Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
34. Sitzung vom 28. Juni 1990
1875
(A) Ermöglicht werden soll dabei insbesondere, soweit frauenspe
zifische Belange betroffen sind:
— eigenständiges Öffentlichkeitsrecht,
— Anhörung in den Ausschüssen der Bezirksverordnetenver
sammlung,
— Anhörung im Bezirksamt,
— Unterrichtung über alle Vorhaben und Maßnahmen des
Bezirksamtes und der Bezirksverordnetenversammlung zum
frühestmöglichen Zeitpunkt,
— Möglichkeiten zur Stellungnahme, die ungekürzt und in
unveränderter Form weiterzugeben ist, bei allen frauenrele
vanten Maßnahmen und Entscheidungen des Bezirksamtes
und der Bezirksverordnetenversammlungen,
— Widerspruchs- und Vertagungsmöglichkeit bei jeder perso
nellen, organisatorischen und sozialen Maßnahme, wo ein
Beschwerdegang vorliegt,
— Einholung von Auskünften aller bezirklichen Stellen und
Akteneinsicht unter Beachtung datenschutzrechtlicher
Belange,
— das Recht, einen jährlichen Tätigkeitsbericht vorzulegen,,
der durch die Frauenbeauftragte erstellt wird,
— Beteiligung am Bewerbungsverfahren.
Der Senat soll bis zum 31. August 1990 darlegen, wie den
hohen Kompetenzanforderungen und Verantwortlichkeiten der
bezirklichen Frauenbeauftragten durch gesetzliche Regelungen,
zum Beispiel durch Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes,
durch eine angemessene personelle und sachliche Ausstattung
sowie durch weitgehend eigenverantwortlich zu bewirtschaf
tende Haushaltsmittel, entsprochen werden kann. Die Stellenbe
wertung der Frauenbeauftragten soll der Kompetenzanforderun
gen entsprechen.
[67]
Annahme einer Entschließung
über NKWD-Lager
auf dem Gebiet der heutigen DDR
Das Abgeordnetenhaus fordert die neue Regierung in der
DDR auf, in den bestehenden Gedenkstätten im Bereich der als
NKWD-Lager weiterbetriebenen ehemaligen Konzentrationsla
ger auch das mahnende Erinnern an die Opfer des Stalinismus
einzubringen. Die Fundstellen der Massengräber sollen als wür
dige Mahnstätten für die Verfolgten des Stalinismus gestaltet
werden.
Das Abgerodentenhaus appelliert an den sowjetischen Präsi
denten Gorbatschow, eine umfassende Aufklärung der Vermiß-
tenschicksale aus der Kriegs- und Nachkriegszeit zu ermög
lichen. Noch heute leiden Zehntausende daran, daß das Schick
sal ihrer vermißten Verwandten, Freunde und politischen Wegge
fährten bisher nicht aufgeklärt werden konnte. Eine Öffnung der
sowjetischen Archive würde einer Vertrauen bildenden, der Völ
kerverständigung verpflichteten Zukunft dienen.
[68]
Annahme einer Entschließung über
parteiübergreifende Hauptstadtinitiative
Berlin bekräftigt seinen Willen, als Hauptstadt auch Sitz einer
gesamtdeutschen Regierung und eines gesamtdeutschen Parla
mentes zu werden. Die Übernahme der Hauptstadtfunktionen
muß in ihrem zeitlichen Ablauf bereits in dem zweiten Staatsver
trag festgeschrieben werden. Der Präsident des Abgeordneten
hauses von Berlin und die Vorsteherin der Stadtverordnetenver
sammlung werden aufgefordert, die bereits vorhandenen mit
Erfolg arbeitenden Initiativen parteiübergreifend zusammenzu
fassen.
