Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
15. Sitzung vom 12. Oktober 1989
634
Diepgen
(A) Öffentlichkeit erheben wir die Forderung nach freien Wahlen,
nach Pressefreiheit, nach einem Mehrparteiensystem. Wir for
dern Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.
[Beifall bei der CDU]
Dabei ist Demokratie unser Ziel. Ich weiß, wir alle müssen uns
das immer einräumen, an dicken Brettern muß gebohrt werden,
um das zu erreichen.
Heute will ich einige konkrete Schritte für die nächsten Tage
und Wochen vorschlagen. Dabei im Grunde eine Selbstver
ständlichkeit vorab, die objektive Interessenlage der DDR-Füh
rung selbst erfordert es. Die Einreisebeschränkungen für die
CSSR, gerade wieder eingeführt, müssen aufgehoben werden.
Es ist erforderlich, daß es einen Reise- und Besucherverkehr von
Ost nach West gibt. Ich halte hier fest; Die Reisebeschränkun
gen sind für die Deutschen in der DDR Sinnbild für sinnlose
Bevormundung.
[Beifall bei der CDU]
Es gibt - und damit wende ich mich an die Bürger bei uns - über
100 Städtepartnerschaften. Jetzt sollen doch die Bürgermei
ster und Stadtparlamente mit Bürgerinnen und Bürgern - und
nicht nur mit Funktionsträgern ihrer Städte - von uns aus in die
DDR fahren und dort das Gespräch aufnehmen.
Die DDR-Führung beklagt sich über unsere Medien. Dann soll
doch im Ost- und im West-Fernsehen gemeinsam eine Diskus
sion von Journalisten beider Seiten über die Berichterstattung
stattfinden.
Die DDR-Führung beklagt auch Provokationen von angeb
lichen Randalierern. Dann soll sie doch öffentlich und vernehm
lich erklären, daß sie bei friedlichen Demonstrationen künftig auf
jedes Einschreiten verzichten wird.
Weiter: Die Gespräche in Sachsen und Berlin, Gespräche
zwischen kritischen Bürgern und öffentlichen Repräsentanten,
, R . sollten öffentlich fortgesetzt werden. Gerichtsverhandlungen
' ' gegen Festgenommene, die politisch Andersdenkende sind,
dürfen nicht geheim, sondern sollen öffentlich stattfinden.
Mit diesen Bemerkungen will ich darauf hinweisen, die DDR-
Führung ist aufgerufen, deutliche Akzente zu setzen, damit die
Menschen eine Hoffnung für eine Zukunft mit Perspektiven in der
DDR haben.
[Beifall bei der CDU]
Wir im Westen sollten auch unsere Gemeinsamkeiten in der
Deutschlandpolitik betonen. Sie gibt es insbesondere bei den
praktischen Fragen der Politik von Tag zu Tag. Aber wir dürfen
auch unterschiedliche Standpunkte nicht verkleistern. Zwischen
der CDU und der AL-SPD-Koalition in Berlin gibt es fundamen
tale Unterschiede, die allen klar sein müssen. Dabei geht es um
zwei Begriffe, Freiheit und Einheit Die SPD hat in den vergan
genen Jahren immer nur von Entspannung geredet und so getan,
als gebe es einen Widerspruch zwischen Entspannungspolitik
und einer Politik für Freiheit im östlichen Teil Europas. Deutsch
landpolitik war und ist für die SPD letztlich begrenzt auf die Frage
von Frieden und Stabilität. Für uns ist Deutschlandpolitik und
Europapolitik mehr, es ist eine Politik für Frieden und Freiheit.
[Beifall bei der CDU]
Das ist das, was notwendig ist. Es ist eine Politik für Frieden und
Freiheit, und eine Freiheitspolitik ist die beste Entspannungspoli
tik, die man sich vorstellen kann. Die SPD will offensichtlich nur
einen anderen Sozialismus, einen dritten Weg, wenn man ihre
Diskussion mit den Bürgern und gegenüber Bürgern in der DDR
verfolgt. Den dritten Weg, so nennt es Herr Momper, aber ich
sage, der reale Sozialismus ist gescheitert Wir wollen Freiheit
statt Sozialismus.
