Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989
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Diepgen
(A) Für uns ist der Umzug von Berlin-Pankow nach Berlin-Wedding
eben ein Umzug - um das sehr deutlich zu formulieren.
[Beifall bei der CDU]
Dabei werben wir auch niemand ab, sondern wir wollen sicher
stellen, daß für diese Menschen eine Möglichkeit besteht, hierzu
bleiben. Frau Senatorin, ich will einen konkreten Punkt anspre
chen: Korrigieren Sie wenigstens Ihre Anweisung in der Form,
daß diejenigen, die zum Teil vor Jahren ihre Anträge gestellt
haben, die vor Jahren ihren Weg - und zwar einen beschwerli
chen Weg - in Ost-Berlin gegangen sind, die drangsaliert wor
den sind, nicht in einen Ort abgeschoben werden, den sie noch
nicht einmal auf der Landkarte kennen!
[Beifall bei der CDU]
Fünftens: Die CDU begrüßt, daß der Senat seinen Streit mit
Bonn beendet hat. Es kommt in der Tat jetzt darauf an, daß es
eine abgestimmte und möglichst auch gemeinsame deutsch
landpolitische Linie zwischen Berlin und Bonn gibt. Es wäre
verkehrt, es wäre ein Fehler, wenn die SPD jetzt der Alternativen
Liste folgen und ausgerechnet in der Deutschlandpolitik den
Streit mit Bonn suchen würde. Wir brauchen gemeinsame Kon
zepte für die neue Rolle dieser Stadt in der wiederentdeckten
Mitte Europas, und zwar Konzepte für das nächste Jahrzehnt und
das nächste Jahrhundert.
[Beifall bei der CDU]
Für die Stadtpolitik haben sich aus dieser Debatte ebenfalls
Schwerpunkte ergeben, von denen ich einige hervorheben
möchte:
Wir brauchen - das ist der erste und wichtigste Punkt - min
destens 100 000 Wohnungen bis zum Ende des kommenden
Jahrzehnts. Dieses Ziel werden wir nur erreichen, wenn der
Senat bereit ist, unbürokratisch und vernünftig mit Ausnahmen
und Befreiungen zu arbeiten. Ich fordere Sie noch einmal mit
aller Deutlichkeit auf; Lassen Sie die freien und privaten Unter-
(B) nehmen endlich bauen! Reden Sie nicht, Herr Nagel, sondern
handeln Sie - das ist das Entscheidendste!
[Beifall bei der CDU]
Zweitens: Die Arbeitslosenzahlen gehen wieder hoch, Herr
Wagner, begreifen Sie sich endlich einmal auch als Arbeitssena
tor und nicht nur als Verkehrsverhinderungssenator!
[Beifall bei der CDU]
Die Konzepte, die Sie fordern, haben Sie von uns. Es sind die
Konzepte der Qualifizierung der Menschen und des Standorts
Berlin, der Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen vom Wirt
schafts- bis hin zum Luftverkehr.
Drittens: Im Umweltschutz muß es in Zukunft nicht um
Bedürfnisbefriedigung für mehr Vorschriften, sondern es muß
um wirklichen Umweltschutz gehen.
[Dr. Niklas (SPD): Ja, der ist Ihnen noch nicht
rot-grün genug!]
Bis jetzt jedenfalls waren wir gezwungen, die Verschmutzung
unserer Umwelt ungeteilt zu ertragen. Gemeinsame Verantwor
tung in Ost und West ist jetzt aber möglich, und diese Chance
müssen wir unbedingt wahrnehmen.
Viertens, zur Sozialpolitik: Lösen Sie sich - das ist meine For
derung an Sie - endlich von Ihrer kalten - es ist eine kalte - Ver
teilungsmentalität, und schauen Sie auf die wirklich Bedürftigen!
[Beifall bei der CDU -
Roß (SPD): Das ist eine Frechheit!]
