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Volume Nr. 20, 7. Dezember 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989 
977 
Kendzia 
Höhe von 106 000 DM zur Verfügung zu stellen; somit hat man 
den Gesamtbetrag wieder aufgestockt, damit man selbst nichts 
hergeben muß. 
Im entsprechenden Titel dieses Haushalts steht die Wahl 
kampfkostenerstattung, stehen die Fraktionszuschüsse, und 
es gibt in diesem Haushalt noch eine Reihe anderer versteckter 
Quellen, mit denen die Parteien finanziert werden. Der Artikel 21 
des Grundgesetzes sagt - das wissen Sie alle -, daß die Par 
teien an der politischen Willensbildung in unserer Republik mit- 
arbeiten. Das ist schon lange Theorie. Die Parteien haben sich 
eine Monopolstellung der Willensbildung in diesem Staat ange- 
maßl, so daß man fast sagen kann, dieser Staat hat keine Par 
teien, sondern die Parteien haben diesen Staat. Das sind ver 
gleichbare Verhältnisse. In der DDR hat man gesagt, die SED hat 
den Staat. Wir wollen beide Verhältnisse nicht. Wir wollen nicht 
die Zustände in der DDR und auch nicht die in der Bundesrepu 
blik. Wir wollen, daß die Parteipfründe sowohl in Ost als auch in 
West nicht in ein einheitliches Deutschland übertragen werden! 
[Beifall bei den REP] 
Man sagt, die Aufgaben der Parteien sind dermaßen gewal 
tig und daß dies ein gewaltiges Geld kostet und daß man dieses 
gewaltige Geld dann eben auch benötigt und im Zweifelsfall 
eben vom Staat zu bekommen hat. Wir meinen dagegen, die Par 
teien mögen sich um die Aufgaben kümmern, die ihnen zustehen, 
und sich nicht alles und jedes anmaßen, sondern sich auf die 
Aufgaben beschränken, die ihnen zustehen. Sie sollen sich auf 
das beschränken, was Mitglieder und Sympathisanten, das heißt 
der Anhang einer solchen Partei, dieser zur Verfügung stellen. 
Und niemand soll sagen: Das geht nicht! - Das geht, und das 
ging früher, und zwar lange und gut! Nehmen wir ein Beispiel: 
die Sozialdemokraten. Als die Sozialdemokraten noch der partei 
politisch organisierte Arm der Arbeiterbewegung waren - sie 
sind es schon lange nicht mehr -, da hatte diese Sozialdemokra 
tie ein Umfeld in dieser Arbeiterbewegung. Das bestand aus 
Sport- und Wandervereinen, Freidenkergemeinschaften, Feuer 
bestattungsorganisationen, Sängerbünden, Buchclubs, Theater 
gemeinschaften, Gewerkschaften, Wohnungsbaugenossen 
schaften und noch vielen anderen mehr. Das alles war die SPD. 
Das alles funktionierte gut, und zwar ohne Staatsgelder. Damals 
war die SPD noch eine volksnahe, eine lebendige Partei voller 
Bewegung. Heute ist das alles nicht mehr so. Und ich erlaube 
mir, ein Zitat von Robert Leicht zu bringen, und zwar aus der 
„Zeit“ vom 17. Juni 1989, da heißt es: 
Aus flexiblen, aus einigermaßen spontanen Institutionen des 
politischen Diskurses und wechselhaften Meinungskamp 
fes sind selbstherrliche und ziemlich einfallslose Bürokratien 
geworden, die den Anspruch einer Rundumverwaltung des 
politischen Geschäfts erheben und bezahlt haben möchten. 
Hinzuzufügen wäre: Die Parteien sind zu Mandatversorgungsan 
stalten voller verkrusteter Strukturen verkommen; sie sind nur 
noch ein Schatten ihrer selbst! 
Diese hochmütige Überheblichkeit aus dem Alleinvertretungs 
anspruch hinsichtlich der Willensbildung mit steigenderTendenz 
funktioniert wie bei einer Unterschlagung oder einer Hochsta 
pelei. Es fing am Anfang bescheiden und klein an. Dann ging es 
gut und glatt. Und die Begehrlichkeit wächst, weil alles so ein 
fach ging. Die Gesetzesvorlagen werden im allgemeinen von den 
Parteischatzmeistern formuliert, von den Mehrheitskoalitionen in 
den Parlamenten abgesegnet, und die Kasse stimmt! 
Die Bundestagsfraktionen haben in 23 Jahren ihre Bezüge aus 
der Staatskasse verdreiundzwanzigfacht. Sie erhalten zur Zeit je 
Wahlperiode 312 Millionen DM. Das ist etwas weniger als die 
Wahlkampfkostenerstattung im gleichen Zeitraum, aber etwas 
mehr, als die politischen Stiftungen wiederum als Zahlungsemp 
fänger und Kassen der Parteien erhalten. Das ergibt rund eine 
Milliarde DM in vier Jahren. Dazu kommen die Bezüge über die 
Bundesländer, dazu kommen die Bezüge aus der Europawahl, 
dazu kommt ein neues Gesetz des Chancenausgleichs. 
