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Volume Nr. 21, 8. Dezember 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989 
1042 
Voss 
(A) - Das muß nicht Ihre Sorge sein! - Sie sind möglicherweise aber 
auch eine Voraussetzung, um noch ruhigeren Gewissens die 
Behinderten ihrer eigenen Welt zu überlassen; denn wir wissen 
sie ja gut versorgt. 
[Teige (AL); Können Sie noch einmal von vorn anfangen, 
das habe ich wieder nicht verstanden!] 
- Dann werde ich es Ihnen noch einmal sagen: Sie sind mög 
licherweise aber auch eine Voraussetzung, um noch ruhigeren 
Gewissens die Behinderten ihrer eigenen Welt zu überlassen; 
denn wir wissen sie ja gut versorgt, und wir wissen sie sogar 
mobil. Not tut auch hier ein sozialpolitisches Umwelt- und Wei 
terdenken: Mobilität ja, aber eingebettet in eine fehlende 
Gesamtkonzeption der vom Bürger bejahten und auch persön 
lich angenommenen Integration von Behinderten in die Normali 
tät unserer Alltags in allen Bereichen! 
[Teige (AL); Das ist ja fundierte Sozialkritik, 
was Sie da vortragen! Woher haben Sie das?] 
Die noch wenigen Modelle zur Behindertenintegration müssen 
zum Normalfall unseres Stadtlebens werden und aus der Exklusi 
vität des Projektbetriebs in die Alltagswelt überführt werden. Erst 
dann gilt im Umgang mit Behinderten eine Normalität, die die 
Voraussetzungen für die echte Integration schafft und die Mobili 
tätsprogrammen neuen Sinn gibt. - Ich danke! 
[Teige (AL); Das ist so gut, daß Ihre Fraktion 
gar nicht klatschen mag! - 
Heiterkeit - Beifall bei den REP] 
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Sehen Sie, auf ein Stich 
wort hin funktioniert alles! - Für die Alternative Liste hat jetzt die 
Kollegin Wirths das Wort. 
Frau Wirths (AL): Ich möchte zu Ihrer Information vorweg 
schicken, daß ich mich auf den gesundheitspolitischen Teil 
dieses Etats beschränke. Obwohl weite Bevölkerungskreise auf 
(B) Fragen, was den einzelnen Menschen am wichtigsten sei, noch 
vor Frieden und Wohlstand die Gesundheit für am wichtigsten 
hielten, habe ich immer wieder den Eindruck, daß die Politiker 
aller Fraktionen den Stellenwert dessen noch immer nicht 
erkannt haben oder nicht erkennen wollen und sich dann wun 
dern, wenn sie die Quittung dafür erhalten. War doch das von 
Herrn Blüm durchgepeitschte deutlich unsoziale Gesundheits- 
Reformgesetz einer der Hauptgründe für die massiven Stimmen 
verluste der CDU in Berlin und anderswo! Wir sind unter 
anderem auch angetreten, um das zu ändern, was sich von Berlin 
aus gesehen aber sehr schwierig gestaltet. Diese Suppe, Herr 
Braun, hat uns schließlich die CDU eingebrockt. 
Aber ich will jetzt nicht über das Gesundheits-Reformgesetz 
reden, sondern meine Einleitung sollte dazu dienen, die Bedeu 
tung dieses Themas hervorzuheben. Ich hatte diese Rede im 
wesentlichen schon vorher geschrieben, und die Beiträge in der 
gestrigen Generaldebatte haben gezeigt, wie richtig ich damit 
lag. Ganze zwei Sätze etwa war den Rednern aller Fraktionen 
dieses Thema wert. Herrn Diepgen fiel zur Gesundheit außer 
knappen Hinweisen auf das Herz- und Transplantationszentrum 
nichts ein, was nennenswert gewesen wäre. Wen wundert es? 
Weiß man doch aus den letzten Jahren des CDU-Senats, wie die 
ohnehin zu engen Spielräume des Gesundheitsetats genutzt 
wurden, nämlich absolut einseitig und zugunsten einer teuren 
Hochleistungsmedizin. 
[Diepgen (CDU): Ist Naturheilkunde eingeführt worden?] 
- Lassen Sie mich, bitte, ausreden! 
Niemand, auch nicht wir von der AL, bestreitet die Notwendig 
keit der Hochleistungsmedizin und deren Nutzen, obwohl uns 
das ständig unterstellt wird. Aber wie steht es mit der Verhältnis- 
mäßigkeit, wenn nicht einmal die ganz normale Gesundheitsver 
sorgung der Alten und Kranken, sowohl im stationären als auch 
im ambulanten und psychiatrischen Bereich auf einem halbweg 
angemessenen Niveau sichergestellt ist? 
