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Volume Nr. 21, 8. Dezember 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989 
1035 
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Frau Schlicht 
(A) bisher gar nichts getan. - Im Gegenteil I Die Frauen in der Familie 
haben Sie durch die Rücknahme des Familiengeldes und die 
Streichung des Familiendarlehens noch zusätzlich geschädigt. 
[Beifall bei der CDU] 
Sie wiegeln ab, Sie verschieben, Sie verhindern, wenn es um 
frauenfördernde Vorschläge geht, die wir von der CDU einge 
bracht und im Frauenausschuß beraten haben. Dies tun Sie, 
wenn die Vorschläge nicht einer besonderen Gruppe von Frauen 
zugute kommen sollen, sondern den Frauen insgesamt. Ich erin 
nere Sie, verehrte Koalitionsfraktionen, an Ihre Haltung zu der 
von uns geforderten sozialen Absicherung von Tagespflege 
eltern. Dies betrifft insbesondere Frauen, die als Tagesmütter 
tätig sind. Ich erinnere an die mühsamen Diskussionen mit Ihnen 
um die Bereitstellung von Vertretungsmitteln für Frauen, die in 
den Mutterschutz gehen, an Ihren Versuch, Wiedereingliede 
rungskurse für berufsrückkehrende Lehrerinenn zu verhindern. 
[Frau Hohenberger (AL) und 
Frau Korthaase (SPD); Das ist ein Quatsch!] 
Oder ich erinnere Sie auch daran: Sie haben den Krankenpflege 
kräften, die bekanntermaßen zum großen Teil Frauen sind, eine 
übertarifliche Zulage von 300 DM versprochen. Was ist daraus 
geworden? - Sie haben es nicht umgesetzt! Oder, Herr Löhe, 
wenn Sie erzählen, daß der Erzieherberuf - ich muß es aufgrund 
Ihrer Vorschläge sagen - sozial abgewertet werden soll, indem 
Sie die Ausbildungszeiten verkürzen wollen, 
[Zuruf des Abg. Löhe (SPD)] 
dann bewirken Sie eindeutig, daß die Frauen, die den Erzieher 
beruf zum großen Teil tragen, benachteiligt werden. 
[Frau Korthaase (SPD): Schade, daß Sie erst so kurz im 
Parlament sind, Frau Schlicht!] 
Wir müssen uns fragen: Was sind eigentlich bisher für 
Impulse von der Senatsverwaltung für Frauen ausgegangen? - 
(B) Die Frauenförderung im öffentlichen Dienst - das ist ein 
Thema, das vom CDU-FDP-Senat begonnen wurde - wird vom 
Senat nur, man muß es leider sagen, sehr zögerlich bearbeitet. 
Dreimal haben wir anmahnen müssen, daß die Verwaltungsvor 
schriften für die Frauenförderung endlich vorgelegt werden. Nun 
liegen sie im Entwurf da. Oder das Gleichstellungs- und Anti 
diskriminierungsgesetz: Das geht auf eine Grundlage des 
CDU-FDP-Senats zurück, auf der Sie versuchen aufzubauen. Sie 
haben sich für die Umsetzung eines Gleichstellungs- und Anti 
diskriminierungsgesetzes Stellen bewilligen lassen. Aber diese 
Stellen sind noch nicht einmal besetzt worden, weil Sie mit femi 
nistischer Attitüde Vorschriften des Landes Berlin erst einmal 
außer Kraft gesetzt und diese Stellen nur für Frauen ausgeschrie 
ben haben. Sie mußten die Stellen noch einmal ausschreiben, 
und deshalb sind sie immer noch nicht besetzt. So konnten Sie 
bislang noch nicht einmal die Arbeit für das - sicher notwen 
dige - Gleichstellungsgesetz leisten. 
Man kann weiter aufzählen; die Frage der Einrichtung der 
Zufluchtswohnung, der Übergangswohnung für ausländische 
Prostituierte, die Frage der Aufgaben und Kompetenzen für 
bezirkliche Frauenbeauftragte - Sie haben nichts angepackt. 
Zum Abschluß kann ich festhalten: Herr Momper hat gestern 
so doppelbödig beschrieben, was er von Frauenpolitik hält: 
[Frau Abg. Korthaase (SPD) meldet sich 
zu einer Zwischenfrage.] 
