Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989
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Dr. Hassern er
(A) weil wir glauben, daß alle anderen Varianten der Verkehrsverbin
dung zwischen Neukölln und dem Stadtgebiet und in Zukunft
über Neukölln hinaus in die Umgebung — Sie werden sie nur
leisten können und „stop and go“ und damit große Umweltver
schmutzung nur vermeiden können, wenn Sie eine Entlastung
schaffen. Es ist eine Planung, die wir - Herr Kollege - von Ihnen
nach vielen Jahren übernommen haben. Sie haben diese Pla
nung erstellt, und wir wollten sie verwirklichen.
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Herr Gramer und Herr
Buwitt möchten Zwischenfragen stellen!
Dr. Hassemer (CDU): Frau Präsidentin! Ich habe nur 10
Minuten Redezeit. Deshalb möchte ich nur eine kurze Frage von
Herrn Gramer zulassen und dann fortfahren.
Ihnen einig: Wir wollen nach diesen neuen Entwicklungen keine (C)
Trabantenstadt etwa im Potsdamer Land. Wenn Sie das nicht
wollen, müssen Sie klar und deutlich sagen, wo und wie Sie die
Verdichtungen im Innerstadtbereich besorgen wollen. Sie müs
sen planen, damit Sie nicht von den Planungen oder - wenn das
nicht geplant wird - von Ihrem Bausenator Nagel überrollt wer
den. Sie sind immer zweiter Sieger gewesen. Nicht im Reden,
aber im Tun waren Sie, Frau Schreyer, gegenüber dem Bausena
tor und dem, was von ihm ausgegangen ist, seit neun Monaten
zweiter Sieger.
[Beifall bei der CDU]
Wenn Sie den Zentralen Bereich ansprechen, muß ich
sagen: Es genügt nicht, daß sich Experten alle vier Wochen zu
einem Gespräch treffen. Ich fordere Sie auf: Laden Sie gerade
für Gespräche über dieses Schlüsselgebiet Berlin, die große
Stadt jetzt, die - so hoffen wir - nicht mehr geteilt wird, wirklich
die besten Leute ein!
(B)
Gramer (AL): Die einzige Möglichkeit, die Müllproblematik in
den Griff zu bekommen, ist die Vermeidung des Mülls, und die
Möglichkeit, die Verkehrsproblematik in den Griff zu bekommen,
ist die Vermeidung von Verkehr. Das schaffen Sie nicht durch
Straßen, oder sind Sie da anderer Auffassung?
Dr. Hassemer (CDU): Das können Sie als Bürgerinitiative
oder vielleicht auch als Opposition sagen! Wenn Sie meinen
- ich zitiere Sie -, daß Sie den Müll vermeiden können, dann sind
Sie bei dem verantwortlichen Umgang mit dem, was bei allen
Maßnahmen der Müllvermeidung doch noch übrigbleibt, als
Regierung an der falschen Stelle.
[Beifall bei der CDU]
Ich höre Sie gern an; nur eine Regierung, die davon ausgeht, der
Müll sei zu vermeiden,
[Abg. Momper (SPD): Schwarzer Müll!]
die deswegen keine Vorsorge trifft, muß weg, denn sie ist gefähr
lich unter diesem Aspekt.
[Beifall bei der CDU]
Was wird bleiben? - Es wird das bleiben, was ich der Senato
rin vorgeworfen habe: Wenn Sie keine Vorkehrungen für umwelt
freundlichere Entsorgungsformen treffen, wird Ihnen nichts
anderes übrigbleiben als die schlechteste Form der Behandlung
des Mülls, nämlich die Deponie, das Verbuttern für die nachfol
genden Generationen, zu wählen.
[Berger (AL): Das haben Sie doch jahrelang mit
Vorketzin gemacht!]
Nächster Punkt - die Nord-Süd-Straße: Ich habe versucht,
Frau Schreyer im Rahmen eines Zwischenrufs folgendes zu
fragen: Wenn sie keine trennende Straße zwischen Ost und
West haben wollen, was machen Sie dann mit der Entlastungs-
straße, wenn Sie von Blechlawinen sprechen? - Ich hatte die
Entlastungsstraße bei diesem Wort sehr genau vor Augen, und
ich kenne - im Gegensatz zu Ihnen - sehr genau das ökologi
sche Gutachten, das vor einigen Jahren erstellt worden ist und
das deutlich sagte: Die bessere ökologische Variante gegen
über der heutigen Verbindung quer durch den Tiergarten - Sie
haben heute die Zerschneidung - ist, die Autos unter das Gras
zu bringen.
