Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989
1076
(A)
(B)
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat Herr Senator Mitzscher-
ling.
Dr. Mitzscherling, Senator für Wirtschaft: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine wesentliche
Aufgabe der Wirtschaftspolitik in unserer Wirtschaftsordnung,
die Rahmenbedingungen zu setzen,
[Beifall der Abgn. Bogen (REP) und Palm (CDU)]
die eben schon angesprochen worden sind, damit sich unter
nehmerisches Handeln innerhalb dieser Rahmenbedingungen
entfalten kann. Sie müssen deshalb auch flexibel sein, das ist
sicher richtig; denn nur so kann man auf Entwicklungen reagie
ren.
[Palm (CDU): Aber Sie müssen auch verläßlich sein!]
- Sicher! - Die Veränderung solcher wirtschaftlicher Rahmen
bedingungen sollte deshalb auch nicht sprunghaft sein, sie
sollte kontinuierlich und überschaubar vollzogen werden, damit
die Planungssicherheit der Unternehmen erhalten bleibt. Ich
glaube, da gibt es keinen Dissens. Deshalb enthält auch der
Haushalt 1990 in vielen seinen Ansätzen Projekte, die noch von
meinem Vorgänger geplant und begonnen worden sind und die
- weil sie vernünftig sind - auch fortgesetzt werden. Das gilt
auch und vor allem für den Aufbau des Dienstleistungsbereichs
in der Stadt.
Aber es gibt auch Projekte, Herr Palm, bei denen vom neuen
Senant andere Schwerpunkte gesetzt werden. Deshalb steht
dieser Haushalt unter dem Tenor „Kontinuität und Wandel“. Wir
wollen sichere und neue Arbeitsplätze; wir wollen eine größere
Leistungs- und Innovationskraft der Unternehmen; wir wollen sie
auf den europäischen Binnenmarkt vorbereiten, wir wollen die
Stärkung Berlins als eine EG-Stadt - das alles sind unsere Ziele
in einem zusammenwachsenden Europa.
Ich habe gestern bereits ausgeführt, daß die konjunkturellen
Voraussetzungen, wenn man eine Bestandsaufnahme macht,
gut sind. Ich habe mich nicht dessen gerühmt, Herr Kollege
Palm, daß dieser Senat 10 000 Arbeitsplätze geschaffen hat.
Wie könnte er das? - Geschaffen hat sie die Berliner Wirtschaft,
haben sie die Unternehmen.
[Vereinzelter Beifall bei der CDU -
Beifall des Abg. Bogen (REP)]
Wie sich Herr Pieroth um die Rahmenbedingungen bemüht hat,
wird das zumindest auch der neue Senat tun. Ich halte absolut
nichts davon, wenn wir von monatlichen Schwankungen der
Arbeitslosen- oder der Beschäftigungsstatistik den Erfolg oder
Mißerfolg eines Senats begleitend formulieren würden.
sich immer so selbstbejubelnd hingestellt, daß wir im Bundestag (C)
hören mußten: Was will der eigentlich? Es läuft doch alles
bestens in Berlin; deswegen können wir das Berlinförderungs
gesetz kürzen! - Ich mache nun nicht bewußt diese Politik mies,
aber ich muß feststellen, daß wir vor dem Problem des anhalten
den Strukturwandels stehen und wir diesen flankieren müssen,
Herr Dr. Köppl. Flankieren heißt auch, daß wir für diesen Prozeß
des Wandels noch Unterstützung brauchen. Deshalb darf es
dabei keine Brüche, sondern muß es Kontinuität geben; deshalb
gibt es auch den Beschluß des Senats, jetzt - nachdem das
Gesetz soeben novelliert worden ist - nicht mit einer breiten Dis
kussion über die uns im einzelnen durchaus nicht gefallenden
Instrumente zu beginnen.
Wir haben neue Akzente gesetzt. Wegen der Kürze der Zeit
will ich jedoch nicht im einzelnen darauf eingehen. Es ist deutlich
geworden, daß wir einem unweltverträglicheren Produzieren das
Wort reden und deshalb auch personelle Ressourcen erschlie
ßen müssen, die nicht da waren, und ich sage ausdrücklich Dank
dafür, daß wir die Chance erhalten, uns auch personell stärker
einer ökologischen Wirtschaftspolitik zuzuwenden! Auch hier ist
nicht alles neu, auch hier hat sicher der Amtsvorgänger das eine
oder andere an Projekten eingeleitet. Das dafür erforderliche
Personal wird weiter in diese Arbeit einbezogen, aber es fehlt ein
schlüssiges Gesamtkonzept. Dies erfordert Korrektur der Instru
mente, Straffung, Konzentration nicht nur für den Bereich der
Ökologie, sondern auch für weite Bereiche, die wir für Innova
tion, für Technologieförderung, für die Förderung vor allem klei
ner und mittlerer Unternehmen einsetzen wollen.
