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Volume Nr. 8, 1. Juni 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989, 11. Wahlperiode, 1.-16. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
8. Sitzung vom 1. Juni 1989 
294 
Stellv. Präsidentin Brinckmeier 
(A) Auf Empfehlung des Ältestenrates rufe ich zunächst auf aus 
dem Nachtrag zur Tagesordnung 
Lfd. Nr. 10 A: 
a) Drucksache 11/116: 
Große Anfrage der Fraktion der CDU Uber Ver 
nichtung der Akademie der Wissenschaften 
b) Drucksache 11/101: 
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion 
der AL Uber Auflösung der Akademie der Wis 
senschaften 
Zur Begründung der Großen Anfrage - Herr Dr. Kewenig! 
Dr. Kewenig (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren I Zunächst einmal sollten wir festhalten: Bei 
dem Plan, die Akademie der Wissenschaften zu Berlin per 
Gesetz wieder abzuschaffen, handelt es sich ganz eindeutig um 
das Ergebnis einer politischen Erpressung, und zwar einer politi 
schen Erpressung des großen Partners durch den kleinen Part 
ner. Oder anders formuliert: die Akademie als Schlachtopfer auf 
dem Altar des rot-grünen Bündnisses! So hat die ganze Sache 
angefangen, und so soll sie offenbar auch durchgezogen wer 
den. 
Ich bin kein Träumer; ich habe selbst auch in einer Koalitions 
regierung gearbeitet und habe oft schmerzlich erlebt, daß man 
bestimmte Dinge, die man für richtig hält und die man gern 
durchsetzen möchte, nicht durchsetzen kann, weil der Koalitions 
partner nicht mitmacht. Aber das Besondere an diesem Vorgang 
ist, daß - weil einer, und zwar der kleinere Koalitionspartner es 
so will - man etwas zerstört. Und ich muß ehrlich eingestehen; 
Das scheint mir ein neuer Zug des Umgangs von Koalitionspart 
nern miteinander zu sein. 
Auf jeden Fall aber glaube ich, daß man das ganze Thema zu 
behandeln hat, indem man zwei Gruppen von Betreibern - wenn 
ich das so sagen darf - unterscheiden sollte, nämlich zum einen 
die Kreuzzugfahrer - das heißt, diejenigen, die sich auf die Fahne 
geschrieben haben, daß eines ihrer wichtigsten Ziele die 
Abschaffung der Akademie ist - und zum anderen diejenigen, 
die mehr oder minder schlechten Gewissens mitmachen. Inso 
fern möchte ich mich an den Regierenden Bürgermeister wen 
den; Ich möchte doch noch einmal Ihr schlechtes Gewissen, mit 
dem Sie da mitmachen, etwas verstärken. 
[Wagner, Jürgen (SPD): So ein schlechtes Gewissen 
haben wir da gar nicht! 
Wir hätten nach unserem Willen die Akademie 
so verändert, daß Sie Ihre Akademie der Wissenschaften 
sowieso nicht wiedererkannt hätten!] 
Darf ich Sie vielleicht an folgendes erinnern: Als wir im Jahr 1981 
die Regierung übernommen hatten, gab es etwas Ähnliches, 
nämlich das Wissenschaftskolleg - eine Erfindung und Einrich 
tung von Peter Glotz, die gerade das Licht der Welt erblickt hatte 
und außerordentlich pflegebedürftig war. Und es hätte natürlich 
nahegelegen, im strahlenden Glanz der neuen Mehrheiten zu 
sagen: Nun werden wir einmal als allererstes - das ist ja immer 
besonders einfach - das Wissenschaftskolleg, zu dem auch 
viele in Ihrer Partei zweite und dritte Gedanken hatten, abschaf 
fen. Das wäre noch viel einfacher gewesen, als heute die Akade 
mie abzuschaffen; denn man hätte noch nicht einmal ein Gesetz 
ändern müssen. Was haben wir getan? - Wir haben das Wis 
senschaftskolleg gepflegt und gehegt. Ich empfehle dem Regie 
renden Bürgermeister - wenn er mir vielleicht einmal zuhören 
würde Herrn Glotz anzurufen und sich zu erkundigen, wie das 
damals mit dem Wissenschaftskolleg gewesen ist. Ist das die Art 
und Weise, in der die SPD unseren Umgang mit dem Kind ihrer 
früheren Koalition, nämlich mit dem Wissenschaftskolleg, ent 
gilt? 
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Dr. Kewenig, gestat- (C) 
ten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Schramm? 
