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Volume Nr. 16, 26. Oktober 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989, 11. Wahlperiode, 1.-16. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
16. Sitzung vom 26. Oktober 1989 
759 
Lesnau 
(A) Die Antwort des Senats zum Punkt 1 läßt erkennen, daß der 
von den Fraktionen der letzten Legislaturperiode noch ähnlich 
definierte Begriff der Ausländerintegration insoweit verändert 
hat, als für ihn kein Widerspruch zu den dargestellten Zielen 
interkultureller Erziehung besteht. Aus der gegebenen Darstel 
lung kann nur geschlossen werden, daß es das Ziel des Senats 
ist, die hier lebenden Ausländer nicht in unser Gemeinwesen 
nachhaltig einzugliedern, sondern bei Stärkung ihrer nationalen 
Identität und Sprache zur ethnischen Minderheit zu machen, 
nämlich sie zu stabilisieren und damit neben das Staatsvolk 
dieses Landes zu stellen. 
Eine Verstärkung der nationalen Identität kann aber nicht Auf 
gabe der Integration sein. Damit und mit dem vielfältig von der 
Koalition gebrauchten Begriff des Migranten muß ein Gegensatz 
zu den Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft zur kultur- 
übergreifenden Erziehung gesehen werden, denn diese bezie 
hen sich auf Wanderarbeitnehmner, deren Rückkehr in das Her 
kunftsland vorausgesetzt wird. Sind aber diese Richtlinien auch 
richtig in der Senatspolitik, so bleibt nach bilaterialen Verträgen 
und Verhandlungen der Senat in letzter Zeit zu fragen. 
Zu 2; Die Ausführungen des Senats lassen erkennen, daß er 
sich den zynischen Begriff von der Aussonderung der Kinder in 
den Sonderschulen zu eigen gemacht hat und die Zerschla 
gung dieser verdienstvollen Einrichtung anstrebt. Die Präferenz 
der Gesamtschule überrascht nicht, der Konsens über das 
Nebeneinander scheint gekündigt, nur noch nicht ausgespro 
chen. Die Erkenntnis, daß Kinder in ihren Lernfortschritten ver 
schieden sind, ist nicht neu. Gleichermaßen ist nicht neu, daß die 
Begabungen verschieden sind. Logisch wäre daher, die Förder 
instrumente gleichermaßen verschieden sein zu lassen. Gleiche 
Förderung für alle kann deshalb nur als eine verklemmte ideolo 
gisch motivierte Politik bezeichnet werden, die einer Nivellierung 
des Berliner Schulwesens anstrebt. 
Zu 3: Wenn auch die Abweichungen von den Vereinbarungen 
der Kultusministerkonferenz bis an die Grenze des möglichen 
(B) vorprogrammiert scheinen, so meine ich, ist die Breite des Bil 
dungsspektrums für uns kein Thema. Es kommt natürlich schon 
darauf an, daß nicht neben Kursen über Kultur und Geschichte 
des Islams auch Kurse über Kultur und Geschichte des Christli 
chen Abendlandes stehen. Dank begrifflicher Darstellung und 
Entmischung verbleibt es beim Ersatz von Pflichtunterricht 
durch ProjektunterrichL Unser Argwohn ist, daß bei der Stoff 
vermischung die Klarheit des Bildungsziels vermindert wird und 
für Eltern nicht mehr nachvollziehbar ist. Die Frage bleibt; Ist dies 
die Absicht des Senats? 
[Zurufe von der CDU: Na klar!] 
Die dargestellten Aspekte einer Konzeption von Stundentafelän 
derungen bei gleichzeitiger Veränderung der Rahmenpläne 
haben wir zur Kenntnis genommen. Sie zu werten, wäre bei der 
Unverbindlichkeit zu früh. Flexibilität ist gut, Beliebigkeit darf 
jedoch nicht das Endziel sein. 
Zu 4: Die erneute Erläuterung der Prioritäten bei der Umset 
zung bei der Arbeitszeitverkürzung der Lehrer ändert nichts 
an dem Ergebnis, daß nämlich die Gruppe der Schulleiter eine 
Gleichheit in der Ungleichheit gefunden hat. Durch Wegfall einer 
Ermäßigungsstunde ist doch keine Arbeit weggefallen, die doch 
einmal mit der Ermäßigungsstunde kompensiert werden sollte. 
Wir sind erstaunt über das gemächliche Tempo, das in dieser 
Sache angeschlagen wird. Nicht die Diskussion, sondern hand 
feste Entscheidungen sind von den Betroffenen gefragt. 
Zu 5: Die gesetzes- und gerichtskonforme Haltung des 
Senats überrascht, befriedigt jedoch nicht, da offensichtlich die 
Koalitionsmehrheit die Schulleitungsrotation weiter auf ihrem 
Programm hat. Zunächst will sie also den Weg über eine gesteu 
erte Konferenzmehrheit gehen. Die Rolle des Schulleiters wird 
verändert. Offene, die pädagogische Freiheit sichernde Rah 
menpläne verändern auch das Verhältnis von Schulleiter und 
Lehrer. Die Leistungskontrolle für Lehrer wird ersetzt durch 
Eigenverantwortlichkeit. So weit, so gut! Somit wird aber auch 
die Leistungskontrolle für Schüler minimiert. Unter dem Etikett 
der Entlastung von Verwaltungsaufgaben wird den Schulleitern 
das Instrument der Lehrerkontrolle, mit dem sie auf einheitliche (C) 
Bewertungsmaßstäbe an der Schule hinwirken soll, nämlich im 
Sinne des Schulverfassungsgesetzes, genommen. Die schwie 
rige Aufgabe, in kollegialer Form den staatlichen Handlungsauf 
trag des Grundgesetzes zu sichern, wird bewußt erschwert. 