Wie keine andere Stadt hat Berlin unter der Teilung Deutsch- (C)
lands gelitten. Mehr als jede andere Stadt hat es für den Zusam
menhalt des Volkes geleistet. Allein seine Existenz zwang beide
deutsche Staaten, auch in Zeiter äußerster Spannung den Aus
gleich und die Zusammenarbeit zu suchen. Am Beispiel Berlins
war immer klar, daß die Mauer nicht bestehen konnte und Gren
zen ihren trennenden Charakter verlieren mußten. Berlin blieb
trotz staatlicher Trennung die Klammer. In dem Augenblick, in
dem die staatliche Trennung fortfällt, darf Berlin nicht verweigert
werden, was Bundestag, Bundesregierung und Parteien oftmals
feierlich bekräftigt haben, nämlich die deutsche Hauptstadt zu
sein.
Das sich neu einigende Deutschland wird in seiner staatlichen
und regionalen Struktur vielgestaltig bleiben. Es wird nie ein ein
ziges Zentrum haben. Berlin wird Hauptstadt eines föderativen
Staates und damit Sitz von Parlament und Regierung, aber kein
monopolistisches Machtzentrum sein. Nicht alle Organe und Ein
richtungen des Bundes werden hier ihren Sitz haben. Die Haupt
städte der Bundesländer behalten ihre Bedeutung. Dies stärkt
den Föderalismus des neuen Deutschlands.
Der neue, ganz Deutschland umfassende Bundesstaat wird
nicht einfach derselbe bleiben wie die Bundesrepublik jetzt. Das
vereinte Deutschland wird mehr als andere Mitgliedsländer der
Europäischen Gemeinschaft in der Verantwortung für den Osten
Europas stehen. Sein Bild muß weltoffen, nicht nur nach Westen
orientiert, gesamteuropäisch, liberal, demokratisch und sozial
sein wie das Berlins. Die Überwindung der Teilung Berlins muß
wie die Überwindung der Teilung Deutschlands Motor und Sym
bol für die Überwindung der Teilung Europas werden. Die Ver
schiebung der Aufgaben und Gewichte nach Osten macht Ber
lin erneut zu der „geborenen“ Hauptstadt.
Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten wird von sozia
len, wirtschaftlichen und politischen Konflikten begleitet sein.
Nirgendwo werden die Konflikte so unvermittelt deutlich wie in
Berlin. Die soziale und wirtschaftliche Ausgangslage der DDR- (q)
Bürger ist eine andere als die der Bundesbürger. Aber auch ihre
Erwartungen an den neuen deutschen Staat müssen andere sein
als die der Bundesbürger. Die politische Führung dieses neuen
Deutschlands muß an dem Ort sein, wo die Konflikte am ehesten
erfahrbar sind und gelöst werden müssen.
Ost-Berlin ist schon jetzt Hauptstadt des einen deutschen
Staates. Auch im Interesse der DDR, der wirtschaftlichen Ent
wicklung dieser Region und eines gleichberechtigten Zusam
menwachsens der beiden deutschen Staaten muß Berlin Haupt
stadt bleiben.
[69]
Vereinfachtes Verfahren für eine
Neugliederung der Länder Brandenburg
und Berlin
Der Senat von Berlin wird aufgefordert, in geeigneter Weise
darauf hinzuwirken, daß in das Grundgesetz eine Vorschrift auf
genommen wird, die ähnlich der Regelung nach Artikel 118 GG
ein von Artikel 29 GG abweichendes, vereinfachtes Verfahren
zur Neugliederung der künftigen Länder Brandenburg und Berlin
vorsieht. Die Vorschrift könnte etwa wie folgt lauten:
Die Bildung eines die Länder Brandenburg und Berlin um
fassenden Bundeslandes kann abweichend von den Vor
schriften des Artikels 29 durch Vereinbarung der beiden
Länder erfolgen. Die Vereinbarung bedarf der Bestätigung
durch Volksentscheid. Der Volksentscheid kommt zustande,
wenn in beiden Ländern jeweils eine Mehrheit der sich am
Volksentscheid beteiligenden Wahlberechtigten der Neubil
dung zustimmt.