[Dr. Franz (CDU): Liebe Frau, die ist weltweit 
vorbildlich! Darum beneidet uns die halbe Welt!] 
Tagtäglich konnte ich das in meiner Tätigkeit als Krankenschwe- (C) 
ster hautnah erleben. Der so oft bekämpfte Krankenhausplan 
1986 hat die von der CDU betriebene falsche Schwerpunkt 
setzung noch deutlich verstärkt. Zwar sollte er die Versorgungs 
pyramide vom Kopf auf die Basis stellen, also eine bessere 
Grundversorgung bieten, jedoch hat er diesen Zweck bisher 
völlig verfehlt. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Im Gegenteil: Kleine gemeindenahe Krankenhäuser der Grund 
versorgung wurden reihenweise geschlossen. 
[Dr. Franz (CDU); Ja, bei der SPD! Wir haben sie 
erhalten I] 
Unpersönliche Mammutkliniken wurden geplant und gebaut, 
deren Bau- und Folgekosten Unsummen verschlingen. Laut 
Koalitionsvereinbarung sollte das unter Rot-Grün alles anders 
werden, doch der Einstieg in eine neue Gesundheitspolitik ist 
durch die Entscheidung, das Universitätsklinikum Rudolf 
Virchow - Kernstück des Krankenhausplans 1986 - doch zu 
verlagern, zumindest eingeschränkt. Das Universitätsklinikum 
bindet ungeheure Haushaltsmittel, die für den Aufbau notwendi 
ger und dezentraler Gesundheitseinrichtungen dann nicht mehr 
zur Verfügung stehen. Erklärtermaßen steht für die Klinika der 
Universität auch nicht die Gesundheitsversorgung der Bevölke 
rung im Vordergrund, sondern Forschung und Lehre. Unsere 
Aufgabe wird es jetzt sein, auch an den Universitätskliniken dafür 
zu sorgen, daß der Aspekt der Sicherstellung der gesundheitli 
chen Versorgung das notwendige Gewicht bekommt. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Im Sinne grün-alternativer gesundheitspolitischer Vorstellun 
gen ist schon zu Beginn der Ara Rot-Grün der Zug in Richtung 
grundsätzlicher Neuorientierungen im Gesundheitswesen abge 
fahren. Seitdem haben wir trotzdem dafür gesorgt, daß die 
Signale einige wenige Male auf grün standen, um zumindest 
noch mögliche Kurskorrekturen des abgefahrenen Zuges durch- (D) 
zusetzen. Die erstmalige Sicherstellung der Finanzierung eines 
Weglaufhauses hat Herr Köppl in seinem gestrigen Redebeitrag 
bereits dargestellt. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Ich wiederhole dazu aber noch eines: Wir sind sehr stolz darauf, 
das durchgesetzt zu haben. 
[Beifall bei der AL] 
Im ersten Haushaltsentwurf waren andere Hoffnungsträger für 
Veränderungen in der Psychiatrie erschreckend gering, ja bis an 
die untere Grenze ihrer Existenzfähigkeit bedacht. Hier konnten 
wir durch Umschichtungen von über 1 Million DM immerhin das 
Nötigste durchsetzen. 
Die Alternative Liste hat schon lange die unkoordinierte, nicht 
umfassende Gesundheitsplanung dieser Stadt kritisiert. Der 
stark korrekturbedürftige Krankenhausplan '86 kann selbstver 
ständlich nur ein Teil von Gesundheitsplanung sein. Aufeinander 
bezogene Planungen schließen ambulante Dienste, Psychiatrie 
und insbesondere vielfältige integrierte Einrichtungen für alte 
Menschen und auch Kinder mit ein. Nach anfangs erschrecken 
der Phantasielosigkeit, auch bei der SPD, hat jetzt - dazu haben 
sicher nicht unwesentlich kräftige Anschübe durch die AL beige 
tragen - ein Umdenkprozeß eingesetzt. 
[Beifall bei der AL] 
Gesundheitsplanung soll stattfinden und bis 1991 abgeschlos 
sen sein! Bezirkliche Gesundheitskonferenzen und die noch ein- 
zuberufene Landesgesundheitskonferenz können einen wichti 
gen Beitrag dazu leisten. 
[Dr. Franz (CDU): Sand im Getriebe!] 
Eine neue Qualität von Demokratisierung im Gesundheitswe 
sen zeigt sich in bezug auf das Gesundheitshaus Britz. An der 
Konzeption sind maßgeblich die Beschäftigten beteiligt. Es lohnt 
sich wieder, Ideen und Initiativen zu entwickeln. Sie werden, 
wenn auch noch nicht genug, berücksichtigt! 
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