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Volume Nr. 20, 7. Dezember 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989 
956 
(A) Unsere deutschen Landsleute werden als „Besucher“ tituliert, 
Ausländer werden uns als „Mitbürger“ verkauft. Es wird gesagt: 
Die Ausländer haben unsere Stadt, unser Land, aufgebaut. 
- Falsch, absolut falsch I Das waren unsere Alten, die überhaupt 
nicht in diesem Haushalt bedacht wurden. 
Wir Deutsche Demokraten fordern, daß für alle Rentner ein 
Weihnachtsgeld in Höhe von 300 DM gezahlt wird, und erwar 
ten, daß die Berlin-Zulage, die jeder Berliner zum Ausgleich des 
Standortnachteiis erhält, ebenfalls an unsere Alten gezahlt wird. 
Sie haben die gleiche Teuerungsrate hinzunehmen wie alle 
anderen arbeitenden Berliner. Deswegen ist es nicht mehr als 
recht und billig, daß unsere Alten hierfür einen finanziellen Aus 
gleich erhalten. Das vermisse ich in diesem Haushalt. Deswegen 
kann ich nur sagen: Diesem Haushalt kann ich, will ich und 
werde ich nicht zustimmen. 
[Teige (AL): Das macht nichts!] 
Dies im Namen der Partei die Deutschen Demokraten. - Ich 
danke Ihnen! 
« 
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Andres! Ich habe 
Sie bereits darauf aufmerksam gemacht, daß Sie als fraktionslo 
ser Abgeordneter sprechen und nicht für eine Partei, die in 
dieses Hohe Haus nicht hineingewählt worden ist. 
[Andres (fraktionslos): Ich habe aber meine Meinung, 
die darf ich äußern!] 
In der Aussprache hat jetzt der Regierende Bürgermeister das 
Wort! 
Momper, Regierender Bürgermeister: Frau Präsidentin! 
Meine sehr geehrten Damen und Herren I Die vergangenen vier 
Wochen seil der Öffnung der Grenzen am 9. November haben 
Berlin verändert wie kein Ereignis seit dem Mauerbau am 
13. August 1961. Viele bisher geltenden Grundannahmen für 
' ' die Politik in unserer Stadt müssen verändert werden. Das waren 
die wichtigsten vier Wochen seit 28 Jahren und es waren auch 
die schönsten vier Wochen für alle Berlinerinnen und Berliner. 
[Beifall bei der SPD] 
Berlin - das war die Stadt der Mauer, das war das Inselgefühl, 
die schmerzhafte Trennung von den Menschen in der DDR und 
in Ost-Berlin. Das war das unbestimmte Gefühl, in einer unnatür 
lichen Situation, mit einer unmenschlichen Grenze und Mauer zu 
leben. Das war das Sich-Arrangieren mit dem scheinbar Unabän 
derlichen und die Hoffnung auf bessere politische Zeiten. 
All diese Schatten, die so lange auf unserer Stadt und ihren 
Menschen gelegen haben, sind jetzt weggefegt worden. Die 
Bürgerinnen und Bürger der DDR können zu uns kommen, wann 
immer und so oft sie wollen. Ab 1. Januar können wir frei und 
ohne bürokratische Hürden nach Ost-Berlin und in die DDR rei 
sen. Das Ergebnis der Gespräche von Kanzleramtsminister 
Seiters und dem Vorsitzenden des Ministerrats, Hans Modrow, 
sind die beste Weihnachtsbotschaft für uns alle. 
[Beifall bei der SPD - 
Vereinzelter Beifall bei der AL] 
Berlin ist wieder eine Stadt, für die die Freizügigkeit für alle Men 
schen gilt. Wir danken der Bundesregierung für ihre erfolgrei 
chen Bemühungen und Kanzleramtsminister Seiters für sein Ver 
handlungsgeschick. 
[Beifall bei der SPD und der CDU] 
In der DDR setzt sich der Demokratisierungsprozeß in 
schnellem Tempo und mit dramatischen Entwicklungen fort. Die 
Demokratiebewegung in der DDR hat auf der Straße ihre Frei 
heitsrechte erkämpft. Die SED hat Glaubwürdigkeit, Vertrauen 
und Machtanspruch verloren. Jetzt blickt die Weltöffentlichkeit 
gebannt auf die weitere Entwicklung; denn die alte Ordnung ist 
tot, und die neue politische Ordnung ist erst im Entstehen. Die 
Geburt dieser neuen politischen Ordnung vollzieht sich unmittel 
bar vor unserer Haustür. Wir sind dabei nicht nur stille Beobach 
ter oder Ermutiger, wir sind auch unmittelbar Betroffene. 
Wer die Stadtpoiitik für die nächsten Jahre und Jahrzehnte 
entwirft, der darf nicht mehr länger für eine Insel planen. Wir 
beginnen wieder, in den Kategorien einer Region zu denken. 
