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Volume Nr. 21, 8. Dezember 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989 
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Frau Bm Stahmer 
(A) Jeder zehnte Berliner ist älter als 75 Jahre. Die Zahl der Hochbe 
tagten und ihr Anteil an der Gesellschaft nimmt zu, und darauf 
sind wir nicht genügend vorbereitet. Immer mehr pflegebedürf 
tige Menschen müssen viel besser versorgt werden als bisher. 
Die Einrichtungen für über 80jährige, von denen ein hoher Pro 
zentsatz nicht mehr zu Hause leben kann, sind vom Vorgängerse 
nat unter dem Allheil-Motto „ambulant vor stationär" vernachläs 
sigt worden. 
Es gehört zu den erklärten Zielen des Senats, die Lebenslage 
und die gesundheitliche Versorgung der älteren und der hochbe 
tagten Bürger in Berlin so zu verbessern, daß sie so lange wie 
möglich selbständig in ihrer vertrauten Umgebung leben können. 
[Braun (CDU): Aber wo sind die Haushaltsansätze dafür?] 
Nach gesundheitlichen Krisen müssen sie bessere Chancen zur 
Rehabilitation und zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben 
bekommen. Die Hilfeleistungen müssen sich nicht nur an der kör 
perlichen Situation des einzelnen, sondern auch an seiner psy 
chischen und sozialen Situation ausrichten. Ein erster Schritt ist 
der Einstieg in die psychosoziale Beratung in Seniorenheimen, 
die wir in diesem Jahr erstmalig finanzieren. 
[Braun (CDU): Alles ungedeckte Wechsel!] 
- Finanzieren, Herr Braun, kein ungedeckter Wechsel! 
[Braun (CDU): Wir werden Ihnen das nachweisen!] 
Der Senat hat sich deshalb vorgenommen, Mängel in der 
Rehabilitation und Versorgung chronischkranker älterer 
Menschen im Rahmen der Geriatriereform grundlegend zu 
beheben. Der künftige Gesundheitsplan wird an den großen 
Schwerpunktkrankenhäusern jeweils Abteilungen für Geriatrie 
vorsehen. Sie werden fehlbelegte Betten der Akutabteilungen 
und Betten der bisherigen Abteilungen für Chronischkranke 
übernehmen, so daß deren Einrichtung keine zusätzlichen Bet 
ten erfordert. Durch diese Verzahnung schließen Rehabilitation 
und Nachsorge nahtlos an die Akutbehandlung an. Für die Geria- 
(B) triereform sind künftig Umschichtungen in der Investitionspla 
nung des Krankenhausbereichs vonnöten; denn der größte Teil 
der Patienten, die heute in den Abteilungen für Chronischkranke 
in Krankenhäusern liegen, ist pflegebedürftig, aber nicht kranken 
hausbedürftig. 
[Braun (CDU): Deshalb ein Gutachten für...!] 
Sie liegen dort, weil es nicht genug Heimplätze gibt - die hat 
Herr Fink abgebaut. 
[Dr. Staffelt (SPD): So ist das!] 
Nach Schätzungen betrifft dies mehr als 4 000 Patienten. Meine 
Zukunftsperspektive ist, eine neue Wohn-Pflege-Einrichtung zu 
entwickeln, in der pflegebedürftige ältere Menschen sowohl 
wohnen als auch medizinisch und sozial-pflegerisch betreut wer 
den können, und zwar je nach ihrem Riegebedarf. 
[Beifall bei der SPD] 
Hierfür werden wir verschiedene Finanzierungssysteme mit 
einander in Einklang bringen müssen - und das geht nicht so 
schnell, weil die alten Rähle tief sitzen. 
Aktivierende Rehabilitation älterer Menschen kann und muß 
aber nach wie vor auch ambulant geleistet werden. Dies ist eine 
künftige Schwerpunktaufgabe der Sozialstationen. Das Ausga 
benvolumen für Sozialstationen ist im Haushalt des kommenden 
Jahres weiter angehoben worden. Wir werden einige überlastete 
Stationen durch Teilung ihrer Bereiche und Gründung neuer 
Stationen entlasten. Das Netz wird weiter ausgebaut. 
„Ambulant vor stationär“ ist zum Allerwelts-Leitwort beim 
Thema Alten- und Krankenpflege geworden. Dieses Leitwort ist 
richtig. Damit darf man aber nicht die Hoffnung verbinden, ambu 
lante Versorgung von Kranken und Alten sei in jedem Fall billiger 
als Krankenhaus- oder Heimaufenthalte. Das ist ein Irrtum! Fach 
gerechte und menschenwürdige ambulante Versorgung ist in 
der Regel besser, aber nicht unbedingt billiger als stationäre Ver 
sorgung. 
[Dr. Franz (CDU): Das sagen Sie mal auch den 
Krankenkassen!] 
