Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989
1049
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Frau Frohnert, das tut mit
außerordentlich leid, aber — Jetzt weiter in der Aussprache mit
Flerrn Roß!
Roß (SPD); Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Gestatten Sie mir zur Geschäftsordnung zwei Bemerkungen!
Die erste Bemerkung, Herr Buwitt: Man kann auch durch Weg
lassen lügen. Das haben Sie eben getan, indem Sie die Tatsache
unterschlagen haben, daß das 501 er-Programm um fast 6 Mil
lionen DM aufgestockt worden ist,
[Buwitt (CDU): Das habe ich gesagt!]
und nicht gekürzt, wie Sie das behauptet haben!
[Beifall bei der SPD]
Der zweite Punkt, den Sie als Bruch des Wahlversprechens
gekennzeichnet haben, ist die Geriatriezulage. Ich darf hier
bemerken, daß der Antrag, den wir hier im Parlament gestellt
haben, immerhin dazu geführt hat, daß die Tarifpartner in ihrem
Tarifvertragsergebnis finanzielle Verbesserungen von teilweise
450 DM monatlich ereicht haben.
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Roß, ich bitte Sie
sehr, mir zuzuhören! Sie haben sich zur Geschäftsordnung
gemeldet. Im Moment reden Sie zur Sache. Das kann ich nicht
zulassen.
Roß (SPD): Ich möchte deshalb in dem Zusammenhang die
Unterstellung des Herrn Buwitt ausdrücklich zurückweisen! -
Vielen Dank!
[Beifall bei der SPD - Buwitt (CDU): Es geht um den
Telebus! Keine Ahnung! Nicht Geriatriezulage! Und das
Schreiben von Herrn Schneider! Sie lügen auch!]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Es ist immer so: Wenn
man die Geschäftsordnung etwas großzügig auslegt, wird sie
auch relativ schnell mißbraucht I - Wir fahren jetzt ganz normal in
der Debatte fort. Die Kollegin Frohnert hat das Wort.
Frau Frohnert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich hoffe, die Aufregung wird sich langsam legen. Als
Herr Buwitt hier erschien und dieses von sich gab, habe ich
gedacht; O Gott, Buchhalterseele! -
[Buwitt (CDU): Wenn die Unwahrheit gesagt wird -
Buchhalterseele? - Sie haben ja Vorstellungen!]
Man muß nicht die einzelnen Posten aufreihen, Tatsache ist, daß
es im Endergebnis mehr Geld als vorher ist, und alles zusam
mengenommen wird das Programm so durchgeführt und wird
sich verbessern. Ich glaube, davon können wir alle ausgehen -
das hat Frau Stahmer eindrucksvoll gesagt -, und Ihre Aufge
regtheit hat auch gezeigt,
[Buwitt (CDU); Das hat mit Aufgeregtheit nichts zu tun!]
daß Sie das vielleicht nicht so erwartet haben.
Ich möchte zu Beginn meiner Rede noch ein paar Worte zur
gegenwärtigen Situation der Übersiedler sagen, obwohl das
Thema schon hinreichend behandelt worden ist. Ich meine,
gestern sind markige Worte gefallen, viel Kritik ist von seiten der
Opposition geübt worden über die Neuregelung des Senats hin
sichtlich der Ost-Berliner, die nicht mehr hier bleiben können,
wenn sie nicht enge familiäre Bindungen haben. Herr Diepgen
und Herr Preuss haben sich da besonders hervorgetan; ich muß
sagen, Sie haben die Realität nicht gesehen, denn wer will die
Verantwortung dafür tragen, wenn Menschen hier bleiben - über
Monate, vielleicht sogar noch länger, in Massenquartieren, in
großen Hallen -, die in Westdeutschland viel besser unterge
bracht sein könnten?
[Beifall bei der SPD]
Ich halte diese Worte der Opposition für Bauernfängerei und
Stimmungsmache gegenüber den Bürgern.
[Beifall bei der SPD]
Ich meine, wir können der Senatsverwaltung für Gesundheit (C)
und Soziales nicht genug dafür danken, daß sie das geleistet hat,
was in den letzten Wochen möglich war, die vielen Menschen
unterzubringen. Ich füge hinzu: Daß sich der Besucherstrom
relativ vernünftig bewegen konnte, daß das Begrüßungsgeld an
so vielen Stellen ausgezahlt werden konnte, ist eine besondere
Leistung des Senats.