Dr. Kewenig (CDU): Nein, ich komme auf Frau Schramm 
noch zu sprechen. Ich gestatte keine Zwischenfrage. 
Wie das auch mit dem schlechten Gewissen sein mag: Ich 
möchte gerne Ihren Plan, die Akademie abzuschaffen, unter drei 
Gesichtspunkten erörtern: wissenschaftspolitisch, wirtschafts 
politisch und allgemeinpolitisch. 
Lassen Sie mich zunächst etwas zur wissenschaftspoliti 
schen Perspektive dieser Untat sagen: Wir alle wissen, unab 
hängig von der Zugehörigkeit zu einer Partei, daß der wissen 
schaftliche Bereich einer der wichtigsten in Berlin ist. Er ist einer 
der Lebensnerven Berlins. Deshalb hat auch jede Koalition große 
Anstrengungen gemacht, den wissenschaftlichen Bereich zu 
pflegen mit der selbstverständlichen Einschränkung, daß es 
durchaus unterschiedliche Meinungen darüber gibt, was man 
mehr und was man weniger pflegt. Über eines waren wir uns 
immer einig: Hier ist ein zentraler Bereich der Berliner Politik zu 
verantworten. In diesem zentralen Bereich gibt es, wie überall, 
notwendige Einrichtungen - die großen Universitäten, die Fach 
hochschulen, dieses oder jenes wissenschaftliche Institut - und 
zusätzliche, nicht vom System her notwendige Einrichtungen, die 
aber, wenn ich das so sagen darf, Pfeffer und Salz in der Suppe 
sind oder zumindest sein können. Wir müssen beides tun, 
sowohl die großen, die notwendigen Organisationen pflegen als 
auch das, was ich eben verkürzt als das Salz in der Suppe 
bezeichnet habe. 
[Zuruf von der SPD] 
Wenn man das aber will, wenn man neben den großen und mit 
vielen schwierigen Aufgaben ausgestatteten Institutionen auch 
kleine, den wissenschaftlichen Fortschritt, die intellektuelle 
Atmosphäre in Berlin pflegende und bestimmende Institutionen 
haben will, dann muß man zweierlei aufbringen: erstens Zeit: in (D) 
der Wissenschaft, das wissen alle, auch diejenigen, die nicht 
Wissenschaftler sind, geht nichts von heute auf morgen, zwei 
tens Kontinuität: man muß Dinge über einen gewissen Zeitraum 
mit Beständigkeit pflegen, was nicht ausschließt, daß man dann, 
wenn man feststellt, daß eine Einrichtung trotz Pflege nicht die 
erwarteten Früchte trägt, auch den Mut haben muß, damit 
Schluß zu machen. 
Nur, Frau Schramm, und meine Damen und Herren von der 
Koalition: Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, daß Sie 
nach praktisch einem Jahr eine so schwierige, so neuartige und 
auch so einmalige wissenschaftliche Einrichtung, wie es die Aka 
demie der Wissenschaften nach ihrer Satzung, nach ihrem Pro 
gramm und auch nach ihrer tatsächlichen Arbeit ist, daß Sie 
nach einem Jahr aufgrund intensiver Gewissensanspannung zu 
dem Ergebnis gekommen sind, die Akademie trage nicht die 
erwarteten Früchte, und Sie müßten deshalb die Akademie wie 
der abschaffen. Wer das von sich behauptet - ich habe aller 
dings den Eindruck, das behauptet niemand -, der würde ganz 
eindeutig eine Lüge verbreiten. 
[Zuruf von der AL] 
Das einzige, was diesen Abschaffungskreuzzug bewegt, ist 
Ideologie. 
[Beifall bei der CDU] 
Ein Stichwort ist es, was Ihnen in der Nase sitzt und was Sie 
nicht vertragen können, nämlich das Wort „Elite“. Alles, was mit 
diesem Wort zu tun hat, möchten Sie unter allen Umständen bei 
seite schaffen, weil Sie der Auffassung sind, es gehe auch ohne! 
[Zurufe - Unruhe] 
Lassen Sie sich das sagen von jemanden, der in der Wissen 
schaft und, jedenfalls nach meinem Verständnis, auch für die 
Wissenschaft gearbeitet hat: Es ist eines der Lebensgesetze der 
Wissenschaft, daß sie zwar, wenn ich das einmal bildhaft sagen 
darf, eine große Menge Breitensport zu betreiben hat, erziehen, 
Menschen an ihr Berufsleben heranführen muß. Aber darüber 
hinaus muß es auch Spitzensport geben, und Spitzensport kann
	        
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