- Nein, es blinkt hier schon I - Frauenpolitik, sagte Herr Momper, 
habe den Stellenwert, der ihr zukomme. Dazu kann ich nur 
sagen: Solange Frauenpolitik von diesem Senat als Kampf 
gegen die Männergesellschaft verstanden wird — 
[Dr. Staffelt (SPD): So empfinde ich das aber nicht! - 
Zuruf der Frau Abg. Hohenberger (AL)] 
- Wie nannte es denn gestern Frau Hohenberger? Ich möchte 
Sie einmal zitieren: Der Kampf gegen das gesamtpatriarchali 
sche, kapitalistische Schweinesystem - 
[(Dr. Staffelt (SPD): Au weial] 
eine zutiefst befremdliche Nähe zur Terroristensprache, Frau (C) 
Hohenberger! - Solange die vielen Frauen und die Männer im 
Senat sich in ihren Verwaltungen nicht für die Frauenbelange 
einsetzen, wird der Stellenwert von Frauenpolitik bei Ihnen, 
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, weiter 
gering bleiben. Auch hier zeigt sich deutlich das Regierungs 
motto dieses Senats: nur Sprüche, kaum Taten! 
[Beifall bei der CDU - Diepgen (CDU): So ist es! - 
Frau Künast (AL): Fangen Sie erst einmal bei sich 
in der Fraktion an! - 
Dr. Staffelt (SPD): Ein bißchen schlicht, Frau Schlicht!] 
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete 
Holzhüter! 
[Dr. Staffelt (SPD): Aber jetzt noch nicht 
die Uhr drücken!] 
- Nein, nein! Wir machen das sehr korrekt, Hem Staffelt, da brau 
chen Sie keine Sorge zu haben. 
Frau Holzhüter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Liebe Frau Schlicht, die ich Sie sonst sehr schätze, ich 
muß Sie etwas korrigieren; Die Gewalt gegen Frauen existiert 
leider und gerade auch in Familien. Deshalb sind durchaus nicht 
nur Feministinnen von dieser Gewalt betroffen, sondern auch 
Frauen in Familien. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Auch am Arbeitsplatz herrscht die sexuelle Gewalt gegen Frauen 
in differenzierter Form, das können uns die Gewerkschaften 
bestätigen. Die Frauen sind nicht erst seit heute oder mit Über 
nahme der Regierung durch SPD und AL entdeckt worden. Acht 
Jahre sollten ausgereicht haben, Pflöcke zu setzen, wenn es 
Ihnen so wichtig gewesen wäre! 
[Zuruf der Frau Abg. Blankenburg (CDU)] (D) 
Der Kampf gegen die Männer liegt mir überhaupt nicht; ich 
habe selbst zwei zu Hause, und auch mit meinen Fraktionskolle- 
gen komme ich hervorragend aus. 
[Lehmann-Brauns (CDU): Auch mit Herrn Staffelt?] 
Man sollte zusammen mit den Männern kämpfen, aber manche 
muß man auch bekämpfen. 
[Beifall bei der AL] 
Jahrelang haben wir ein wenig gelungenes Vorhaben beob 
achten können: Frauenpoltik, die fast ohne Frauen gemacht 
wurde. Das konnte nicht den nötigen Durchbruch bringen. 
Eine Haushaltsdebatte muß auch erlauben, einmal hinter die 
Zahlen zu gucken und die Menschen zu sehen, die dahinter 
stehen. Wenn wir den Aufbau einer tatkräftigen Abteilung Frau 
enpolitik in der Senatsverwaltung für Frauen, Familie und Jugend 
miterleben, wenn wir um die Unterstützung von acht Senatorin 
nen im Senat wissen, dann können auch die Frauen in unserer 
Stadt sehr deutlich sehen, daß sie verstanden werden und für sie 
etwas getan wird. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Der Aufbau eines gut funktionierenden Frauen-Netzwerkes, 
frauenpolitisches Profil zu beweisen, Entscheidungen transpa 
rent zu machen, glaubwürdige Solidarität zu zeigen, gehört mit zu 
den Bestandteilen einer neuen Frauenpolitik. Abdanken müs 
sen Konkurrenz und Profilsucht, Reduktion auf 2-Minuten-State- 
ments und mit Machtkarrieren einhergehende Sachzwänge. 
[Beifall bei der SPD] 
So alt wie geschlechtsspezifische Strukturen, so alt wie die 
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sind die Widerstände, die 
ihrer Überwindung enlgegenstehen. Wenn Max Weber für einen 
Politikbereich die Wahrheit benannte, so wäre das die Anwen 
dung seiner Definition von Politik auf die Frauenpolitik: Frauen 
politik ist das Bohren von harten und sehr dicken Brettern.
	        
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