Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989
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Kendzia
Höhe von 106 000 DM zur Verfügung zu stellen; somit hat man
den Gesamtbetrag wieder aufgestockt, damit man selbst nichts
hergeben muß.
Im entsprechenden Titel dieses Haushalts steht die Wahl
kampfkostenerstattung, stehen die Fraktionszuschüsse, und
es gibt in diesem Haushalt noch eine Reihe anderer versteckter
Quellen, mit denen die Parteien finanziert werden. Der Artikel 21
des Grundgesetzes sagt - das wissen Sie alle -, daß die Par
teien an der politischen Willensbildung in unserer Republik mit-
arbeiten. Das ist schon lange Theorie. Die Parteien haben sich
eine Monopolstellung der Willensbildung in diesem Staat ange-
maßl, so daß man fast sagen kann, dieser Staat hat keine Par
teien, sondern die Parteien haben diesen Staat. Das sind ver
gleichbare Verhältnisse. In der DDR hat man gesagt, die SED hat
den Staat. Wir wollen beide Verhältnisse nicht. Wir wollen nicht
die Zustände in der DDR und auch nicht die in der Bundesrepu
blik. Wir wollen, daß die Parteipfründe sowohl in Ost als auch in
West nicht in ein einheitliches Deutschland übertragen werden!
[Beifall bei den REP]
Man sagt, die Aufgaben der Parteien sind dermaßen gewal
tig und daß dies ein gewaltiges Geld kostet und daß man dieses
gewaltige Geld dann eben auch benötigt und im Zweifelsfall
eben vom Staat zu bekommen hat. Wir meinen dagegen, die Par
teien mögen sich um die Aufgaben kümmern, die ihnen zustehen,
und sich nicht alles und jedes anmaßen, sondern sich auf die
Aufgaben beschränken, die ihnen zustehen. Sie sollen sich auf
das beschränken, was Mitglieder und Sympathisanten, das heißt
der Anhang einer solchen Partei, dieser zur Verfügung stellen.
Und niemand soll sagen: Das geht nicht! - Das geht, und das
ging früher, und zwar lange und gut! Nehmen wir ein Beispiel:
die Sozialdemokraten. Als die Sozialdemokraten noch der partei
politisch organisierte Arm der Arbeiterbewegung waren - sie
sind es schon lange nicht mehr -, da hatte diese Sozialdemokra
tie ein Umfeld in dieser Arbeiterbewegung. Das bestand aus
Sport- und Wandervereinen, Freidenkergemeinschaften, Feuer
bestattungsorganisationen, Sängerbünden, Buchclubs, Theater
gemeinschaften, Gewerkschaften, Wohnungsbaugenossen
schaften und noch vielen anderen mehr. Das alles war die SPD.
Das alles funktionierte gut, und zwar ohne Staatsgelder. Damals
war die SPD noch eine volksnahe, eine lebendige Partei voller
Bewegung. Heute ist das alles nicht mehr so. Und ich erlaube
mir, ein Zitat von Robert Leicht zu bringen, und zwar aus der
„Zeit“ vom 17. Juni 1989, da heißt es:
Aus flexiblen, aus einigermaßen spontanen Institutionen des
politischen Diskurses und wechselhaften Meinungskamp
fes sind selbstherrliche und ziemlich einfallslose Bürokratien
geworden, die den Anspruch einer Rundumverwaltung des
politischen Geschäfts erheben und bezahlt haben möchten.
Hinzuzufügen wäre: Die Parteien sind zu Mandatversorgungsan
stalten voller verkrusteter Strukturen verkommen; sie sind nur
noch ein Schatten ihrer selbst!
Diese hochmütige Überheblichkeit aus dem Alleinvertretungs
anspruch hinsichtlich der Willensbildung mit steigenderTendenz
funktioniert wie bei einer Unterschlagung oder einer Hochsta
pelei. Es fing am Anfang bescheiden und klein an. Dann ging es
gut und glatt. Und die Begehrlichkeit wächst, weil alles so ein
fach ging. Die Gesetzesvorlagen werden im allgemeinen von den
Parteischatzmeistern formuliert, von den Mehrheitskoalitionen in
den Parlamenten abgesegnet, und die Kasse stimmt!
Die Bundestagsfraktionen haben in 23 Jahren ihre Bezüge aus
der Staatskasse verdreiundzwanzigfacht. Sie erhalten zur Zeit je
Wahlperiode 312 Millionen DM. Das ist etwas weniger als die
Wahlkampfkostenerstattung im gleichen Zeitraum, aber etwas
mehr, als die politischen Stiftungen wiederum als Zahlungsemp
fänger und Kassen der Parteien erhalten. Das ergibt rund eine
Milliarde DM in vier Jahren. Dazu kommen die Bezüge über die
Bundesländer, dazu kommen die Bezüge aus der Europawahl,
dazu kommt ein neues Gesetz des Chancenausgleichs.