Wir haben mit unserem europapolitischen Arbeitspro
gramm die Richtung angegeben, wie Berlin zu einem Standort
europäischer Kooperation und Begegnung aufgebaut und ent
wickelt werden soll. Die jüngsten, mehrfach skizzierten Entwick
lungen unterstreichen die Bedeutung und auch die Schlüssigkeit
dieses Konzepts. Wenn wir uns in Zukunft als ein solches Zen
trum der Kontakte und Begegnungen verstehen wollen, dann
gehört natürlich in diesen Kontext das, was beklagt worden ist .
- nämlich die Stätte auch als Bildungsangebot weiterzuentwik-
kein, eine Ost-West-Wirtschaftsakademie zu errichten. Ich bin
guter Hoffnung, daß die Industrie- und Handelskammer dabei
mitziehen wird. Auch die neuen Aktivitäten von Herrn Necker las
sen hoffen, daß sich die Berlinbeauftragten ihrer Verantwortung
bewußt werden
Präsident Wohlrabe: Herr Senator, gestatten Sie eine Zwi
schenfrage des Abgeordneten Wronski?
Dr. Mitzscherling, Senator für Wirtschaft; Bitte schön!
Präsident Wohlrabe: Bitte!
[Beifall bei der SPD und der AL -
Palm (CDU): Da waren Sie noch nicht hier, als der Herr
Wagner das zum Thema gemacht hat!]
Wir haben Fortschritte erzielt - das ist gestern auch deutlich
geworden -, aber wir haben ebenfalls feststellen müssen - das
hat eben der Kollege Böger noch einmal hervorgehoben -, daß
auch Einbrüche erzielt worden sind, die - wenn man so will -
Belastungen der nächsten Jahre darstellen werden. Das sind die
800 Millionen DM beim Berlinförderungsgesetz. Wir wollen
uns auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der diesjährige
Investitionsboom mit ein Effekt dieser Kürzungsmaßnahme
gewesen ist, weil Investitionen vorgezogen worden sind. Was
dann in den nächsten Jahren folgen wird, werden wir sehen. Wir
hoffen, daß die Impulse, die der Binnenmarkt auslöst, diese Delle
wird ausbügeln können. Wir werden uns auch darum bemühen,
aber sicher ist das natürlich nicht.
An der Stelle möchte ich ausdrücklich sagen: Trotz all der
Bemühungen, aus dem bisherigen Nachteil der Stadt einen Vor
teil zu entwickeln - und darum sind wir bemüht -, werden wir vor
die Situation gestellt werden - wie es heute schon im Zonen
randgebiet der Fall ist -, daß viele sagen: Wenn es denen so gut
geht - wozu brauchen die eigentlich noch einen Standortnach
teilausgleich wie das Berlinförderungsgesetz? - Herr Pieroth hat
Wronski (CDU); Herr Senator, gestatten Sie mir in Frageform
eine Anregung: Ist die Zeit nicht gekommen, daß Berlin in Brüs
sel seinen Fußpunkt dort besser installiert, jetzt endlich besser,
als es bisher der Fall sein konnte?
Präsident Wohlrabe: Herr Senator!
Dr. Mitzscherling, Senator für Wirtschaft: Herr Abgeord
neter, diese Anregung nehme ich gern entgegen, zumal sie auf
fruchtbaren Boden fällt. Der Senat hat ein Europareferat gegrün
det, das inzwischen besetzt ist, und die Mitarbeiter dieses Refe
rats sind dabei - auch in einem personellen Austausch mit Brüs
sel Impulse, die dort aufgenommen werden, wieder in die Ver
waltung zurückzuverpflanzen und die Präsenz in Brüssel zu ver
stärken. Ich gehe davon aus, daß wir nicht nur jetzt mit dem
Regionalund dem Sozialfonds den strukturellen Möglichkeiten,
die sich daraus ergeben, zusätzliche Impulse in die Stadt ein
pflanzen können.
Wir wollen auch aus Berlin ein Zentrum der Entwicklungszu
sammenarbeit entwickeln - das hat Herr Böger ange
sprochen dabei hoffe ich, daß wir die entwicklungspolitischen
Leitlinien, die derzeit erarbeitet werden, bald dem Parlament wer
den vorlegen können.