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Volume Nr. 20, 7. Dezember 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989 
978 
Dr. Statz 
(A) weil die Entwicklung in der DDR die Demokratisierung, die 
Gesundung er Wirtschaft, Zeit brauchen. Diese Zeit müssen wir 
auch durch unser eigenes Handeln hier hersteilen. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Schon in den letzten Wochen haben die Oppositionellen in 
der DDR händeringend, und ich sage: händeringend, uns darum 
gebeten, daß sie diese Zeit auch durch unsere eigene Politik 
erhalten. Aber das Gegenteil davon ist das, was uns von rechter 
Seite im Augenblick begegnet. Wenn Herr Diepgen davon 
gesprochen hat, dieses kommunistische System könne man 
nicht stützen, dann heißt das, er will den Zusammenbruch in der 
DDR! Und das ist nicht der Zusammenbruch des Kommunismus 
- der ist zusammengebrochen -, das ist der Zusammenbruch 
der Gesellschaft drüben, und der wird ausgetragen auf dem 
Rücken der Menschen. 
[Buwitt (CDU); Ist doch Unsinn, was Sie da reden!] 
Diese Art von Politik, die die Konservativen hier machen, ist eine 
Politik der Illusionen, eine Politik der Intervention in die DDR, und 
es ist eine Politik der Katastrophen, 
[Widerspruch bei der CDU und den REP] 
die die Situation in der DDR verschärfen sollen. 
[Weiterer Widerspruch von der CDU und den REP - 
Glocke des Präsidenten] 
Ich werde das im einzelnen nach diesem aktuellen Bezug auch 
erläutern. Ich werde auch versuchen, Vorschläge zu machen, 
was eigentlich die Richtung ist, wie mit der gegenwärtigen Situa 
tion in der DDR umgegangen werden kann. 
[Preuss (CDU): Der letzte SED-Mann, der übrig 
bleibt, ist Statz hier bei uns! - Weitere 
Zurufe von der CDU - Pieroth (CDU): Rettet den 
Kommunismus! - Frau Ließfeld (SPD): Wollen Sie 
denn, daß die Bundeswehr drüben einmarschiert? - 
(B) Weitere Zurufe von der SPD und der AL] 
- Das sind Vorschläge an uns und nicht an die Leute drüben! 
Die zehn Thesen von Bundeskanzler Kohl, die sich auf den 
ersten Blick sehr schön anschauen, weil sie die Rhetorik der 
sozial-liberalen Koalition übernommen haben, diese zehn Thesen 
zeichnen sich durch das aus, was in ihnen nicht steht. Es steht in 
diesen Thesen nicht die Anerkennung der politischen Realitäten. 
[Preuss (CDU): Wir wissen doch, wo Sie ausgebildet 
worden sind! - Weitere Zurufe von der CDU] 
Es steht in diesen Thesen nicht, daß dies die Voraussetzung jeg 
licher Konföderation, jeglichen Zusammenwachsens der beiden 
Völker in den beiden deutschen Staaten — 
[Zurufe von den REP: Völker? Völker? - 
Weitere Zurufe von der CDU und den REP] 
- Ja, weil es mir um die Menschen geht und weil es um die ge 
meinsamen Traditionen geht und weil es nicht um Nationalismus 
und Nationalstaaten geht! Das sei Ihnen einmal gesagt! - 
[Beifall bei der AL - 
Weitere Zurufe von der CDU und den REP] 
Kohl redet nicht von den Menschen. Kohl redet auch nicht 
davon, daß es erhebliche Widerstände in Europa gibt gegen 
diese Wiedervereinigungsillusionen. 
[Pieroth (CDU): Bei ein paar Stalinisten wie Ihnen! - 
Weitere Zurufe von der CDU] 
Kohl redet mit einem gewissen Pragmatismus, und Herr Rühe 
sagt den Klartext: Wiedervereinigung, Wiedervereinigung, Wie 
dervereinigung! - Am gleichen Abend! Was wir dem entgegen 
setzen müssen, ist eine realistische Politik. Das ist die Politik mit 
dem Blick darauf, was in Europa gegenwärtig möglich ist und 
wie Selbstbestimmung tatsächlich ohne Einmischung von außen 
realisiert werden kann! 
Mitterrand hat Kohl sitzenlassen mit seinem Frühstück, und 
Genscher mußte in Moskau erfahren, daß die Sowjetunion kein 
Interesse daran hat, daß die Wiedervereinigung auf der Tages 
ordnung steht. 
