagt waren. Es zeigt
aber auch, daß die Eltern sich von diesen Maßnahmen ganz
besondere Dinge versprochen hatten, bei denen sie im Rahmen
ihrer Unterstützung der Erzieher mitgewirkt haben. Es waren
pädagogische Verbesserungen insbesondere im Hort und im
Bereich der Vertretungsmittel. Diese Sorgen und Nöte hat die
SPD-Fraktion und der Senat besonders ernst genommen und
ihnen durch ihre Beschlüsse Rechnung getragen.
[Gelächter bei der CDU]
Ich kann nur bestätigen, daß die Arbeit in den Kindertagesstät
ten in den letzten Jahren nicht einfacher geworden ist. Deshalb,
Frau Wiechatzek, mußte etwas geschehen, und dazu bedurfte es
keineswegs eines Tarifvertrags. Hier war Handeln des Senats
angesagt.
Ich weiß, daß der Zeitpunkt, solche Forderung zu erheben, für
alle Regierungen - Herr Preuss, für alle Regierungen! - immer
der falsche Zeitpunkt ist. Trotzdem sage ich den Gewerkschaf
ten: Der 9. November 1989 war die denkbar schlechteste Zeit,
Forderungen dieser Art und in dieser Schärfe an diesen Senat zu
stellen.
[Buwitt (CDU): Sie hätten Ihre Wahlaussagen einhalten
sollen!]
- Herr Kollege Buwitt, wenn Sie jetzt noch eine Sekunde zuhö
ren würden - ich habe ja nur zehn Minuten dann werden Sie
doch einiges hören von dem, was Sie jetzt noch vermissen.
[Buwitt (CDU): Das wäre neu bei Ihnen!]
Leider haben die Gewerkschaften das nötige Fingerspitzen
gefühl damals vermissen lassen. Ohne eine Verhärtung der Fron
ten - schon im November 1989 - hätten in diesen Tagen emoti
onslosere und in ruhiger Atmosphäre stattfindende Gespräche
geführt werden können. Ich bedauere dies sehr; es hätte vielen
viel Ärger erspart.
(D)