Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
15. Sitzung vom 12. Oktober 1989
Haberkorn
(A) Hier hat die CDU ein Gegeneinander-Ausspielen begonnen. Ich
kann nur davor warnen - auch die REPs in diesem Tenor wei
ter fortzufahren. Eines ist klar - dazu gab es vor kurzem im
„Tagesspiegel“ einen guten, zusammenfassenden Artikel über
die emotionale Situation in den Heimen für Aus- und Übersiedler
und Asylanten Die Rangfolge und die Hierarchie wird in einer
meist schlimmen Diskussion von den Aussiedlern oben bis her
unter zu den Aslybewerbern ganz unten festgelegt. Dies hat
damit zu tun, daß beispielsweise die REPs die Diskussion mit
den Menschen in den Heimen suchen und die Aus- und Über
siedler gegen die Asylbewerber ausspielen. Ich sage dazu
nur; Hören Sie damit auf.
Ich möchte darauf eingehen, was Frau Stahmer in Ihrer Ant
wort deutlich zu machen versucht hat und wovon ich meine, daß
es - ich will nicht sagen: oberflächlich - sehr vorsichtig
Zustände beschreibt und Hoffnungen erweckt, daß diese sich
schnell ändern könnten. Hier wird teilweise eine falsche
Zustandsbeschreibung gemacht.
Wenn wir von der Wohnraumsituation und den Antworten
des Herrn Nagel ausgehen, wie im sozialen Wohnungsbau Fluk
tuationen stattfinden, wenn wir wissen, wie über Modernisierung,
über Altbaumodernisierung, die Mitpreisentwicklung sich in die
Höhe schraubt, wenn wir wissen, wie die Diskrepanz zwischen
einkommensschwachen Bevölkerungsteilen und denen, die sich
teuren Wohnraum leisten können, immer größer wird, dann ist
die Hoffnung für viele Aus- und Übersiedler, Asylbewerber, die in
den Heimen sitzen - die als Übergangwohnheime gekennzeich
net sind, aber schon zu Dauerwohnheimen geworden sind -,
dort schnell herauszukommen, keine Hoffnung. Es ist eine Illu
sion. Wir müssen mit den Leuten so reden, daß wir ihnen sagen:
Wenn ihr hierher kommt, dann müßt ihr damit rechnen, daß sich
so schnell an der Wohnungsmarktlage nichts ändert.
Wir brauchen nicht so zu tun, als seien durch ein aufzulegen
des Wohnungsbauprogramm die Wohnungen schon vorhanden.
Es wird über Jahre eine klare Mangelsituation bestehen blei-
(B) ben. Wenn der Zuzug weiter so anhält, dann würde selbst beim
Bau von 30 000 Wohnungen in vier Jahren - bei einem progno
stizierten Zuzug von 30 000 oder mehr in den nächsten Jah
ren - sich überhaupt keine Verbesserung der Wohnmraumsi-
tuation ergeben. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen.
Machen wir also auch den Menschen nichts vor.
In dieser Richtung verstehe ich auch die Äußerung von Frau
Stahmer, die nicht nur von ihr, sondern auch von der AL und Wal
ter Momper vor den großen Ferien gemacht wurde: Sie haben
davor gewarnt, den Leuten, die nach Berlin kommen, lllussionen
zu machen, daß sie Wohnraum bekommen. Die Diskussion über
„Das Boot ist voll“ wurde nur deshalb geführt - Herr Fink -, weil
es um die Quotierung ging und um die Frage; Wie können Men
schen auf Dauer verantwortungsbewußt untergebracht werden.
Die Qualitätsfrage bei der Unterbringung wird zur Zeit in dieser
Stadt nicht diskutiert. Alle reden davon: Es wird schon werden.
Wenn wir aber wissen - am nächsten Montag haben wir die
Ausschußsitzung, die sich mit mehreren Besichtigungsfahrten
einen Überblick verschaffen wird - wie lange in Turnhallen, Not
aufnahmelagern und in Übergangsheimen gelebt wird - in einer
Situation, in der es überhaupt keine Intimssphäre mehr für die
Menschen gibt - und wir gar nicht wissen, woher wir die Woh
nungen nehmen sollen, dann sollten wir hier etwas realistischer
sein. Ich könnte zur Zeit niemandem, der wohnungslos ist und
schnell eine Wohnung bekommen möchte, empfehlen, nach Ber
lin zu kommen. Das würde ich nicht machen.