[Beifall bei der CDU]
Sie werden mit diesen ideologischen Positionen nicht weiter
kommen. Sie werden vor allem - das ist meiner Auffasssung
nach das eigentliche Defizit Ihrer Arbeit, Frau Schreyer -, wenn
Sie sich nicht umgehend Ihrer stadtplanerischen Aufgabe
zuwenden, wenn Sie nicht umgehend wirklich stadtplanerisch
arbeiten, wenn Sie nicht sagen, wo Entwicklungskapazitäten in
Berlin geschaffen werden könnten, wo sich die Stadt entwickeln
soll und wo nicht, in den nächsten Jahren erleben, daß sich der
Entwicklungsdruck in Gegenden der Stadt hineindrängt, in
denen es ökologisch nun wirklich nicht mehr verträglich ist.
Wenn Sie sagen, sie wollen keine Trabantenstadt, bin ich mit
[Zuruf der Frau Sen Dr. Schreyer]
Seien Sie nicht so ängstlich, daß sich daraus vielleicht Vor
schläge entwickeln könnten, mit denen Sie selbst nicht einver
standen wären I Haben Sie den Mut, sich den Ideen und Argu
menten der Menschen aus Ost und West, die von Stadtplanung
etwas verstehen, die große Erfahrungen an anderen Stellen
gemacht haben, auszusestzen I Laden Sie die besten Stadtpla
ner der Welt zu diesem neuralgischen und bedeutsamen Gebiet
in der Mitte der beiden Stadthälften ein!
Meine Damen und Herren, vor allem von der SPD! Ich habe
die Befürchtung, die AL hat eine bestimmte, festgefügte, ideolo
gisch geprägte Position zu dem, was ihre Senatorin tun will. Sie
verschließt sich auf diese Weise den Argumenten, die wir jetzt in
der Stadt haben müssen. Es ist nicht die Zeit, schon alles zu ent
scheiden, aber es ist die Zeit, nachzudenken, die besten Ideen
zu sammeln, die größten Leute einzuladen und sich nicht einzu
schließen und zu schützen vor den Ideen und Argumenten, die
von außen kommen. Seien Sie offen, seien Sie dieser sich nun
entwickelnden Metropole würdig!
[Beifall der CDU]
Stellv. Präsidentin Dr.Schramm: Jetzt spricht Frau
Korthaase für die SPD-Fraktion I
Frau Korthaase (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen,
meine Herren! Ich möchte in der Generaldebatte auf zwei The
men eingehen, und zwar unter dem Gesichtspunkt: soziale
Gerechtigkeit und Sicherung des inneren Friedens!
Die SPD-AL-Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die in der
Stadt vorhandenen sozialen Probleme anzupacken und Stück für
Stück ein sozialeres und gerechteres Gemeinwesen zu verwirk
lichen. Bei all der „hohen Politik“ und den positiven Veränderun
gen der politischen Großwetterlage dürfen wir den Blick für die
hausgemachten sozialen Nöte unserer Bürgerinnen und Bürger
nicht verlieren.
Wer freut sich nicht über die demokratische Revolution der
Menschen in der DDR, aber Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot
und Armut sind bei uns nicht überwunden. Erinnern wir uns nur
kurz daran, mit welcher Selbstgerechtigkeit und Selbstherrlich
keit die CDU in den vergangenen Jahren über die Nöte der
Arbeitslosen und der sozial Benachteiligten hinweggegangen
ist!
[Beifall bei der SPD]
Sie haben eine Politik des Sozialabbaues betrieben und eine
Ellenbogengesellschaft geschaffen, die für die Mehrheit unserer
Bevölkerung keinen angemessenen Platz mehr fand. Es wurde
nichts bekämpft; Massenarbeitslosigkeit wurde hingenommen.
Die CDU hat im Januar 1989 die Quittung dafür bekommen. Ich
hoffe, daß es im nächsten Jahr in Bonn genauso gehen wird.
[Beifall bei der SPD]
Unser SPD-AL-Senat hat erste wichtige Initiativen eingeleitet,
um die soziale Lage in der Stadt zu verbessern. Sozialabbau darf