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Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
16. Sitzung vom 26. Oktober 1989
RBm Momper
Schaft, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit geben wird. Wer
meint, die Probleme lösen zu können, indem er eines dieser Ziele
unter dem Tisch kehrt, der wird den sozialen Frieden gefährden.
Es ist mir schon klar, daß es der CDU nicht schwer fallen würde,
schnell 35 000 oder vielleicht 40 000 Wohnungen irgendwohin
zu bauen - zum Beispiel auf die Heiligenseer Felder oder auf
Kleingartengelände. Die gesellschaftlichen Konflikte, die eine
solche Politik hervorrufen würde, würden Sie dann mit der Polizei
lösen wollen. Wir aber setzen auf einen Ausgleich der Inter
essen schon in der Planung selber. Ich stelle unmißverständlich
fest, daß für den Senat die Politik des ökologischen Stadtum
baus nicht zur Disposition steht.
[Beifall bei der SPD]
Ich füge hinzu, die Senatsentscheidungen sind einvernehmlich
getroffen worden. Sie balancieren die diversen Zielsetzungen
aus.
Im einzelnen haben wir beschlossen;
1. Das Wohnungsbauprogramm 1990 bis 1993 wird auf
35 000 öffentliche geförderte Wohnungen - ohne den Studen
tenwohnheimbau - heraufgesetzt. Davon sollen mindestens
17 250 im sozialen Wohnungsbau, d. h. im 1. Förderungsweg,
errichtet werden, denn es fehlen in Berlin vor allem preiswerte
Wohnungen.
[Beifall bei der AL]
In dieser Meinung sind wir, Herr Köppl, völlig einig. Es wird ein
2. Förderungsweg eröffent, mit dem 5 700 Wohnungen für Per
sonen geschaffen werden sollen, die heute noch im sozialen
Wohnungsbau wohnen und den Höchstbetrag der Fehlbele
gungsabgabe zahlen. Der 3. Förderungsweg - auch darin sind
wir, Herr Köppl, uns einig - wird schon 1990 stark herunterge
fahren und umfaßt nur noch insgesamt 2 800 Wohnungen.
[Zurufe von der CDU - Unruhe]
Das Sonderprogramm Dachgeschoßausbau umfaßt 1990 noch
1 250 Wohnungen. Weitere 8 000 Wohnungen sollen durch
Eigentumsmaßnahmen entstehen.
[Zuruf von der CDU]
- Nun hören Sie doch auf zu schreien, Sie hatten acht Jahre Zeit,
Ihre Politik zu realisieren; da hätten Sie besser sein sollen. - Im
Eigentumsprogramm A sollen es 5 600 Wohnungen sein, im
B-Programm 2 400. Die neuen Wohnungen sind nicht für einen
bestimmten Personenkreis gedacht, etwa nur für Aus- oder
Ubersiedler. Es gibt auch viele Berlinerinnen und Berliner, die
schon lange eine bezahlbare und angemessene Wohnung
suchen. Durch dieses ehrgeizige Wohnungsbauprogramm wird
das Angebot für alle erheblich erhöht. Es gibt keine Bevorzugun
gen oder Benachteiligungen.
[Beifall bei der SPD]
Es wird keinen Wohnungsbau auf der grünen Wiese geben.
Wir wollen nicht die Großsiedlungen und Trabantenstädte ver
gangener Zeiten. Die großen Grün- und Freiflächen werden nicht
angetastet. Wir wollen einen menschengerechten und ökolo
gisch orientierten Wohnungsbau. Die Flächen für den Woh
nungsbau finden sich einerseits in einer Vielzahl kleinteiliger
Maßnahmen. Es werden Lücken geschlossen und Brachen
genutzt. Alle Flächenreserven werden mobilisiert, auch wenn es
„nur“ im Flächen für 100 oder 200 Wohnungen geht. Dazu gehö
ren auch verkehrsnahe Flächen, z. B. des ehemaligen Reichs
bahnvermögens, ebenso wie Flächen der Alliierten, Flächen der
Polizei und untergenutzte Wirtschaftsflächen. Zwischen den
Verwaltungen ist hierüber eine detaillierte Liste erarbeitet und
abgestimmt worden.
Die größte Flächen werden für das „Wohnen rund um den
Tiergarten“ für den Bau von rund 4 000 Wohnungen bereitge
stellt. Das ist der Bereich Moabiter Werder, Lennä-Dreieck,
Potsdamer Platz und Diplomatenviertel. Die städtebaulichen
Gutachten für die Bebauung werden ab Januar 1990 schritt
weise vergeben werden können. Die Bundesgartenschau in
diesem Bereich wird keine Blumenschau werden. Sie wird in
diesem Bereich in besonderer Weise Grün in der Innenstadt
ökologisch verträglich mit Wohnungsbau kombinieren und eine
Grüntangente durch die Stadt führen, wo zum Vorgängersenat (C)
noch Autobahnen und Schnellstraßen geplant waren.
