Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
18. Sitzung vom 16. November 1989
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Stellv. Präsidentin Dr. Schramm
(A) Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Poritz das Wort zu
einer Mündlichen Anfrage über
Senat als Erpresser
an der Havelchaussee
Poritz CDU): Ich frage den Senat: Mit welcher rechtlichen
Begründung verweigert der Senat die Verlängerung von Pacht
verträgen für Grundstücke an der Havelchaussee, falls nicht
vorher der Betriebsinhaber auf Klagen gegen das Land Berlin
wegen des bei einer Sperrung der Chaussee zu erwartenden
Einnahmeausfalls verzichtet?
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Das Wort zur Beantwor
tung hat Frau Limbach.
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz; Frau Präsidentin!
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt: Das
Land Berlin handelt bei den Verträgen an der Havelchaussee im
Rahmen seiner privatrechtlichen Vertragsfreiheit Die Pacht
bzw. die Mietverträge mit den Gaststättenbetreibern an der
Havelchaussee laufen, sofern das Land Berlin Vertragspartner
ist, über einen festen Zeitraum und sind mit einer bestimmten
Frist oder aus bestimmten Gründen kündbar. Eine Änderung der
Verträge während ihrer Laufzeit kommt überhaupt nur bei einem
gegenseitigen Einvernehmen in Betracht. Dem Land Berlin steht
es selbstverständlich frei, bei Änderungswünschen der Pächter
bzw. der Mieter in laufenden Verträgen seinerseits Änderungs
wünsche zu formulieren.
Das Land Berlin hält sich schon aus Vorsorgegesichtspunkten
und nach Treu und Glauben für verpflichtet, bei derartigen Ver
tragsänderungen die künftige Situation an der Havelchaussee zu
berücksichtigen. Um das Entstehen von Entschädigungsan-
Sprüchen gegen das Land Berlin möglichst auszuschließen,
erklärt sich das Land Berlin im Rahmen seiner privatrechtlichen
Vertragsfreiheit zu Vertragsänderungswünschen der Pächter
bzw. Mieter nur dann bereit, wenn diese gewillt sind, sich auf die
künftige Situation an der Havelchaussee einzustellen. Aus den
genannten Gründen verfährt das Land Berlin gleichermaßen bei
der Verlängerung von Pacht- bzw. Mietverträgen - wozu keine
rechtliche Verpflichtung besteht - sowie bei Neuabschlüssen
von Pacht- und Mietverträgen.
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Herr Poritz!
Poritz (CDU): Frau Senatorin, trifft es zu, daß der Senat
seinen Plan zur Sperrung der Havelchaussee wegen erheb
licher rechtlicher Bedenken der dazu zuständigen Verwaltungen
noch gar nicht abschließend beraten konnte? Und sind die in
meiner ersten Frage enthaltenen Sachverhalte dadurch nicht
noch viel schlimmer?
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Frau Limbachl
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz: Ich wüßte nicht,
warum da die Sachverhalte schlimmer sind. Ich habe eher den
Eindruck, daß die Frage verfrüht gestellt ist, da der Senat ja noch
nicht zu einem endgültigen Beschluß gekommen ist.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Stellv. Präsidentin Dr.Schramm: Herr Poritz!
Poritz (CDU): wie verträgt sich Ihre Antwort mit der Feststel
lung, daß die Parkplätze von Schildhorn und Lindwerder schon
weggenommen worden sind?
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Frau Limbach!
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz; Dem liegt noch kein (C)
Senatsbeschluß zugrunde. Das ist eine vorläufige Maßnahme,
die getroffen worden ist und die natürlich einen Einfluß bei Neu
abschlüssen - wohlgemerkt: nicht bei laufenden Verträgen - auf
den Vertragsgegenstand haben wird.
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Das Wort zur nächsten
Zusatzfrage hat Herr Giesel. Nach meiner Liste folgt sodann
Herr Berger.
Giesel (CDU): Frau Senatorin, verstehe ich Sie richtig, daß
der Senat offensichtlich Angst hat, daß er im Fall der Sperrung
der Havelchaussee und der damit zu erwartenden erheblichen
Minderung der Attraktivität und der damit verbundenen Umsatz
einbußen der dortigen Gastronomie zur Kasse gebeten wird? -
Sonst würde er doch nicht bei der einfachen Verlängerung von
Verträgen für sich selber einen vorauseilenden Gehorsam ver
ordnen, wie Sie das dargestellt haben.
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz; Der Senat kennt in
diesem Punkt keine Ängste, aber er muß natürlich immer, wenn
er solche Verträge neu schließt oder ändert, Folgenabwägungen
vornehmen und dabei auch alle denkbaren rechtlichen Gesichts
punkte berücksichtigen.
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Jetzt, bitte, Herr Berger!
Berger (AL): Wie steht der Senat zu Überlegungen, die auch
in der Stadt angestellt werden, daß eine Sperrung der Havel
chaussee keineswegs einen Umsatzrückgang für das dortige
Gastgewerbe bedeuten würde, man sich dort vielmehr eine „gol
dene Nase“ verdienen könnte und daß die Schwarzmalerei der
jetzigen Besitzer vielleicht auch mit einem bißchen Mangel an
wirtschaftlicher Phantasie zusammenhängt, wenn man bedenkt,
welche hohe Attraktivität dieses Gebiet, wenn es privatautofrei (D)
wäre, als Erholungsgebiet für die wachsende Berliner Bevölke
rung bekäme?
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Frau Limbach!
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz: Herr Abgeordneter!
Der Senat bezieht in seine Überlegungen solche Erwägungen
selbstverständlich auch mit ein. Er kann sich durchaus auch eine
größere Gewinnerzielung vorstellen, wenn man diese Maßnah
men vornehmen würde.
[Zurufe von der CDU]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Herr Dr. Hassemer!
Dr. Hassemer (CDU); Frau Senatorin! Halten Sie es nicht für
einen geschmacklosen und obrigkeitsstaatlichen Stil im Umgang
mit Bürgern, wenn Sie den Bürgern, die in Wahrnehmung ihrer
Bürgerrechte gegen Ihre Politik auftreten, auf dem Weg Ihrer ver
traglichen Möglichkeiten den Zwang auferlegen, sich Ihrer Linie
anzuschließen?
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Frau Limbach!
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz: Verzeihen Sie, Herr
Abgeordneter, ich muß das mit dem Zwang zurückweisen: Ich
habe eingangs bei der Beantwortung der Hauptfrage deutlich
gemacht, daß der Senat hier im Grunde genommen im fiskali
schen Bereich, im Rahmen seiner privatrechtlichen Vertragsfrei
heit, handelt. In diesem Zusammenhang ist es das selbstver
ständliche Recht, auch den Vertragsgegenstand neu zu verhan
deln. Natürlich für beide Seiten!
Stellv. Präsidentin Dr.Schramm: Herr Hassemer!