Path:
Volume Nr. 18, 16. November 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989 
953 
Dr. Köppl 
(A) gen Grundsatzentscheidungen oftmals überhaupt nicht mehr 
gefragt wird, daß Positionen im Namen des gesamten Senats in 
der Öffentlichkeit vertreten werden, 
[Dr. Hassemer (CDU); Aber Sie lassen es 
sich doch bieten I] 
die die AL aus der Presse erfährt. Damit stellt sich notwendiger 
weise ein ätzendes Koalitionsklima von Mißtrauen und Frust 
ein, was die Zusammenarbeit ungeheuer erschwert. 
[Degen (REP): Kündigen Sie doch die Koalition auf!] 
Hier ist - das richte ich ausdrücklich an meine SPD-Kolle- 
gen - die SPD-Fraktion etwas stärker gefragt. Sie muß ihre 
Regierungsmitglieder etwas stärker an die Kandare nehmen; sie 
muß sie zur gemeinsamen rot-grünen Arbeit verpflichten; 
[Wronski (CDU): Die sitzen woanders, 
die hören Ihnen gar nicht mehr zu!] 
denn es gibt zwischen den beiden Parteien und Fraktionen sehr 
viel mehr gemeinsame Projekte, gemeinsame Ziele und Hoffnun 
gen, als dies auf der unmittelbaren Senatsebene sichtbar ist. 
[Beifall bei der AL und der SPD - 
Zurufe von der CDU] 
- Man wird wohl noch ein paar kritische Worte auch an die 
eigene Regierung richten dürfen! 
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Das gehört 
zum guten Stil! - Dr. Hassemer (CDU): 
Das machen wir ja auch!] 
Natürlich muß sich die rot-grüne Koalition in diesen histori 
schen Tagen auch in den übergeordneten Fragen der Berlin- 
und Deutschlandpolitik bewähren. Die demokratische Volksbe 
wegung in der DDR hat nun einmal die Fragen: Wie geht es wei 
ter mit den beiden deutschen Staaten? Wie geht es weiter mit 
Berlin? Wie verändert sich die Nachkriegsordnung? - auf die 
Tagesordnung der Geschichte gesetzt. Zum ersten Mal nach 
' ' dem Kriegsende können die beiden deutschen Staaten neu über 
diese Fragen diskutieren, weil die Blockkonfrontation zwischen 
den beiden Weltsystemen an Bedeutung verloren hat. 
Dabei muß als erstes - bei aller Euphorie - neu ins Bewußt 
sein gerufen werden, daß die Teilung Deutschlands in zwei 
eigenständige Nationen selbstverschuldet ist. 
[Dr. Wruck (CDU): Woher leiten Sie das ab: 
zwei eigenständige Nationen? 
Zu welcher Nation gehören Sie denn dabei?] 
Sie ist ein Resultat des barbarischen, vom faschistischen 
Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs. Die Spaltung 
Deutschlands wurde nicht zuletzt dadurch zementiert, daß in den 
50er Jahren unter der Herrschaft der CDU die bedingungslose 
West-Integration und die Einbeziehung in das westliche Militär 
bündnis von Ihrer Partei, der CDU, mitbetrieben wurde. 
[Dr. Krähe (CDU): Da müßt ihr uns doch dankbar sein!] 
Aus diesem Grund ist der Begriff „Wiedervereinigung“ völlig 
fehl am Platz, 
[Beifall bei der AL] 
weil er die historische Schuld der Deutschen, die dieser barba 
rische Krieg auf sie geladen hat, unterschlägt und so tut, als 
könne man das unsägliche Leid, das damit verbunden war, ein 
fach ungeschehen machen. Das Wort „Wiedervereinigung“ ist 
daher immer ein Kampfbegriff gegen die Ergebnisse des Zwei 
ten Weltkriegs, gegen die historische Schuld. 
[Beifall bei der AL - 
Dr. Wruck (CDU): Gegen den Stalinismus!] 
Was in dieser historischen Situation an allererster Stelle 
gefragt ist, das ist die banale Anerkennung der Realität: Es gibt 
zwei deutsche Staaten mit souveränen Rechten und völkerrecht 
lichem Status. Die Anerkennung dieser Realität wird bisher von 
der Bundesregierung verweigert, 
[Dr. Wruck (CDU): Gott sei Dank! - 
Pieroth (CDU): Sonst wäre die SED . . .!] 
was den Spielraum enorm einschränkt. (C) 
Als zweite Banalität, meine Damen und Herren von der CDU, 
bleibt festzuhalten: Die demokratische Revolution in der DDR 
war kein nationales Ereignis - und schon gar kein Ereignis der 
Bundesrepublik Deutschland! 
