Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
21. Sitzung vom 8. Dezember 1989
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Frau Schlicht
(A) bisher gar nichts getan. - Im Gegenteil I Die Frauen in der Familie
haben Sie durch die Rücknahme des Familiengeldes und die
Streichung des Familiendarlehens noch zusätzlich geschädigt.
[Beifall bei der CDU]
Sie wiegeln ab, Sie verschieben, Sie verhindern, wenn es um
frauenfördernde Vorschläge geht, die wir von der CDU einge
bracht und im Frauenausschuß beraten haben. Dies tun Sie,
wenn die Vorschläge nicht einer besonderen Gruppe von Frauen
zugute kommen sollen, sondern den Frauen insgesamt. Ich erin
nere Sie, verehrte Koalitionsfraktionen, an Ihre Haltung zu der
von uns geforderten sozialen Absicherung von Tagespflege
eltern. Dies betrifft insbesondere Frauen, die als Tagesmütter
tätig sind. Ich erinnere an die mühsamen Diskussionen mit Ihnen
um die Bereitstellung von Vertretungsmitteln für Frauen, die in
den Mutterschutz gehen, an Ihren Versuch, Wiedereingliede
rungskurse für berufsrückkehrende Lehrerinenn zu verhindern.
[Frau Hohenberger (AL) und
Frau Korthaase (SPD); Das ist ein Quatsch!]
Oder ich erinnere Sie auch daran: Sie haben den Krankenpflege
kräften, die bekanntermaßen zum großen Teil Frauen sind, eine
übertarifliche Zulage von 300 DM versprochen. Was ist daraus
geworden? - Sie haben es nicht umgesetzt! Oder, Herr Löhe,
wenn Sie erzählen, daß der Erzieherberuf - ich muß es aufgrund
Ihrer Vorschläge sagen - sozial abgewertet werden soll, indem
Sie die Ausbildungszeiten verkürzen wollen,
[Zuruf des Abg. Löhe (SPD)]
dann bewirken Sie eindeutig, daß die Frauen, die den Erzieher
beruf zum großen Teil tragen, benachteiligt werden.
[Frau Korthaase (SPD): Schade, daß Sie erst so kurz im
Parlament sind, Frau Schlicht!]
Wir müssen uns fragen: Was sind eigentlich bisher für
Impulse von der Senatsverwaltung für Frauen ausgegangen? -
(B) Die Frauenförderung im öffentlichen Dienst - das ist ein
Thema, das vom CDU-FDP-Senat begonnen wurde - wird vom
Senat nur, man muß es leider sagen, sehr zögerlich bearbeitet.
Dreimal haben wir anmahnen müssen, daß die Verwaltungsvor
schriften für die Frauenförderung endlich vorgelegt werden. Nun
liegen sie im Entwurf da. Oder das Gleichstellungs- und Anti
diskriminierungsgesetz: Das geht auf eine Grundlage des
CDU-FDP-Senats zurück, auf der Sie versuchen aufzubauen. Sie
haben sich für die Umsetzung eines Gleichstellungs- und Anti
diskriminierungsgesetzes Stellen bewilligen lassen. Aber diese
Stellen sind noch nicht einmal besetzt worden, weil Sie mit femi
nistischer Attitüde Vorschriften des Landes Berlin erst einmal
außer Kraft gesetzt und diese Stellen nur für Frauen ausgeschrie
ben haben. Sie mußten die Stellen noch einmal ausschreiben,
und deshalb sind sie immer noch nicht besetzt. So konnten Sie
bislang noch nicht einmal die Arbeit für das - sicher notwen
dige - Gleichstellungsgesetz leisten.
Man kann weiter aufzählen; die Frage der Einrichtung der
Zufluchtswohnung, der Übergangswohnung für ausländische
Prostituierte, die Frage der Aufgaben und Kompetenzen für
bezirkliche Frauenbeauftragte - Sie haben nichts angepackt.
Zum Abschluß kann ich festhalten: Herr Momper hat gestern
so doppelbödig beschrieben, was er von Frauenpolitik hält:
[Frau Abg. Korthaase (SPD) meldet sich
zu einer Zwischenfrage.]
