Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
20. Sitzung vom 7. Dezember 1989
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Dr. Köppl
(A) gen Grundsatzentscheidungen oftmals überhaupt nicht mehr
gefragt wird, daß Positionen im Namen des gesamten Senats in
der Öffentlichkeit vertreten werden,
[Dr. Hassemer (CDU); Aber Sie lassen es
sich doch bieten I]
die die AL aus der Presse erfährt. Damit stellt sich notwendiger
weise ein ätzendes Koalitionsklima von Mißtrauen und Frust
ein, was die Zusammenarbeit ungeheuer erschwert.
[Degen (REP): Kündigen Sie doch die Koalition auf!]
Hier ist - das richte ich ausdrücklich an meine SPD-Kolle-
gen - die SPD-Fraktion etwas stärker gefragt. Sie muß ihre
Regierungsmitglieder etwas stärker an die Kandare nehmen; sie
muß sie zur gemeinsamen rot-grünen Arbeit verpflichten;
[Wronski (CDU): Die sitzen woanders,
die hören Ihnen gar nicht mehr zu!]
denn es gibt zwischen den beiden Parteien und Fraktionen sehr
viel mehr gemeinsame Projekte, gemeinsame Ziele und Hoffnun
gen, als dies auf der unmittelbaren Senatsebene sichtbar ist.
[Beifall bei der AL und der SPD -
Zurufe von der CDU]
- Man wird wohl noch ein paar kritische Worte auch an die
eigene Regierung richten dürfen!
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Das gehört
zum guten Stil! - Dr. Hassemer (CDU):
Das machen wir ja auch!]
Natürlich muß sich die rot-grüne Koalition in diesen histori
schen Tagen auch in den übergeordneten Fragen der Berlin-
und Deutschlandpolitik bewähren. Die demokratische Volksbe
wegung in der DDR hat nun einmal die Fragen: Wie geht es wei
ter mit den beiden deutschen Staaten? Wie geht es weiter mit
Berlin? Wie verändert sich die Nachkriegsordnung? - auf die
Tagesordnung der Geschichte gesetzt. Zum ersten Mal nach
' ' dem Kriegsende können die beiden deutschen Staaten neu über
diese Fragen diskutieren, weil die Blockkonfrontation zwischen
den beiden Weltsystemen an Bedeutung verloren hat.
Dabei muß als erstes - bei aller Euphorie - neu ins Bewußt
sein gerufen werden, daß die Teilung Deutschlands in zwei
eigenständige Nationen selbstverschuldet ist.
[Dr. Wruck (CDU): Woher leiten Sie das ab:
zwei eigenständige Nationen?
Zu welcher Nation gehören Sie denn dabei?]
Sie ist ein Resultat des barbarischen, vom faschistischen
Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs. Die Spaltung
Deutschlands wurde nicht zuletzt dadurch zementiert, daß in den
50er Jahren unter der Herrschaft der CDU die bedingungslose
West-Integration und die Einbeziehung in das westliche Militär
bündnis von Ihrer Partei, der CDU, mitbetrieben wurde.
[Dr. Krähe (CDU): Da müßt ihr uns doch dankbar sein!]
Aus diesem Grund ist der Begriff „Wiedervereinigung“ völlig
fehl am Platz,
[Beifall bei der AL]
weil er die historische Schuld der Deutschen, die dieser barba
rische Krieg auf sie geladen hat, unterschlägt und so tut, als
könne man das unsägliche Leid, das damit verbunden war, ein
fach ungeschehen machen. Das Wort „Wiedervereinigung“ ist
daher immer ein Kampfbegriff gegen die Ergebnisse des Zwei
ten Weltkriegs, gegen die historische Schuld.
[Beifall bei der AL -
Dr. Wruck (CDU): Gegen den Stalinismus!]
Was in dieser historischen Situation an allererster Stelle
gefragt ist, das ist die banale Anerkennung der Realität: Es gibt
zwei deutsche Staaten mit souveränen Rechten und völkerrecht
lichem Status. Die Anerkennung dieser Realität wird bisher von
der Bundesregierung verweigert,
[Dr. Wruck (CDU): Gott sei Dank! -
Pieroth (CDU): Sonst wäre die SED . . .!]
was den Spielraum enorm einschränkt. (C)
Als zweite Banalität, meine Damen und Herren von der CDU,
bleibt festzuhalten: Die demokratische Revolution in der DDR
war kein nationales Ereignis - und schon gar kein Ereignis der
Bundesrepublik Deutschland!