[Dr. Wruck (CDU): Ein patriotisches Ereignis! - 
Pieroth (CDU): Krenz und Köppl und Momper - 
die letzten Stalinisten!] 
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Pieroth, ich muß 
wieder einmal mäßigend eingreifen. Drei Politiker dieses Hauses 
als Stalinisten zu bezeichnen, kann ich nicht hinnehmen. 
[Frau Dr. Laurien (CDU): Seit wann gehört Herr Krenz 
diesem Haus an?] 
Dr. Köppl (AL): Ich bitte, mir fünf Minuten mehr zuzugeste 
hen. Das hält man nicht durch! 
Die Bevölkerung der DDR hat ihre demokratischen und souve 
ränen Rechte selbst erkämpft. Dies ist von den Berlinern sehr gut 
verstanden worden, und aus diesem Grund haben sie vor dem 
Schöneberger Rathaus den Bundeskanzler gnadenlos ausge 
pfiffen 
[Frau Dr. Laurien (CDU): Pfui! - 
Zuruf von der CDU: Sie waren das! - 
Weitere Zurufe von der CDU] 
und sich in diesem Zusammenhang über die Nationalhymne 
lustig gemacht. 
[Preuss (CDU): Sie waren das, der von Anfang bis 
Ende gepfiffen hat!] 
Die Berliner haben die Bevormundung der CDU gegenüber der 
DDR-Bevölkerung eindeutig zurückgewiesen. Sie haben ver- 
standen, was Sie nie verstehen werden: Ein siegreiches revolu- (D) 
tionäres Volk braucht keine Obhutspflicht, lehnt jede Gänge 
lung ab und verlangt die volle Souveränität in den Fragen, wie es 
seinen inneren Staat umbauen möchte, welchen Weg es im Ver 
hältnis der beiden deutschen Staaten zueinander einzuschlagen 
gedenkt. Ob die DDR-Bevölkerung in einem eigenständigen 
Staat, ob in der Konföderation mit der Bundesrepublik Deutsch 
land oder in einem einheitlichen Staatsverband mit den Men 
schen der Bundesrepublik leben möchte, entscheidet in aller 
erster Linie die DDR-Bevölkerung selbst - nicht die CDU, nicht 
die SPD und natürlich auch nicht die AL. 
[Zuruf von der CDU; Ja, Sie schon gar nicht!] 
Das Recht auf die eigenständige Entscheidung dieser Fragen 
durch die DDR-Bevölkerung muß von der rot-grünen Politik in 
Berlin eisern gegen die Aufwallung eines national-chauvinisti 
schen Gefühls, das sich hier breitmacht, verteidigt werden. 
Die Alternative Liste und die Friedensbewegung haben sich in 
der Vergangenheit konsequent um den Abbau der Spannungen 
Zwischen den beiden Militärblöcken bemüht. Wir haben einsei 
tig Abrüstung gefordert, wir wollten die Blockkonfrontation 
durch zusätzliche vertragliche und vertrauensbildende Maßnah 
men abbauen. Gerade durch die blockübergreifende Abrü 
stungsperspektive haben wir den Weg zur Entspannung und 
Friedenssicherung in Europa vorbereiten wollen. 
In dieser Auseinandersetzung sind wir von fast allen Parteien, 
insbesondere von der CDU, verlacht worden. Die CDU hat wei 
ter mit ihrer militärischen Blocklogik argumentiert und weitere 
Aufrüstungen unterstützt. Die Alternative Liste hat den Kampf 
gegen die Mittelstreckenraketen geführt und auch immer die 
Stationierung der SS 20 in der DDR kritisiert und deren Abzug 
verlangt. 
Der große historische Fortschritt für den Frieden kommt aber 
gerade nicht aus dem westlichen Bündnis, sondern kommt von 
der demokratischen Reformpolitik in der Sowjetunion unter 
Gorbatschow. Die Sowjetunion hat den historischen Mut beses 
sen, die Blockkonfrontation in Europa schrittweise zurückzuneh-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.