[Abg. Wronski (CDU) meldet sich 
zu einer Zwischenfrage.] 
- Nein! Wenden Sie sich an Herrn Diepgen mit Ihren Zwischen 
fragen ; Sie wissen, warum! - Die Wiedervereinigung kann heute 
nur auf die Tagesordnung setzen, wer die Reformprozesse in der 
Sowjetunion boykottieren will, wer destabilisieren will, 
[Beifall des Abg. Ristock (SPD)] 
wer will, daß es zu Militärdiktaturen in Osteuropa kommt, wer will, 
daß die labile Situation in der DDR noch verstärkt wird. 
[Dr. Wruck (CDU); Nein, wer 
das Selbstbestimmungsrecht für die Leute 
in der DDR will! - Zurufe von der AL] 
Wenn Sie von Wiedervereinigung reden, meine Damen und 
Herren von den Konservativen, kann ich nur sagen; Sie machen 
den Menschen in der DDR Illusionen, weil auch mit dieser gan 
zen Wiedervereinigungsrhetorik sich an den wirtschaftlichen 
Bedingungen, an der Demokratisierung in der DDR auf abseh 
bare Zeit nichts ändern wird! 
[Dr. Wruck (CDU); Ob Sie wollen oder nicht, 
sie wird kommen! - Weitere Zurufe von der CDU] 
Sie versuchen, die materiellen Nöte, die die Menschen dort drü 
ben haben, für Ihre eigenen Ziele zu mißbrauchen. Es ist doch ein 
längerfristiger Prozeß, die Gesundung der Wirtschaft, den die 
Menschen dort drüben selbst bestimmen und aus ihrer eigenen 
Kraft heraus leisten müssen, wobei wir ihnen die entsprechende 
Hilfestellung zu geben haben. Wir brauchen keine Katastrophen 
politik. 
[Dr. Wruck (CDU): Fahren Sie doch mal nach Leipzig! 
- Weitere Zurufe von der CDU] 
Wer jetzt unter den Menschen in der DDR die Illusion verbreitet, 
mit der Wiedervereinigung wären ihre Probleme gelöst, spielt in 
Europa mit dem Feuer. Das sage ich Ihnen; Die Funken, die Ihre 
Rhetorik im Augenblick schlägt, können das Pulverfaß in der 
DDR zur Explosion bringen! Wir wollen das nicht! 
[Beifall bei der AL und der SPD - 
Dr. Wruck (CDU): Sie wollen die 
stalinistische Teilung erhalten! Das wollen Sie! 
Die stalinistische Teilung! - 
Weitere Zurufe von der CDU] 
Die deutschen Fragen, die sich im Augenblick stellen, das 
sind die Fragen nach dem Wohl der Menschen, nach Demokra 
tie, nach den Verbindungen zwischen den Menschen. Das sind 
die Fragen unserer Nachbarn an uns, der Polen, der Franzosen, 
auch der Sowjets nach dem Krieg. Diese deutschen Fragen kön 
nen nur im europäischen Rahmen gelöst werden. Das heißt, was 
wir brauchen - und wir haben diesen Vorschlag gemacht -, ist 
eine KSZE-Sonderkonferenz hier in West-Berlin, auf der endgül 
tig ein Schlußstrich gezogen wird unter die Fragen der Nach 
kriegsordnung, auf der die Realitäten anerkannt werden, 
[Dr. Wruck (CDU): Stalinistische Teilung! - 
Weitere Zurufe von der CDU] 
auf der in der Tat gleichberechtigte Strukturen der Kooperation 
zwischen Ost und West hergestellt werden. Gorbatschow hat 
letzte Woche einen ähnlichen Vorschlag gemacht, weil er sich 
darüber im klaren ist, daß das gesamte Nachkriegssystem 
zusammenbrechen wird, wenn es nicht gelingt, mit vereinten 
europäischen Kräften die labile Situation in der DDR zu meistern. 
Wir haben am 17. März in Bonn eine Wirtschaftskonferenz der 
KSZE; und ich kann Ihnen nur sagen, wir werden darauf dringen, 
daß diese Wirtschaftskonferenz gleichberechtigte Beziehungen 
in der Wirtschaft zum Gegenstand hat. 
[Dr. Wruck (CDU); Durch Selbstbestimmung! - 
Weitere Zurufe von der CDU]
	        
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