[Beifall bei der SPD]
Der Senat wird die Gespräche mit der DDR über die Möglich
keit zur Anmietung oder Pachtung grenznaher Flächen für
Gewerbezwecke fortführen, gedacht ist zum Beispiel an Lager
plätze. Damit kann das Flächenpotential der Stadt erweitert wer
den. Eine derartige Mietung oder Pachtung ist, das hat die Prü
fung ergeben, rechtlich möglich. Wir werden die Stadtplanungs
ämter mit Stellen für den schnelleren Durchlauf der aufgestauten
Bebauungspläne ausstatten.
2. Der Senat hat beschlossen, daß der Personalmehrbedarf an
den Schulen, der durch das Anwachsen der Schülerzahlen
entsteht, zur Hälfte durch zusätzliche Einstellungen abgedeckt
werden soll. Zur anderen Hälfte muß dieser Mehrbedarf durch
Umschichtungen oder organisatorische Maßnahmen innerhalb
des vorhandenen Stellenrahmens bewältigt werden. Pädagogi
sche Verbesserungen und Veränderungen im Schulbereich müs
sen durch Umschichtung vorhandener Stellenabgedeckt wer
den. Die Bereitstellung zusätzlicher Schulräume wird geplant
werden.
3. Der Senat wird keine Anhebung der Gruppenfrequenzen
in den Kitas vornehmen, obwohl gerade hier der Platzbedarf
außerordentlich groß ist. Der Senat will den großen Bedarf an
Kindertagesstättenplätzen auffangen, indem er, wie vorgesehen,
in dieser Legislaturperiode 10 000 zusätzliche Kita-Plätze baut.
Der Bau dieser Plätze ist jetzt planerisch weitgehend abge
sichert. Dies bedeutet, zusammen mit dem daraus resultierenden
Personalmehrbedarf, eine außerordentlich große Anstrengung,
Im Zuge des Wohnungsneubaus sollen zusätzlich weitere Kin
dertagesstätten gebaut werden. Der Senat ist der Auffassung,
daß die Schaffung von Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder
angesichts der rasant wachsenden Warteliste die mit Abstand
vordringlichste Aufgabe ist.
[Beifall bei der SPD]
Zusätzliche finanzwirksame pädagogische Verbesserungen
und Leistungsverbesserungen für die Erzieher und Erzieherin
nen sind derzeit nicht finanzierbar. Der Senat appelliert an die
Verantwortungsbereitschaft der Gewerkschaften angesichts der
objektiv vordringlichen Aufgaben. Er sieht derzeit keine Möglich
keit, den berechtigten Interessen der Gewerkschaft entgegenzu
kommen. Der Senat will im Gespräch mit den Gewerkschaften
bleiben und um Verständnis dafür werben.
4. Zur Finanzierung des Wohnungsbauprogramms und des
Stellenmehrbedarfs hält der Senat an dem eingeschlagenen
harten Sparkurs fest. Auch im nächsten Jahr werden die Perso
nalmittel des Landes generell um 1 % gekürzt.
[Landowsky (CDU): Was hat das mit diesem Thema zu tun?]
- Herr Landowsky, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben: Das
sind die Auswirkungen der Entwicklung in Europa für diese
Stadt. - Die Netto-Neuverschuldung soll die Obergrenze von
1,4 Milliarden DM nicht überschreiten. Anders als geplant, wird
aber die Reduzierung dieser Summe in absehbarer Zeit nicht
möglich sein. 1990 werden allein im Wohnungsbau Mehrkosten
in Höhe von 55 Millionen DM entstehen. Der Senat kommt nicht
umhin, einige Großbauprojekte zu verschieben oder sie in der
Finanzplanung zu strecken. Dies betrifft das geplante neue
Jugendgericht, den weiteren Ausbau des Museums für Verkehr
und Technik und die Umbauten in der Zitadelle Spandau.
5. Um die erheblichen finanziellen Folgen des Zuzugs zu
bewältigen, werden wir beim Bund auf eine schnelle und wirk
same Hilfe für Berlin und für die großen Städte drängen. Berlin
darf mit dieser Situation nicht alleingelassen werden. Berlin trägt
heute am meisten an der Last der Teilung Europas und den Fol
gewirkungen, die sich daraus ergeben. Ihre Bewältigung ist eine
nationale Aufgabe.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit den drei Alliierten für ihre
prompte und unbürokratische Hilfe bei der Bewältigung des
Aus- und Übersiedlerproblems herzlich danken.
[Starker Beifall bei der SPD und der CDU]