Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
18. Sitzung vom 16. November 1989
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Dr. Köppl
(A) bahnplanung in Berlin wieder mit Hilfe der Massenbewegung
in der DDR durchsetzen möchte?
[Buwitt (CDU): Man kann von Tag zu Tag klüger werden! -
Weitere Zurufe]
Präsident Wohlrabe: Frau Senatorin, bitte!
Frau Dr. Pfarr, Senatorin für Bundesangelegenheiten:
Solange der Bausenator noch nicht die Gelegenheit hatte, seine
Gedanken inhaltlich auch hier im Abgeordnetenhaus zu begrün
den, möchte ich das nicht bewerten.
[Zurufe]
Präsident Wohlrabe: Das Wort zu einer weiteren Zusatz
frage hat Herr Abgeordneter Berger.
Berger (AL): Frau Senatorin, da jetzt die Karten hinsichtlich
der Grenzübergänge neu gemischt werden; Können Sie sich
nicht auch vorstellen, daß diese Sache innerhalb der DDR, bei
den verantwortlichen Stellen der DDR grundsätzlich überdacht
wird, besonders, wenn man bedenkt, daß dieser Übergang Schi
chauweg auf der anderen Seite durch neun Kilometer intakte
Feldmark führt und bei einer relativ starken, sich deutlich artiku
lierenden Umweltbewegung in der DDR die künftige Regierung
sehr viel stärker auch Rücksicht auf die Umweltbelange der
DDR-Bevölkerung nehmen muß?
Präsident Wohlrabe: Frau Senatorin - bitte!
Frau Dr. Pfarr, Senatorin für Bundesangelegenheiten: Ange
sichts der Erfahrungen der letzten Tage kann ich mir sehr viel
Lernfähigkeit innerhalb der Führung der DDR vorstellen. Ich
hoffe, daß wir weiterhin positiv überrascht werden. Ich bin sicher,
daß zu diesen Überraschungen auch ein gesteigertes Bewußt-
(B) sein hinsichtlich ökologischer Fragen gehören wird.
Präsident Wohlrabe: Das Wort zu einer letzten Zusatzfrage
hat der Herr Abgeordnete Dr. Hassemer.
Dr. Hassemer (CDU): Frau Senatorin, können Sie mir im
Gegensatz zu der Tendenz der Frage von Herrn Gramer bestäti
gen, daß, wenn man den von Ihnen zitierten Satz nutzt, es doch
heute das Gebot der Stunde sein muß, was die Übergänge nach
Ost-Berlin und in die DDR angeht, sich darum zu bemühen, mög
lichst viele Wege und möglichst viele Straßen zu säen, um mög
lichst viel Verkehr herüber und hinüber zu ermöglichen?
Präsident Wohlrabe: Bitte, Frau Dr. Pfarr!
Frau Dr. Pfarr, Senatorin für Bundesangelegenheiten; Ich
würde Ihnen nicht gern zustimmen, weil ich glaube, daß es ein
falsches Signal ist, die Bürgerinnen und Bürger der DDR und
Ost-Berlins, die zu uns kommen, dazu aufzufordern, dieselben
Fehler wie wir zu machen, denn wir versuchen wieder, das etwas
geradezurücken.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Der Satz von Hans-Jochen Vogel; „Wer Straßen baut, wird
Verkehr ernten!“ trifft zu. Er ist allerdings zu ergänzen: Wer Rei
sefreiheit schafft, wird Verkehr ernten.
[Zuruf von der CDU: Sie wollen also zu gängeln
anfangen! - Weitere Zurufe von der CDU]
Präsident Wohlrabe: Wir kommen jetzt zur Mündlichen
Anfrage Nr. 4 über
verfassungswidrige Äußerungen des
Regierenden Bürgermeisters
des Herrn Abgeordneten Bogen.
Bogen (REP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich (C)
frage den Senat:
1. Gehören zu den vom Regierenden Bürgermeister als „Volk
der DDR“ Bezeichneten auch die Einwohner des Ostsektors
Berlins?
2. Wenn ja: Zu welchem Volk gehören dann die Einwohner
von Berlin (West)?
[Zuruf von der AL: Ist das aber schwierig!]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Zur Beantwortung hat
Herr Staatssekretär Dr. Schröder das Wort.
Dr. Schröder, Staatssekretär und Chef der Senatskanzlei:
Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren! Bei der Benut
zung des Wortes „Volk” weiß sich der Regierende Bürgermei
ster Walter Momper in der Tradition von Ernst Reuter in dessen
denkwürdigen Rede vor dem Reichstagsgebäude am 9. Sep
tember 1948. Dort hat er unter anderem ausgeführt:
Heute ist der Tag, an dem nicht Diplomaten und Generäle
reden und verhandeln, heute ist der Tag, wo das Volk von
Berlin seine Stimme erhebt. Dieses Volk von Berlin ruft
heute die ganze Welt.
Der Senat von Berlin ist der festen Überzeugung, daß niemand
diese Formulierung des ersten Regierenden Bürgermeisters
dieser Stadt zum Anlaß genommen hätte, Ernst Reuter mit der
sogenannten Drei-Staaten-Theorie in Zusammenhang zu brin
gen.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Zuruf von der CDU:
Das ist eine unglaubliche Frechheit! - Weiterer
Zuruf von der CDU: Das ist nicht nur dumm,
sondern auch dreist!]
Es fällt schwer, zu glauben, daß jemand ernsthaft in der Benut
zung des Wortes „Volk“ im Zusammenhang mit Erklärungen über (D)
die Ereignisse der letzten sieben Tage eine verfassungswidrige
Äußerung sehen könnte.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Zurufe von der CDU]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Herr Wronski hat das
Wort.
Wronski (CDU): Herr Staatssekretär, ist Ihnen bei der Formu
lierung Ihrer Antwort entgangen, daß 1948 der Drosselungsver
such der Sowjets mit Hilfe der Berlin-Blockade in der Tat das
ganze Volk von Berlin betroffen hat? Ist Ihnen entgangen, daß
seinerzeit die Versuche der Ostseite, die Berliner herüberzuzie
hen in die Willfährigkeit ihrer Maßnahmen, von der hochverdien
ten Bürgermeisterin Louise Schroeder mit dem Schlagwort defi
niert wurde: „Brot aus dem Osten kann die Freiheit kosten"?
Frau Schroeder war bekanntlich Sozialdemokratin. Ist Ihnen ent
gangen, daß die Drei-Staaten-Theorie, die heute noch immer
auch von einigen Bürgern dieser Stadt vertreten wird, erst im
Laufe der nächsten Jahre, Jahrzehnte entwickelt wurde, so daß
der Vergleich der heutigen Situation mit der damaligen einen
Chef der Senatskanzlei nicht passieren dürfte?
[Beifall bei der CDU und den REP]
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Das war weniger eine
Frage, sondern mehr eine lange Ausführung. Wir sind aber tole
rant. - Jetzt zur Beantwortung für den Senat - Herr Schröder!
Dr. Schröder, Staatssekretär und Chef der Senatskanzlei;
Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren! Diese Diskus
sion, die hier in Gang gesetzt werden soll, leidet daran, daß sie
sich eines Begriffs bedient, der juristisch keineswegs so klar ist,
wie es die Aufgeregtheit hier unterstellt. Dieser Begriff wird für
den Juristen erst klar, wenn Sie vom „Staatsvolk” sprechen,
denn das ist offenbar gemeint.