Zu 6: Der Senat berichtet von Überlegungen, die pädagogi 
sche Betreuung der Schularbeit durch die Schulaufsichtsbe 
amten zu stärken. Er sagt auch, daß eine freiwillige Unterrichts 
tätigkeit nach dem Landesbeamtengesetz nicht genehmigt wer 
den darf, weil ein Beamter einer Senatsverwaltung diese Neben 
tätigkeit freiwillig nicht ausüben darf, wenn er eben diese Verwal 
tung unmittelbar kontrolliert. Nun frage ich mich - das mag recht 
lich ganz gut sein, und wir finden es auch in Ordnung, daß das 
beachtet wird -, ob es in einem Fall doch nicht beachtet wird. 
[Zuruf von der CDU: Vom Staatssekretär!] 
Gerade diese Ausweitung der beruflichen Tätigkeit des Unter 
richts für die Schulleiter soll mehr Kompetenz bringen. Was soll 
sie denn aber bei dem Herrn Staatssekretär bringen? - Soll sie 
denn beim Herrn Staatssekretär mehr Kompetenz bringen, oder 
hat er zu wenig zu tun? 
[Eckert (AL): Ihrer Fraktion würde Rotation nur gut 
tun!] 
Das Maß an Akzeptanz kann nicht Gradmesser für Schulaufsicht 
sein. Fakt ist, der Senat strebt an, noch leicht verhüllt, die Schul 
aufsicht ihrer fachlichen Zuständigkeit zu entbinden und sie auf 
eine Rechtsaufsicht zu reduzieren. 
[Löffler (SPD): Nein! Das wurde so nicht gesagt!] 
Die grundsätzliche Zuweisung der Verantwortung für Schule 
liegt beim Staat. Der staatliche Regelungsanspruch läßt im 
Gesetzesvollzug zwar Verdeutlichung, nicht aber beliebige 
Anwendung und argumentative Darstellung zu. Die erkennbar 
präferierte Freiheit des Lehrers bis hin zur Autonomie steht im 
Vordergrund der schulpolitischen Absichten des Senats. Die (qj 
Freiheit, die zur Beliebigkeit wird, unterwirft das Schülerschick 
sal unkontrollierbarer Lehrer- und Gremienmacht. 
[Teige (AL): Schon wieder Kontrolle! - 
Frau Kollotschek (CDU): Sehen Sie doch mal ins 
Grundgesetz!] 
Der Senat - ich gehe auf die Fragen von 8 bis 10 ein - ist in 
seinen Äußerungen zu diesen Fragen wenig konkret geworden. 
Er hat eine Reihe von Absichtserklärungen abgegeben, die nahe 
legen, daß Konzepte nicht vorhanden sind. Positiv nehmen wir 
auf, daß die naturwissenschaftlichen Fächer erhalten bleiben, 
daß die verstärkte Berücksichtigung fächerübergreifender 
Zusammenhänge angestrebt wird, wie auch eine Rahmenplanre 
vision hin zu epochalen Unterrichtssequenzen. Die AV-Projekt- 
tage finden wir in diesem Zusammenhang allerdings wenig hilf 
reich. Der Wunsch, Verhaltensänderungen bei den Schülerinnen 
und Schülern durch gutes Beispiel der Unterrichtenden zu 
bewirken, ist ein bisher noch nicht in Erfüllung gegangener 
Wunsch jedes bisherigen Schulträgers. 
Die verbale Beurteilung findet, soweit sie in den Klassenstu 
fen 3 und 4 und auch darüber hinaus Platz greifen soll, nicht 
unsere Zustimmung. Diese von ihnen als individualisierende Be 
urteilungsform bezeichnete Notengebung wird, wenn sie den 
Charakter von Leistungsbemessung oder auch nur -beschrei- 
bung haben soll, keine Vergleichbarkeit weder für den Schüler 
noch für die Eltern bieten. 
[Dr. Franz (CDU): Das ist ja der Sinn!] 
Wir haben ihnen vorgeschlagen, die verbale Beurteilung mit 
einer Ziffembenotung zu kombinieren, um die Vor- und Nachteile 
beider Methoden zu neutralisieren. Wir sind der Auffassung, die 
Vergleichbarkeit von Leistungsbeschreibungen, die sie mög 
licherweise gar nicht wollen, ist gerade vom Schüler gefragt. 
Wird aber eine Vergleichbarkeit in rein verbaler Darstellung her 
gestellt, so ist die der Ziffernnote adäquate Formel nicht weit. 
Dies ist aber keine Weiterentwicklung, sondern Darstellung von 
ideologisch geprägten Schonraum Schule.
	        
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