[Frau Dr. Laurien (CDU): Diffamierung der Parteien wie 
in Weimar! - Buwitt (CDU): Nun sagen Sie bloß, die 
Republikaner geben das Geld zurück!] 
- Ich komme darauf noch zu sprechen, Herr Buwitt. (C) 
Die Parteien verfügen in eigener Sache durch Machtmiß 
brauch zur Selbstbegünstigung bei Eigenkontrolle. Man könnte 
das auch Korruption nennen; manche tun es. Ich sage das auch 
in eigener Sache, weil auch meine Partei - das gestehe ich Ihnen 
gern zu - nicht frei von Versuchung ist, in diesen Sumpf der Kor 
ruption zu geraten. Aber wir verstehen uns immer noch als eine 
Partei neuen Typus, die dies in ihrem Programm ablehnt. Und wir 
haben die Absicht, nachhaltig und auch in Zukunft dagegen 
anzugehen - deshalb heute diese klaren Worte! 
[Beifall bei den REP - Buwitt (CDU): ln Ihrem Programm 
steht vieles. In Ihrer jungen Partei gibt es aber auch 
schon viele Querelen!] 
- Querelen zu haben, ist sicherlich noch ehrsamer, als korrupt zu 
sein! Sehen Sie nach drüben in den anderen Teil dieser Stadt! 
[Dr. Köppl (AL): Zahlen Sie mal lieber die Karten für 
das Frauencatchen selbst und nicht aus der 
Fraktionskasse!] 
Sehen Sie nach drüben in den anderen Teil der Stadt, sehen Sie 
nach Mitteldeutschland, und sehen Sie, wie die Korruption der 
Einheitspartei offenbar geworden ist! Nehmen Sie zur Kenntnis, 
wie dort der Monopolanspruch einer Partei gestrichen worden 
ist! Sehen Sie, wie das System dort erschüttert worden ist, und 
lernen Sie daraus! Das Schicksal der Staatspartei in der DDR ist 
das eine, das Schicksal des Parteienstaates hier ist ein anderes. 
Das Schicksal drüben sollte dem Parteienstaat hier eine War 
nung sein. 
[Frau Dr. Laurien (CDU): Sie vergleichen Demokraten mit 
Demagogen!] 
Der Prozeß der Wiedervereinigung darf nicht zu einer Erneue 
rung und zu einer Stabilisierung der Verhältnisse in Mittel 
deutschland führen, aber er sollte auch zu einer Erneuerung und 
zu einer Reform einiger Verhältnisse bei uns führen. 
[Buwitt (CDU): Ihre Form von Demokratie kennen wir, 
darauf können wir verzichten!] 
Viele Gründe sprechen dafür, diesen Etat und diesen Haus 
haltsentwurf abzuiehnen. In der Hauptsache aber werden wir ihn 
ablehnen, weil ein Etat, in dem die Parteienfinanzierung in der 
gegenwärtig praktizierten Form enthalten ist, unsere Zustim 
mung nicht finden wird. - Danke! 
[Beifall bei den REP] 
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Für die AL-Fraktion hat 
nun das Wort der Abgeordnete Statz. 
[Preuss (CDU): Das, was man früher im Osten nicht sagen 
durfte, das sagt man hier!] 
Dr. Statz (AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 
Die große Freude, die wir hatten bei dem Aufbruch in der DDR, 
ist getrübt. Ich möchte Ihnen eine Meldung mitteilen, die gerade 
über die Nachrichtenagenturen kommt, nämlich daß in Rostock, 
Suhl, Dresden und Kottbus die Bezirksämter gestürmt und 
besetzt worden sind 
[Beifall bei den REP] 
und daß es dabei Verletzte gegeben hat. - Das kann ich mir gut 
vorstellen, daß das Ihre Form von Politik ist. - 
[Widerspruch bei der CDU und bei den REP - 
Degen (REP): Heuchler!] 
Wir dürfen den Ernst dieser Situation wirklich nicht unterschät 
zen, wenn jetzt zum Beispiel der Leiter des Amtes für Nationale 
Sicherheit davon spricht, daß es noch - und ich betone: noch 
- keine Ausrufung des Ausnahmezustandes gibt. Wir können die 
Menschen in der DDR gegenwärtig nur bitten, ganz eindringlich 
bitten, daß ihre revolutionäre Ungeduld, die sie haben, sich in 
einen längeren Atem verwandelt, in eine revolutionäre Geduld,
	        
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