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Volume Nr. 14, 28. September 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989, 11. Wahlperiode, 1.-16. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
14. Sitzung vom 28. September 1989 
Stellv. Präsidentin Brinckmeier 
Ich komme nunmehr zum Antrag der Fraktionen der SPD und 
der AL über die Gefährdung der Bindungen Berlins mit dem übri 
gen Bundesgebiet und lasse darüber abstimmen. Wer diesem 
Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um 
das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit und 
damit so beschlossen. 
Ich rufe nunmehr auf die zweite 
Aktuelle Stunde 
zum Thema „Verbesserungen im öffentlichen Per 
sonennahverkehr zum 1. Oktober 1989” 
Der Ältestenrat schlägt vor, mit der Aktuellen Stunde die 
lfd. Nr. 7, Drucksache 11/311: 
Große Anfrage der Fraktion der SPD und der Frak 
tion der AL über öffentlichen Personennahverkehr 
in Berlin 
zu verbinden. Ferner möchte ich Ihnen vorschlagen, auch die 
dringliche 
Drucksache 11/332: 
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ver 
kehr vom 27. September 1989 zum Antrag der 
Fraktion der Fraktion der CDU über sofortigen 
Vollzugsstopp für Busspuren, Drucksache 11/294 
an dieser Stelle mit aufzurufen. Ich weiß nicht, wer zugehört hat, 
aber ich gehe davon aus, daß es dazu keinen Widerspruch gibt. 
Wird der Dringlichkeit der Beschlußempfehlung des Ausschus 
ses für Verkehr widersprochen? - Das ist ebenfalls nicht der 
Fall. 
Jetzt bitte ich um Aufmerksamkeit wegen der Rededauer. Vom 
Ältestenrat liegt die Empfehlung vor, daß die Große Anfrage 
nicht begründet wird und die Fraktionen in der ersten Redner- 
runde vor der Beantwortung der Großen Anfrage eine Redezeit 
von bis zu 15 Minuten pro Fraktion erhalten. Nach der Beantwor 
tung der Großen Anfrage durch den Senat stehen in einer weite 
ren Rednerrunde je zehn Minuten pro Fraktion an Redezeit zur 
Verfügung. Wenn sich hiergegen kein Widerspruch erhebt, wer 
den wir so verfahren. 
Dann erteile ich in der ersten Rednerrunde der Fraktion der 
SPD das Wort. Bitte, Herr Dr. Niklas! 
Dr. Niklas (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her 
ren ! Die Behandlung der ersten Aktuellen Stunde wird dazu füh 
ren, daß die Behandlung der zweiten Aktuellen Stunde sich viel 
leicht in etwas ruhigeren Bahnen vollzieht. Das muß nicht unbe 
dingt für das Thema ein Nachteil sein. Ich hoffe, daß wir deshalb 
mit etwas mehr Konzentration auf einzelne Sachpunkte dieses 
nicht immer einfache Thema miteinander diskutieren können, 
weil es uns von den Koalitionsfraktionen nicht darum geht, hier 
eine Anfrage nach dem Motto „am 1. Oktober findet etwas Tolles 
statt, die BVG wird immer besser“ zu stellen. Wir wollen also 
dem Senat nicht die Gelegenheit geben, dieses Thema in einer 
Art großer Pressekonferenz hier noch einmal öffentlich voranzu 
treiben, denn dazu wäre uns die Aktuelle Stunde des Parlaments 
zu schade. Nein, über den 1. Oktober 1989 hinaus wird in dieser 
Stadt eine Menge passieren müssen. Das versuche ich, mit drei 
Stichworten auf den Begriff zu bringen. Ich bin mir sicher, daß 
dann auch in der Beantwortung der Großen Anfrage einige 
dieser Stichworte mit aufgegriffen werden. 
Ich will gleich sagen, womit ich mich beschäftigen will: 
Zunahme des Pkw-Bestandes, aktuelle Entwicklungen im 
Bereich der Schaffung von Busspuren und einiges zum Ver 
ständnis des Fahrradverkehrs. Dies alles geschieht unter der 
Überschrift des öffentlichen Nahverkehrs, denn wir sind uns 
wohl einig, wenn wir uns über dieses Thema unterhalten, daß (C) 
dann der Gesamtverkehr zur Debatte steht. 