Wir beginnen, ein neues Lebensgefühl zu entwickeln; denn wir 
sind jetzt wieder Teil des größten Ballungsraumes in Europa zwi 
schen dem Ruhrgebiet und Moskau. 
Die Durchbrüche der Mauer öffnen wieder die alten Lebens 
adern. In unserer Stadt wächst wieder zusammen, was zusam 
mengehört: die Straßen, die Brücken, die Plätze und die Seen 
ketten, auch die Familien, alte und neue Freundschaften. 
Der Senat hat diese Herausforderung angenommen und den 
Prozeß des Zusammenwachsens mit eigenen Vorschlägen und 
mit praktischen Schritten vorangetrieben. Mit dem Ost-Berliner 
Magistrat habe ich am Dienstag eine weitgehende Kooperation 
auf allen Feldern der Stadtpolitik vereinbart. Das geht von der 
Zusammenarbeit im Verkehrswesen über die Verbesserung der 
Möglichkeiten zur Naherholung bis zum Austausch der Erfahrun 
gen in der Kommunalwirtschaft, im Bildungswesen und der 
Medizin. Wir werden so miteinander kooperieren, daß wir uns 
jeweils zum gegenseitigen Vorteil ergänzen. Wir wollen das, was 
in beiden Teilen der Stadt vorhanden ist, optimieren und allen 
Bürgern zugänglich machen. Wir alle werden künftig die Vorteile 
einer 3,5-Millionen-Stadt genießen - die Bürger aus Ost-Berlin 
genauso wie die Bürger aus West-Berlin. 
Diese praktische Kooperation mit Ost-Berlin ist ein Vorgriff auf 
den Regionalausschuß, der die Zusammenarbeit im größeren 
Maßstab der ganzen Region - von Potsdam bis Marzahn, von 
Oranienburg bis Teltow - anstrebt. Die Bundesregierung wird 
mit der DDR-Regierung über dieses Modell, das Nachahmer 
auch andernorts finden wird, sehr bald sprechen. Es geht um 
einen gemeinsamen Umweltschutz, um die gemeinsame Stadt- 
und Regionalplanung, um Austausch in der Wissenschaft, der 
Kultur und im Sport, die Erschließung der Verkehrswege und die 
wirtschaftliche Kooperation im Großraum Berlin. 
Dieser Regionalausschuß wird sich auch mit der Perspektive 
der Olympischen Spiele in Berlin beschäftigen. Der Senat hat 
diesen Gedanken des ehemaligen amerikanischen Präsidenten 
Reagan aufgegriffen und mit aller Kraft - auch gegen viele skep 
tische Stimmen - vorangetrieben. Heute sind wir der Durchfüh 
rung gemeinsamer Olympischer Spiele im Großraum Berlin 
näher denn je. Solche Spiele werden der symbolische Höhe 
punkt der positiven Entwicklung in Europa sein; sie werden wirk 
liche Friedensspiele über die alten Blockgrenzen hinweg sein 
und die Ära des kalten Krieges und die Trennung mit einem Fest 
der Jugend der Welt beenden. 
[Beifall bei der SPD] 
Die zentrale Bedeutung Berlins bei der Gestaltung des ge 
meinsamen europäischen Hauses wird auch von der Bundes 
regierung erkannt; der Senat hat bei seinem Treffen mit Mitglie 
dern des Bundeskabinetts mit Genugtuung vernommen, daß die 
Bundesregierung die besondere Situation Berlins zu würdigen 
weiß und die Notwendigkeit zusätzlicher finanzieller Unterstüt 
zung für die Stadt anerkennt. Bundeskanzler Kohl hat deutlich 
gemacht, daß seine Haltung zu Berlin nicht durch unterschied 
liche politische Konstellationen an Rhein und Spree negativ 
beeinflußt sein wird. Der Senat begrüßt dieses klare Bekenntnis 
zu Berlin. Ich hoffe, daß die Attacken gegen Berlin, wie sie in den 
zurückliegenden Monaten vor allem aus dem Lager der CSU vor 
genommen wurden, damit endlich beendet sind. 
[Führer (CDU); Und Ihre Attacken 
gegen die Bundesregierung] 
Man darf auf dem Rücken Berlins nicht Wahlkampf treiben. 
[Beifall bei der SPD - Frau Dr. Laurien (CDU); 
Sehr richtig I - Diepgen (CDU): 
Beherzigen Sie das! - Beifall bei der CDU] 
- Danke schön! Ich werde dieses und den Beifall aller Fraktionen 
dieses Hauses beherzigen und bei der nächsten Attacke der 
CSU, die so unqualifiziert war, wie nur Sie sein können, 
[Dr. Hassemer (CDU): Ihre eigenen! - 
Dr. Wruck (CDU); Selbstkritik!]
	        
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