Stimmung für Gruppen und Parteien, und wir wollen vor allem
Selbstbestimmung für alle Deutschen.
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Diepgen, gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Statz?
Diepgen (CDU): Nein!
[Dr. Statz (AL): Feigling!]
Das führt mich zum nächsten Begriff. Das führt mich zu dem
Begriff, der zwischen der CDU und der AL-SPD-Koalition
- jedenfalls dabei auch zur Mehrheit der SPD in Berlin - streitig
ist; das ist das Ziel der Einheit Wenn heute die Entstalinisie-
rung im östlichen Teil Europas beginnt, dann sollte eigentlich
ganz klar sein, daß auch die deutsche Einheit wieder ein Thema
wird. Denn die Teilung Deutschlands ist auch ein Ergebnis stalin
scher Politik.
[Dr. Wruck (CDU); Richtig! - Zuruf von links: Adenauer!]
Natürlich mache ich mir keine Illusionen über Machtinteressen
von Supermächten, und insbesondere dabei der Sowjetunion,
auch unter der jetzigen Führung, auch unter Herrn Gorbatschow.
In der Berlinpolitik zeigt sich - bisher jedenfalls - das machtpo
litische Interesse der Sowjetunion am Festhalten an Jalta und
damit am Festhalten an Einflußsphären. - Aber ich glaube, auch
das folgende steht fest; Die Zeiten gehen dem Ende entgegen,
wo Einflußsphären einfach für alle Zeiten und ohne Widerspruch
der Betroffenen abgesteckt werden können.
[Beifall des Abg. Dr. Krähe (CDU)]
Wenn man in die Geschichte guckt, dann ist festzuhalten - auch
die metternichsche Politik der Restauration ist schließlich
gescheitert -, eine Politik der Aufteilung von Machtsphären in
Europa wird scheitern.
[Beifall bei der CDU - Abg. Dr. Statz (AL) meldet sich
zu einer Zwischenfrage.]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Diepgen, gestatten
Sie jetzt eine Zwischenfrage?
(C)
(D)
Diepgen (CDU): Die SPD aber betreibt eine in diesem Sinne
- und zwar im Sinne von Aufteilung in Interessensphären - kühle,
machtbezogene Politik.
[Dr. Statz (AL): Und welche Einflußsphären wollen Sie,
Herr Diepgen?]
Und ich sage, das ist Restauration, das ist rückwärtsgewandt!
[Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Rückwärtsgewandt in der Deutschlandpolitik, hier von seiten
gerade des Berliner Senats.
[Dr. Statz (AL): Welche neuen Machtsphären wollen Sie? -
Kern (SPD): Völlig von der Rolle! Völlig!]
Die SPD hat letztlich darauf verzichtet, den Status quo, und zwar
den der Teilung Deutschlands und Europas wirklich zu überwin
den. - Am deutlichsten hat dieses der Regierende Bürgermei
ster in einem Interview mit der „taz“ gesagt. Er hat dort ausge
führt - und ich zitiere das -; „Es ist eine Chance für Europa, wenn
es zwei deutsche Staaten gibt.“
[Beifall des Abg. Dr. Statz (AL)]
Und ebenso deutlich und vielleicht noch deutlicher - wie eben
der Beifall von ganz links - war der AL-Abgeordnete Statz mit
seiner - ich zitiere ihn - „eindeutigen Absage an jede Form von
Wieder- und Neuvereinigung“,
[Dr. Statz (AL): Richtig!]
[Beifall bei der CDU]
Wir wollen Wandel durch Offenheit der Gedanken, der Meinun
gen, der Wahlergebnisse. Wir wollen Offenheit der Grenzen und
in Freiheit die Offenheit der Entscheidung für die Gesellschafts
ordnung, das ist unsere Position, Wir wollen Freiheit als Selbst
bestimmung des einzelnen. Wir wollen Freiheit als Selbstbe-
und zwar „sein eindeutiges Bekenntnis zur Zweistaatlichkeit in
der Mitte Europas, zur fortdauernden Teilung Deutschlands und
auch der Teilung dieser Stadt Berlin.“
[Dr. Statz (AL): Da bin ich guter Gesellschaft mit der
Opposition in der DDR! - Kern (SPD): Sie machen die
Wiedervereinigung mit den REPs im nächsten Mail]