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Volume Nr. 34, 28. Juni 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
34. Sitzung vom 28. Juni 1990 
1815 
Präsident Wohlrabe 
(A) und des Hauptausschusses vom 21. März 1990 
sowie des Änderungsantrages der Fraktion der 
SPD und der Fraktion der AL, Drucksache 11/698-1 
Es sei mir als Präsident gestattet, hier eine kurze Vorbemer 
kung zu machen. Ich habe anläßlich der IN. Lesung des Gesetzes 
über die Auflösung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 
dem Haus folgendes mitzuteilen: Ich habe die III. Lesung des 
Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs gemäß Artikel 45 Abs. 4 der 
Verfassung von Berlin beantragt, weil dieser Entwurf nach 
meiner Überzeugung wegen Verstoßes gegen Bestimmungen 
des Grundgesetzes verfassungswidrig ist. 
[Beifall bei der CDU - 
Zuruf von der CDU; Unerhört!] 
- Ich wäre sehr dankbar, wenn wir dieses Thema ohne Emotio 
nen abhandeln könnten. - Ich berufe mich insoweit auf das von 
mir in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten des Wissenschaft 
lichen Parlamentsdienstes, einer, wie Sie wissen, überfraktionel 
len Einrichtung des Hauses, nach der ich mich in Erinnerung an 
die Ausländersache zu richten habe. Mir ist damals entsprechen 
des Schriftmaterial zugeleitet worden. Ich berufe mich ferner auf 
ein neueres Gutachten, das auf Empfehlung der Verwaltung 
dieses Hauses Herr Prof. Isensee - einer der renommiertesten 
Staats- und Verfassungsrechtler der Bundesrepublik Deutsch 
land - erstellt hat. Beide Gutachten haben meine Überzeugung 
in vollem Umfang bestätigt. 
Daraus folgt für mich folgendes; Nach Artikel 1 Abs. 3 der Ver 
fassung von Berlin sind Grundgesetz und Gesetze der Bundes 
republik Deutschland für Berlin bindend. Nach Artikel 23 der Ver 
fassung von Berlin sind durch die Verfassung gewährleistete 
Grundrechte für die Gesetzgebung verbindlich. Nach der über 
wiegenden Auffassung der Staatsrechtswissenschaft wie auch 
in der Staatspraxis hat das von der Verfassung mit der Ausferti 
gung eines Gesetzes betraute oberste Staatsorgan das Recht 
und die Pflicht, ein Gesetz auf seine formelle und materielle Ver- 
, R , einbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen und alles zu tun, 
' ' um darauf hinzuwirken, daß ein die Verfassung verletzendes 
Gesetz nicht in Kraft tritt. Aufgrund dieser auch für den Präsiden 
ten des Abgeordnetenhauses von Berlin geltenden Pflicht 
erlaube ich mir vor Eintritt in die IN. Lesung die Ankündigung, daß 
ich keine Möglichkeit sehen werde, das Gesetz über die Auf 
lösung der Akademie der Wissenschaften auszufertigen, sofern 
der Ihnen vorliegende, verfassungswidrige Entwurf erneut 
beschlossen werden sollte. 
[Dr. Köppl (AL): Dann müssen Sie zurücktreten!] 
Ich halte es für meine Pflicht, dies vorher zu sagen. 
[Beifall bei der CDU und den REP] 
Gemäß Artikel 45 Abs. 4 der Verfassung von Berlin ist von mir 
die Debatte erbeten worden. Hierzu ist ein Änderungsantrag der 
Fraktionen der SPD und der AL - Drucksache 11/698-2 - einge 
gangen: 
Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen: 
Das Gesetz über die Auflösung der Akademie der Wis 
senschaften zu Berlin in der Fassung der Beschlußemp- 
fehlung des Ausschusses für Wissenschaft und For 
schung vom 19. Februar 1990 wird mit folgenden Ände 
rungen angenommen; 
In Ziffer 1 der Beschlußempfehlung wird das Wort 
„August“ durch das Wort „Dezember“ ersetzt. 
In Ziffer 13 der Beschlußempfehlung, 2. Satz, wird das 
Wort „August“ durch das Wort „Dezember“ ersetzt 
Wird der Dringlichkeit widersprochen? - Das ist nicht der Fall. 