[Frau Dr. Laurien (CDU): Diffamierung der Parteien wie
in Weimar! - Buwitt (CDU): Nun sagen Sie bloß, die
Republikaner geben das Geld zurück!]
- Ich komme darauf noch zu sprechen, Herr Buwitt. (C)
Die Parteien verfügen in eigener Sache durch Machtmiß
brauch zur Selbstbegünstigung bei Eigenkontrolle. Man könnte
das auch Korruption nennen; manche tun es. Ich sage das auch
in eigener Sache, weil auch meine Partei - das gestehe ich Ihnen
gern zu - nicht frei von Versuchung ist, in diesen Sumpf der Kor
ruption zu geraten. Aber wir verstehen uns immer noch als eine
Partei neuen Typus, die dies in ihrem Programm ablehnt. Und wir
haben die Absicht, nachhaltig und auch in Zukunft dagegen
anzugehen - deshalb heute diese klaren Worte!
[Beifall bei den REP - Buwitt (CDU): ln Ihrem Programm
steht vieles. In Ihrer jungen Partei gibt es aber auch
schon viele Querelen!]
- Querelen zu haben, ist sicherlich noch ehrsamer, als korrupt zu
sein! Sehen Sie nach drüben in den anderen Teil dieser Stadt!
[Dr. Köppl (AL): Zahlen Sie mal lieber die Karten für
das Frauencatchen selbst und nicht aus der
Fraktionskasse!]
Sehen Sie nach drüben in den anderen Teil der Stadt, sehen Sie
nach Mitteldeutschland, und sehen Sie, wie die Korruption der
Einheitspartei offenbar geworden ist! Nehmen Sie zur Kenntnis,
wie dort der Monopolanspruch einer Partei gestrichen worden
ist! Sehen Sie, wie das System dort erschüttert worden ist, und
lernen Sie daraus! Das Schicksal der Staatspartei in der DDR ist
das eine, das Schicksal des Parteienstaates hier ist ein anderes.
Das Schicksal drüben sollte dem Parteienstaat hier eine War
nung sein.
[Frau Dr. Laurien (CDU): Sie vergleichen Demokraten mit
Demagogen!]
Der Prozeß der Wiedervereinigung darf nicht zu einer Erneue
rung und zu einer Stabilisierung der Verhältnisse in Mittel
deutschland führen, aber er sollte auch zu einer Erneuerung und
zu einer Reform einiger Verhältnisse bei uns führen.
[Buwitt (CDU): Ihre Form von Demokratie kennen wir,
darauf können wir verzichten!]
Viele Gründe sprechen dafür, diesen Etat und diesen Haus
haltsentwurf abzuiehnen. In der Hauptsache aber werden wir ihn
ablehnen, weil ein Etat, in dem die Parteienfinanzierung in der
gegenwärtig praktizierten Form enthalten ist, unsere Zustim
mung nicht finden wird. - Danke!
[Beifall bei den REP]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Für die AL-Fraktion hat
nun das Wort der Abgeordnete Statz.
[Preuss (CDU): Das, was man früher im Osten nicht sagen
durfte, das sagt man hier!]
Dr. Statz (AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Die große Freude, die wir hatten bei dem Aufbruch in der DDR,
ist getrübt. Ich möchte Ihnen eine Meldung mitteilen, die gerade
über die Nachrichtenagenturen kommt, nämlich daß in Rostock,
Suhl, Dresden und Kottbus die Bezirksämter gestürmt und
besetzt worden sind
[Beifall bei den REP]
und daß es dabei Verletzte gegeben hat. - Das kann ich mir gut
vorstellen, daß das Ihre Form von Politik ist. -
[Widerspruch bei der CDU und bei den REP -
Degen (REP): Heuchler!]
Wir dürfen den Ernst dieser Situation wirklich nicht unterschät
zen, wenn jetzt zum Beispiel der Leiter des Amtes für Nationale
Sicherheit davon spricht, daß es noch - und ich betone: noch
- keine Ausrufung des Ausnahmezustandes gibt. Wir können die
Menschen in der DDR gegenwärtig nur bitten, ganz eindringlich
bitten, daß ihre revolutionäre Ungeduld, die sie haben, sich in
einen längeren Atem verwandelt, in eine revolutionäre Geduld,