- Nein, es blinkt hier schon I - Frauenpolitik, sagte Herr Momper,
habe den Stellenwert, der ihr zukomme. Dazu kann ich nur
sagen: Solange Frauenpolitik von diesem Senat als Kampf
gegen die Männergesellschaft verstanden wird —
[Dr. Staffelt (SPD): So empfinde ich das aber nicht! -
Zuruf der Frau Abg. Hohenberger (AL)]
- Wie nannte es denn gestern Frau Hohenberger? Ich möchte
Sie einmal zitieren: Der Kampf gegen das gesamtpatriarchali
sche, kapitalistische Schweinesystem -
[(Dr. Staffelt (SPD): Au weial]
eine zutiefst befremdliche Nähe zur Terroristensprache, Frau (C)
Hohenberger! - Solange die vielen Frauen und die Männer im
Senat sich in ihren Verwaltungen nicht für die Frauenbelange
einsetzen, wird der Stellenwert von Frauenpolitik bei Ihnen,
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, weiter
gering bleiben. Auch hier zeigt sich deutlich das Regierungs
motto dieses Senats: nur Sprüche, kaum Taten!
[Beifall bei der CDU - Diepgen (CDU): So ist es! -
Frau Künast (AL): Fangen Sie erst einmal bei sich
in der Fraktion an! -
Dr. Staffelt (SPD): Ein bißchen schlicht, Frau Schlicht!]
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete
Holzhüter!
[Dr. Staffelt (SPD): Aber jetzt noch nicht
die Uhr drücken!]
- Nein, nein! Wir machen das sehr korrekt, Hem Staffelt, da brau
chen Sie keine Sorge zu haben.
Frau Holzhüter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Liebe Frau Schlicht, die ich Sie sonst sehr schätze, ich
muß Sie etwas korrigieren; Die Gewalt gegen Frauen existiert
leider und gerade auch in Familien. Deshalb sind durchaus nicht
nur Feministinnen von dieser Gewalt betroffen, sondern auch
Frauen in Familien.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Auch am Arbeitsplatz herrscht die sexuelle Gewalt gegen Frauen
in differenzierter Form, das können uns die Gewerkschaften
bestätigen. Die Frauen sind nicht erst seit heute oder mit Über
nahme der Regierung durch SPD und AL entdeckt worden. Acht
Jahre sollten ausgereicht haben, Pflöcke zu setzen, wenn es
Ihnen so wichtig gewesen wäre!
[Zuruf der Frau Abg. Blankenburg (CDU)] (D)
Der Kampf gegen die Männer liegt mir überhaupt nicht; ich
habe selbst zwei zu Hause, und auch mit meinen Fraktionskolle-
gen komme ich hervorragend aus.
[Lehmann-Brauns (CDU): Auch mit Herrn Staffelt?]
Man sollte zusammen mit den Männern kämpfen, aber manche
muß man auch bekämpfen.
[Beifall bei der AL]
Jahrelang haben wir ein wenig gelungenes Vorhaben beob
achten können: Frauenpoltik, die fast ohne Frauen gemacht
wurde. Das konnte nicht den nötigen Durchbruch bringen.
Eine Haushaltsdebatte muß auch erlauben, einmal hinter die
Zahlen zu gucken und die Menschen zu sehen, die dahinter
stehen. Wenn wir den Aufbau einer tatkräftigen Abteilung Frau
enpolitik in der Senatsverwaltung für Frauen, Familie und Jugend
miterleben, wenn wir um die Unterstützung von acht Senatorin
nen im Senat wissen, dann können auch die Frauen in unserer
Stadt sehr deutlich sehen, daß sie verstanden werden und für sie
etwas getan wird.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Der Aufbau eines gut funktionierenden Frauen-Netzwerkes,
frauenpolitisches Profil zu beweisen, Entscheidungen transpa
rent zu machen, glaubwürdige Solidarität zu zeigen, gehört mit zu
den Bestandteilen einer neuen Frauenpolitik. Abdanken müs
sen Konkurrenz und Profilsucht, Reduktion auf 2-Minuten-State-
ments und mit Machtkarrieren einhergehende Sachzwänge.
[Beifall bei der SPD]
So alt wie geschlechtsspezifische Strukturen, so alt wie die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sind die Widerstände, die
ihrer Überwindung enlgegenstehen. Wenn Max Weber für einen
Politikbereich die Wahrheit benannte, so wäre das die Anwen
dung seiner Definition von Politik auf die Frauenpolitik: Frauen
politik ist das Bohren von harten und sehr dicken Brettern.