- Dies ist ein Problem für die Wohlfahrtsverbände und die Kran- (C) 
kenkassen. Genau! - Als die Weiterführung der Sozialstationen 
an der zu eringen Bezahlung schon zu scheitern drohte, ist es 
gelungen, hier zu vermitteln und eine Einigung herbeizuführen, 
die im kommenden Jahr für vernünftige Kosten- und Qualitäts 
strukturen sorgen wird; denn auch die Krankenkassen sehen, 
was sie an den Wohlfahrtsverbänden und an deren Leistungen 
haben. 
Ein Faktor unausweichlich steigender Kosten ist die Bezah 
lung der Riegekräfte sowohl im ambulanten als auch im statio 
nären Bereich. Die qualifizierten Alten- und Krankenpflegekräfte 
arbeiten eindeutig unterbezahlt. Die Diskussionen der letzten 
Zeit haben unter dem Schlagwort „Riegenotstand“ gezeigt, daß 
im Kranken- und Altenpflegebereich ein Problem entstanden ist, 
das jetzt schon tief greift und sich ständig weiter verschärft. Rah 
menbedingungen müssen geschaffen werden, die besser sind, 
damit sich diese Kräfte nicht für die Gesellschaft aufopfern und 
dabei „ausbrennen“, keine Chancen und Möglichkeiten für ihre 
Arbeit mehr sehen. 
[Beifall des Abg. Vetter (CDU)] 
Wir setzen da auf Einkommensverbesserungen; und diese sind 
durch zähen Druck auch durch Berlin auf der Arbeitgeberseite 
bei den letzten Tarifverhandlungen angegangen worden. 
Wir setzen außerdem auf strukturelle Veränderungen in den 
Krankenhäusern. Für die Belange der größten Berufsgruppe, für 
die Riegerinnen und Rleger, wurde das eigene Referat für Kran 
ken- und Altenpflege eingeführt; dieses Interesse war bisher 
nicht ausreichend in der Verwaltung vertreten. 
[Beifall bei der SPD - 
Braun (CDU); Seit einem halben Jahr nicht besetzt!] 
- Es dauert eben seine Zeit, bis man qualifizierte Kräfte findet, 
wenn man bundesweit schauen will; denn das haben wir getan. 
- Kranken- und Altenpflege werden übrigens bewußt zusam- 
mengefaßt. Mit Sorge betrachte ich, daß sich die verschiedenen 
Riegebereiche in Hierarchien sehen. Es ist dort niemand höher- 1 ' 
wertiger als andere; insgesamt ist Kranken- und Altenpflege ein 
hochqualifizierter Dienstleistungsberuf; besondere Gewissen 
haftigkeit, Kreativität und Kompetenz sind erforderlich. Der Haus 
halt erlaubt im nächsten Jahr eine erweiterte Fortbildung für 
Riegekräfte, worüber ich sehr froh bin. 
Die Berufs- und Lebenszufriedenheit der Alten- und Kranken 
pflegekräfte sind neben der guten Bezahlung ganz wichtige 
Anteile, und die Entfaltung neben und mit Ärzten als Kollegen 
muß möglich sein und nicht etwa in der Hierarchie, wie das zur 
Zeit noch viel zu stark passiert. 
[Beifall bei der SPD] 
Wir brauchen auch deshalb eine Aufwertung der Riegeberufe. 
Es muß in der Gesamtgesellschaft deutlicher werden, welche 
Verantwortung diese Menschen tragen. 
Der Haushalt des kommenden Jahres sieht auch viele Einzel 
maßnahmen für behinderte Menschen vor. Herr Fink hat ein 
großes Bild gemalt, als er vom behindertengerechten Berlin 
gesprochen hat, aber er hat die Wolken davor noch immer nicht 
beiseite geschoben. Wir haben uns jetzt darum bemüht; denn 
das sind Ängste, die die Behinderten aufgrund Ihrer Politik der 
vergangenen Jahre haben, der Politik der Ankündigungen, denen 
dann keine konkreten Taten folgten. 
[Dr. Staffelt (SPD): Weil er so sehr dafür eintritt, 
ist er ja auch bei der CDU so sehr beliebt, wie wir 
immer bei Wahlentscheidungen der CDU sehen können!] 
Wir finanzieren künftig konkret eine Reihe von Maßnahmen, die 
bisher noch nicht einmal angedacht waren; die Gruppen der 
Spastikerhilfe, das „Huckepack-Modell“, die „Aktion Weitblick" 
machen berufliche Rehabilitation von Behinderten, auch dafür 
wird es Geld geben. Wir bilden das Betreuungspersonal für 
Wohngemeinschaften von Behinderten zusätzlich aus. Die kon 
kreten Maßnahmen für das Programm „Behindertenfreundliches 
Berlin" befinden sich zwar nicht in meinem Haushalt - aber das 
ist auch wichtig -; sie befinden sich im Haushalt der Senatsver-
	        
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