Wir jedenfalls fordern von Ihnen; Erweitern Sie das Familiengeld
so, wie es vorgesehen war! Führen Sie das Familiendarlehen
wieder ein! Setzen Sie unser Programm zum Ausbau einer
behindertengerechten Stadt fort! Ermuntern Sie die Menschen
zum Mittun, und fördern Sie auch wieder das freiwillige soziale
und ökologische Jahr!
[Beifall bei der CDU]
In der Ausländerpolitik sind die Rückkehrhilfen jetzt wieder not- (C)
wendig.
Damit will ich zu einem letzten Punkt kommen.
[Kern (SPD): Das ist gut!]
Hören Sie auf - das ist meine Aufforderung an die Sozialdemo
kratie und die Alternative Liste -, immerzu allen Menschen etwas
vorschreiben zu wollen! Nehmen Sie zur Kenntnis, daß Politik am
meisten dann etwas bewirkt, wenn sie sicherstellt, daß die Men
schen selbst etwas auf die Beine stellen können!
[Beifall bei der CDU]
Die allerletzte Bemerkung: Die lustlos vorgetragene Rede des
Regierenden Bürgermeisters von gestern - aus Versatzstücken
und alten Reden und Erklärungen zusammengestoppelt -
[Kern (SPD); Waren Sie nicht im Saal?]
war typisch für das Verhalten des Senats in der letzten Zeit. Kon
zeptionslos und widersprüchlich gehen Sie die Themen nicht
wirklich an. Damit werden Sie der historischen Lage, in der wir
uns befinden, nicht gerecht.
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Nein, das können
sowieso nur Siel]
Eigentlich, Herr Momper, müßten Sie - das ist auch das Ergeb
nis der Aussagen von Frau Stahmer - ganz von vom anfangen
oder jetzt aufhören. Das wäre jedenfalls das ehrliche Fazit der
Politik des Senats nach diesem ersten Jahr seiner Regierungs
zeit!
[Starker Beifall bei der CDU]
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat Herr Abgeordneter
Dr. Staffelt.
Dr. Staffelt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten ^
Damen und Herren! Werter Herr Diepgen! Von Aufhören kann,
glaube ich, überhaupt nicht die Rede sein. Wir fangen heute erst
richtig an!
[Starker Beifall bei der SPD -
Diepgen (CDU): Was Sie noch nicht angefangen haben!]
Ich darf Sie, Herr Diepgen, an die Abschlußdebatten in den letz
ten zwei Jahren erinnern, die von abwertenden, zum Teil tatsäch
lich miesen Beiträgen der Herren Rasch und Landowsky geprägt
waren.
[Landowsky (CDU): Was? - Ich habe noch nie
zum Schluß gesprochen!]
Sie werden sich alle erinnern - diejenigen, die hier im Parlament
gesessen haben -, daß es Ziel war, den damaligen Oppositions
führer und seine Fraktion auf billige Weise abzuwerten und zu
demontieren. Wir haben damals geantwortet - und ich sa|e das
heute noch einmal -: Hochmut kommt vor dem Fall!
[Beifall bei der SPD, der CDU und der AL -
Zurufe von der CDU: Sehr gut! - BravoI]
Herr Rasch und Herr Generalsekretär Landowsky - ich würde
übrigens überlegen, ob Sie vor dem Hintergrund der Entwick
lung in der DDR den Titel nicht ändern -
[Beifall bei der SPD - Landowsky (CDU);
Herr Staffelt, sagen Sie einfach General zu mir!]
haben ihre Quittung durch die Berlinerinnen und Berliner erhal
ten. Ich sage an dieser Stelle sehr bewußt: Wir wollen als heu
tige Regierungsfraktion einen solchen Stil der Auseinanderset
zung nicht.
[Zurufe von der CDU]
- Ja, das sage ich sehr bewußt!
Dennoch hat die Haushaltsdebatte einigen Aufschluß über
den Zustand der CDU-Fraktion gegeben. Wir haben erlebt einen