Ich möchte zu diesem Thema noch etwas sagen, worüber Sie
vielleicht erstaunt sind. Ich frage mich, ob beim heutigen Um
bruch in der DDR und in Polen es noch richtig ist, daß die alten
Kriegsfolgegesetze in der bisherigen Form bestehenbleiben.
[Beifall bei der SPD]
Das Bundesvertriebenengesetz, das Flüchtlingsgesetz, das
Lastenausgleichsgesetz und viele mehr stammen aus den Jahren
1952 bis 1965. Heute haben sich die Verhältnisse so verändert,
daß ich meine, dies ist nicht mehr zeitgemäß.
[Beifall bei der SPD]
Das gilt im übrigen auch für das Notaufnahmegesetz, das mit
einigen Änderungen seit 1949/50 besteht. Ich meine, das müßte
durch Eingliederungshilfen und -maßnahmen abgelöst werden.
Ohne großen bürokratischen Aufwand könnte man für diese
Menschen eine Starthilfe geben, die einen neuen beruflichen
Anfang und ein neues Leben ermöglichen. Bei den Einschrän
kungen für die Übersiedler aus der DDR durch die Notaufnahme
gesetze und durch das besondere Aufnahmeverfahren frage ich
mich auch, ob das heute noch so sein muß. Ist es nicht bei einer
weiteren Normalisierung so, daß ein Umzug von Dresden, Leip
zig oder Berlin (Ost) in den Westen ähnlich zu sehen ist wie ein
Umzug von Köln oder München in eine andere Stadt wie zum
Beispiel Berlin? Dann würden sich viele Probleme sicherlich
lösen.
[Beifall bei der SPD]
ich kann nur bitten, daß diese Überlegungen über die Parteigren-
zen hinaus und auch bei der Bundesregierung angesteilt wer
den.
Zum Thema Sozialpolitik will ich bei der Fülle der sozialen
Aufgaben einige Schwerpunkte herausgreifen, die ich für beson
ders wichtig halte. Ein großer Teil ist von Frau Stahmer bereits
genannt worden, auch einzelne Verbesserungen, die ich nicht
mehr aufzuzählen brauche. Ich möchte aber sagen, daß dieser
Senat sich in besonderem Maß der Bereiche angenommen hat,
die bei der CDU-FDP-Regierung lange vernachlässigt worden
sind, in einem Schattendasein standen. Das waren die Ärmsten
der Armen.
[Beifall bei der SPD]
Das waren die Menschen, die durch soziale Not obdachlos
waren, die in nichtbezahlbaren Wohnungen wohnten oder die
durch Pflegebedürftigkeit zu Sozialhilfeempfängern wurden. Auf
diesen Gebieten hat der Senat in den letzten neun Monaten viel
bewegt und geleistet. Ich erspare mir aufzuzählen, was Frau
Stahmer vor einigen Minuten gesagt hat. Das fängt mit der um
5 °/o erhöhten Sozialhilfe an, mit der Sozialkarte für 10 DM bis hin
zur verbesserten Schuidenberatung und den strittigen 500er-
und 501er-Programmen.
Etwas anderes möchte ich in Richtung von Herrn Fink sagen,
der sicher nicht zu den Betonköpfen der CDU gehört. Er gilt viel
mehr als Reformer. Für den Bereich der CDU ist er das sicher
auch. Das bedeutet, daß wir manches von dem, was er angefan
gen hat, fortführen wollen. Viele Bereiche wurden von ihm in
Angriff genommen, darunter auch solche, die den Zielvorstellun
gen des rot-grünen Senats entsprechen. Dazu gehört die Selbst
hilfeförderung, die immer mehr Gewicht haben wird. Man kann
sie aber nicht nur mit einer Anschubfinanzierung ins Leben rufen,
damit die Selbsthilfegruppen nach drei Jahren wieder auf sich
selbst angewiesen sind.
[Beifall bei der SPD]
Hier ist zu begrüßen, daß wir verstärkt die Dauer- und Regelför
derung eingeführt haben und auch weiter ausbauen werden.