Nach § 34 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses 
beginnt die IN. Lesung mit einer allgemeinen Beratung, an die 
sich die Einzelberatung und die Schlußabstimmung unmittelbar 
anschließen. Änderungsanträge und Anträge auf Überweisung 
an einen Ausschuß bedürfen der Unterstützung einer Fraktion. (C) 
Wird das Wort zur allgemeinen Beratung gewünscht? - 
[Dr. Köppl (AL): Es ist doch hier nicht 
wie bei Honecker! - Buwitt (CDU): 
Wir haben uns doch gemeldet!] 
Herr Kollege Diepgen hat zuerst das Wort. Die Reihenfolge: 
CDU, SPD, REP, AL. Herr Diepgen, Sie haben das Wort. 
Diepgen (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Bevor ich zur allgemeinen Aussprache zu 
diesem Thema komme, möchte ich gemäß der Geschäftsord 
nung des Abgeordnetenhauses darum bitten, daß der Regie 
rende Bürgermeister zu dieser Debatte herbeigeru- 
fen wird. 
[Beifall bei der CDU - Zurufe von der CDU; 
Und die Justiz- und Verfassungssenatoren! - 
Weitere Zurufe von der CDU - 
Frau Künast (AL); Haben Sie noch die Sitzungsleitung, 
Herr Präsident? Dann machen Sie mal den Mund auf!] 
Präsident Wohlrabe: Es ist der Wunsch des Kollegen! - Da 
ist der Regierende Bürgermeister! Herr Kollege Diepgen, Sie 
haben das Wort, 
Diepgen (CDU); Herr Präsident! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Der Präsident hat bereits in einer einleiten 
den Anmerkung auf die außergewöhnliche Situation hingewie 
sen, vor der wir in diesem Parlament stehen. Wir haben nach 
meiner Erinnerung zum ersten Mal die Situation, daß ein Parla 
mentspräsident aufgrund der Verfassungswidrigkeit eines von 
der Regierung vorgelegten Gesetzes wegen der Verabschie 
dung dieses Gesetzes eine III. Lesung einschieben mußte. Wir 
stehen vor der Situation, daß die Koalition diesen Gesetzentwurf (D) 
offensichtlich trotz klarer gutachterlicher Voten des Wissen 
schaftlichen Parlamentsdienstes - der in der Vergangenheit von 
der Sozialdemokratischen Fraktion in die Rolle eines unabhängi 
gen Richters gesetzt wurde und der die Verfassungswidrigkeit 
festgestellt hat - 
[Dr. Köppl (AL): Leider nicht!] 
und trotz klarer Voten aus dem Bereich der Wissenschaft dieses 
verfassungswidrige Gesetz verabschieden will. 
[Dr. Staffelt (SPD): Wer sagt denn das?] 
Das, was an Änderungsanträgen vorliegt, betrifft ausschließ 
lich Terminverschiebungen, die insgesamt nicht ausreichend 
sind. 
Ich habe den Regierenden Bürgermeister gebeten - gegebe 
nenfalls hätten wir dies auch durch einen Parlamentsbeschluß 
veranlaßt -, an der Debatte teilzunehmen, weil er persönlich die 
wesentliche Verantwortung für diese schändliche und schädli 
che Debatte hat, die wir nun führen müssen. 
[Beifall bei der CDU] 
Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin soll - unab 
hängig von Recht und Verfassung - zerschlagen werden. Gut 
achten vom Wissenschaftlichen Parlamentsdienst und jetzt auch 
von Prof. Isensee kommen zu eindeutigen Ergebnissen: Dieses 
Auflösungsgesetz ist rechtswidrig! 
[Dr. Staffelt (SPD): Es gibt auch andere Gutachten, 
Herr Diepgen!] 
- Auf den Zwischenruf des Kollegen Staffelt will ich gern hinwei- 
sen, vor allem, weil viele ihn nicht hören konnten. Er sagt, es 
gebe auch andere Gutachten. Nach meiner Kenntnis ist von 
Ihnen innerhalb von drei Tagen im Hauruckverfahren ein Gutach 
ten von irgend jemandem bestellt worden, und Sie versuchen in 
dieser Debatte, sich darauf zu berufen. Wenn Sie damit argu 
mentieren wollten, wäre auch dieses Verhalten schändlich! 
[Beifall bei der CDU]
	        
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