Ich fange mit dem Pkw-Bestand an, der von uns allen in den 
vergangenen Jahren und Jahrzehnten durchweg bei den jeweils 
erstellten Prognosen als zu niedrig eingeschätzt wurde. Ich will 
es so formulieren: Zur Zeit ist die Bevölkerung, nicht nur bei uns 
in der Stadt, auch im Bundesgebiet insgesamt, die Automobil 
ausstellung hat es gezeigt, wie in einem Kaufrausch. Das, was 
die, die sich wissenschaftlich mit derartigen Fragen beschäftigt 
haben, nie erwartet haben, daß jetzt noch - bei einem Bestand 
von 29 Millionen Pkws in der Bundesrepublik Deutschland - ein 
jährlicher Bestandszuwachs von über einer Million sich ergeben 
könnte, das ist eingetroffen. Die Kaufwut hält an. In Berlin, wo 
sich die Bevölkerungsstruktur noch weiter verjüngen wird, was 
uns alle freut, ist nach gegenwärtiger Kenntnis davon auszuge 
hen, daß diese Kauflust weiter anhalten wird; 700 000 Pkws und 
Kombis haben wir schon in unserer Stadt. Da wäre die normale 
Schlußfolgerung von vielen von uns, natürlich auch von der CDU, 
die; Wenn es so ist, daß wir immer mehr Pkws haben werden, 
dann müssen wir weiter Straßen bauen. Mit scheint aber, daß 
selbst in weiten Bereichen der CDU es ganz allmählich deutlich 
wird, daß dieser Versuch, der Kaufwut der Bevölkerung mit dem 
Bau von immer mehr Straßen nachzukommen, tatsächlich immer 
falscher wird. Der Pkw wird sich so selbst zum stärksten Gegner 
und Feind. 
Die Frage, die auch natürlich bei uns in der Sozialdemokrati 
schen Partei in den vergangenen Jahren eine sehr schwer zu ent 
scheidende Frage war, wie wir es denn nun halten mit dem wei 
teren Ausbau des Straßensystems - und ich nenne einmal ein 
Beispiel: die Stadtautobahnverlängerung nach Neukölln, was ja 
zu einer schwierigen Entscheidung auf unserem Landesparteitag 
geführt hat -, würde nach meiner festen Überzeugung heute 
schon eindeutiger beantwortet werden, weil wir sehen, daß 
immer dann, wenn wir dem Pkw-Verkehr, dem Kraftfahrzeugver 
kehr mehr Platz einräumen, dieser Platz rasch ausgefüllt und 
überfüllt wird und daß natürlich zumindest in einem Ballungsge- (D) 
biet irgendwann der Punkt erreicht wird, wo man sagen kann und 
muß: So können wir das Problem nicht weiterhin lösen wollen. 
Das bedeutet auch, daß die These des Deutschen Gewerk 
schaftsbundes, die an dieser Stelle mit der bisherigen Auffas 
sung der CDU übereinstimmt, daß wir nämlich versuchen sollten, 
wenn wir schon verkehrsberuhigen in vielen Bereichen - und 
das ist inzwischen unumstritten, was der Deutsche Städtetag 
gemeinsam mit allen Parteien in den Kommunen vorschlägt: 
beruhigen auf 30 Stundenkilometer Fahrgeschwindigkeit in den 
Wohnquartieren -, denn den Pkw-Verkehr zu konzentrieren auf 
leistungsfähige Hauptverkehrsstraßen, daß gerade dieses bei 
dem exorbitanten Wachstums des Pkw-Verkehrs eine Sack 
gasse ist und - je stärker dieser wächst - immer mehr zu einer 
stadtpolitischen Sackgasse werden muß. Das heißt, allmählich 
muß deutlich werden - und wir hoffen, daß es auch in der Bevöl 
kerung, die die Pkws kauft, damit sie mit diesen Pkws fahren 
kann; es kauft sich doch keiner ein Auto und will dann damit nicht 
fahren - allmählich deutlich wird -, daß es eine vergebliche Hoff 
nung ist, durch mehr Straßenbau den Wettlauf mit den steigen 
den Pkw-Zahlen gewinnen zu wollen, sondern daß in der Tat hier 
die Politik eine ganz entscheidende Lenkungsaufgabe hat und 
auch einmal in einer Situation, wo Politiker beileibe nicht von 
vornherein auf Akzeptanz hoffen können, die schwierige Bot 
schaft denen, die da ihre Autos kaufen, vermittelt und sagt: Nein, 
wenn wir, die wir uns mit diesem Thema sehr intensiv beschäfti 
gen, dieses ernsthaft prüfen, kann es so nicht weitergehen. Es 
funktioniert nicht, daß etwa durch den Bau der Nord-Süd-Straße, 
durch den Bau der Verlängerung der Autobahn nach Neukölln 
oder durch den Bau der B 101 versucht wird, das Problem des 
stockenden Pkw-Verkehrs in den Griff zu bekommen; das ist 
eine Sackgasse. Wir müssen gestalten, wir müssen etwas 
anderes machen. 
Gut, das ist die erste eherne Einsicht - hoffe ich -, die immer 
stärker gerade im Bezug darauf bewußt wird, daß der Pkw- 
Bestand sehr viel stärker steigt, als wir vielleicht vermutet haben, 
daß wir also gerade in dieser Situation das Gegenteil von dem
	        
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