Ich bedaure es insgesamt, daß die Diskussion über Aus- und
Übersiedler und deren Unterbringung getrennt von der generel
len Frage der Obdachlosigkeit in dieser Stadt geführt wird. Es
ist keine getrennt zu führende Diskussion. Es sind alles Men
schen, die wohnungslos sind und in ihrer Wohnungslosigkeit
gleich zu behandeln sind. Deshalb müssen die Tendenzen - die
in der Vergangenheit da waren - vermieden werden, daß die
einen gegenüber den anderen bevorzugt werden. Wir wissen
- das habe ich in meiner Mündlichen Anfrage vorhin angedeu
tet -, daß Aus- und Übersiedler in Konkurrenz zum Pensions
markt treten, wo sonst einheimische Wohnungslose unterge
bracht werden und daß die Kostenübernahmen von vielen
Bezirksämtern für Aus- und Übersiedler wesentlich höher sind
als für einheimische Wohnungslose. Damit setzen wir genau dort
den Haß der Leute fest, die am wenigsten die Möglichkeit haben,
aus ihrer Misere herauszukommen. Wir müssen damit völlig
anders umgehen. Das müssen sich die Bezirksämter mit ihren
Bewilligungsweisen hinter die Ohren schreiben. Wir können
nicht anfangen, diese Dividierung zu betreiben. Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, daß die Leute, die vermehrt auf der Straße
leben - es sind sehr viel mehr als im letzten Jahr -, deshalb auf
der Straße leben, weil innerhalb des Pensionsmarktes vermehrt
die einheimischen Wohnungslosen verdrängt sind. Dies wegen
der hohen Kostenübernahmen, die für Aus- und Übersiedler
- aber nicht für einheimische Wohnungslose - übernommen
werden. Auch das kann nicht so weitergehen.
Die Frage des qualitativen Standards in den Einrichtungen
ist eine sehr interessante. In der Konsequenz heißt dies: Bringen
wir alle Heime, die es gibt, auf einen Standard - den wir schon
immer gefordert haben -, dann müßten wir sofort 200 bis
300 Heime mehr bauen. Das muß allen klar sein. Ich bin sehr
dafür, daß wegen der Standardfrage sehr viel mehr Heime
gebaut werden. Das hieße allerdings: Wir kommen in einen
großen Konflikt, wegen der Grundstücksflächen, die anders
bebaut werden sollen. Da dürfen wir uns nichts vormachen.
Generell muß noch eine andere Diskussion geführt werden:
Frau Stahmer hat es angedeutet: Wenn im nächsten Jahr
300 Millionen DM zusätzlich im Haushalt eingebracht sind, dann
wird das - wenn der Zuzug wie bisher weitergeht - nicht rei
chen. Das wirft dann ganz andere Fragen auf: Welche sozialpoli
tischen Schwerpunkte wird sich die Regierungskoalition neu set
zen, weil es auch darum gehen muß, wohin im Haushalt anders
verplante Gelder verteilt werden müssen. Das heißt; Wir kom
men mit einer anderen politischen Schwerpunktsetzung automa
tisch in eine Umverteilungssituation innerhalb des Haushalts.
Das muß diskutiert werden. Da wird es innerhalb der Koalition
eine Menge harter Kämpfe geben.
Eine Grundsatzposition und -frage ist: Wir dürfen nicht müde
werden, über den Bundesrat oder andere Aktivitäten bei der
Bundesregierung mehr Mittel sowohl für Integrationsmaßnah-
men als auch für Baumaßnahmen einzuklagen. Da fordere ich die
CDU genauso auf; von uns aus ist es selbstverständlich, dort
tätig zu werden. Es ist nicht hinzunehmen, daß eine insgesamt
zu verantwortende Situation nur noch zu Lasten der Landes
haushalte ausgetragen werden soll. Zudem in der besonderen
Situation hier in Berlin, wo wir bewußt über die vor den großen
Ferien vereinbarte Quote hinausgehen. Wir haben hier - wegen
der besonderen Situation der Leute aus der Umgebung OsLBer-
lins - wieder die Situation, daß 7 Prozent und mehr der Über
und Aussiedler nach West-Berlin kommen. Das sind 4 Prozent
mehr als vereinbart. Das heißt: Das muß irgendwo auch verkraft
bar sein. Das muß finanzpolitisch umgesetzt sein. Das muß auch
Interesse der CDU sein, hier entsprechend in Bonn tätig zu wer
den. - So weit dies.
Noch eine andere Situation, die mir auch sehr am Herzen liegt;
Die pädagogische Situation - das, was für die pädagogische
Betreuung, für zusätzliche Lehrerstellen in den Übergangshei
men ausgegeben werden muß. Auch das wird noch über die
300 Millionen DM im nächsten Jahr hinaus gehen. Es wird natür
lich versucht, hieran zu arbeiten. Aber auch hier haben wir Situa
tionen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Um ein Beispiel zu
bringen: In den Heimen für Übersiedler, wo quasi nur Krabbel
stuben eingerichtet sind, weil man dachte, die Eltern bleiben da
mit ihren Kindern nicht lange, wohin jetzt die pädagogischen Ein
richtungen müßten, gibt es vermehrt Probleme von Obersiedler
kindern, weil die mit selbstorganisierten Hilfen gar nicht klarkom
men und hier sogar besondere pädagogische Betreuung brau
chen aus der speziellen Situation, die sie hier im Rahmen der
Betreuung erfahren, wie sie sie aus der DDR anscheinend gar
nicht gewöhnt waren. Es gibt hier also noch pädagogische Bela
stungen, die wir zusätzlich tragen müssen, mit denen wir gar
nicht gerechnet hatten. Bei Aussiedlerkindern ist das klar; daß
bei Übersiedlerkindern verstärkt pädagogische Probleme auftre-
ten, heißt auch wieder, mehr Geld zu geben. Das müssen wir