[Dr. Wruck (CDU): Ein patriotisches Ereignis! -
Pieroth (CDU): Krenz und Köppl und Momper -
die letzten Stalinisten!]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Pieroth, ich muß
wieder einmal mäßigend eingreifen. Drei Politiker dieses Hauses
als Stalinisten zu bezeichnen, kann ich nicht hinnehmen.
[Frau Dr. Laurien (CDU): Seit wann gehört Herr Krenz
diesem Haus an?]
Dr. Köppl (AL): Ich bitte, mir fünf Minuten mehr zuzugeste
hen. Das hält man nicht durch!
Die Bevölkerung der DDR hat ihre demokratischen und souve
ränen Rechte selbst erkämpft. Dies ist von den Berlinern sehr gut
verstanden worden, und aus diesem Grund haben sie vor dem
Schöneberger Rathaus den Bundeskanzler gnadenlos ausge
pfiffen
[Frau Dr. Laurien (CDU): Pfui! -
Zuruf von der CDU: Sie waren das! -
Weitere Zurufe von der CDU]
und sich in diesem Zusammenhang über die Nationalhymne
lustig gemacht.
[Preuss (CDU): Sie waren das, der von Anfang bis
Ende gepfiffen hat!]
Die Berliner haben die Bevormundung der CDU gegenüber der
DDR-Bevölkerung eindeutig zurückgewiesen. Sie haben ver-
standen, was Sie nie verstehen werden: Ein siegreiches revolu- (D)
tionäres Volk braucht keine Obhutspflicht, lehnt jede Gänge
lung ab und verlangt die volle Souveränität in den Fragen, wie es
seinen inneren Staat umbauen möchte, welchen Weg es im Ver
hältnis der beiden deutschen Staaten zueinander einzuschlagen
gedenkt. Ob die DDR-Bevölkerung in einem eigenständigen
Staat, ob in der Konföderation mit der Bundesrepublik Deutsch
land oder in einem einheitlichen Staatsverband mit den Men
schen der Bundesrepublik leben möchte, entscheidet in aller
erster Linie die DDR-Bevölkerung selbst - nicht die CDU, nicht
die SPD und natürlich auch nicht die AL.
[Zuruf von der CDU; Ja, Sie schon gar nicht!]
Das Recht auf die eigenständige Entscheidung dieser Fragen
durch die DDR-Bevölkerung muß von der rot-grünen Politik in
Berlin eisern gegen die Aufwallung eines national-chauvinisti
schen Gefühls, das sich hier breitmacht, verteidigt werden.
Die Alternative Liste und die Friedensbewegung haben sich in
der Vergangenheit konsequent um den Abbau der Spannungen
Zwischen den beiden Militärblöcken bemüht. Wir haben einsei
tig Abrüstung gefordert, wir wollten die Blockkonfrontation
durch zusätzliche vertragliche und vertrauensbildende Maßnah
men abbauen. Gerade durch die blockübergreifende Abrü
stungsperspektive haben wir den Weg zur Entspannung und
Friedenssicherung in Europa vorbereiten wollen.
In dieser Auseinandersetzung sind wir von fast allen Parteien,
insbesondere von der CDU, verlacht worden. Die CDU hat wei
ter mit ihrer militärischen Blocklogik argumentiert und weitere
Aufrüstungen unterstützt. Die Alternative Liste hat den Kampf
gegen die Mittelstreckenraketen geführt und auch immer die
Stationierung der SS 20 in der DDR kritisiert und deren Abzug
verlangt.
Der große historische Fortschritt für den Frieden kommt aber
gerade nicht aus dem westlichen Bündnis, sondern kommt von
der demokratischen Reformpolitik in der Sowjetunion unter
Gorbatschow. Die Sowjetunion hat den historischen Mut beses
sen, die Blockkonfrontation in Europa schrittweise zurückzuneh-