Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
8. Sitzung vom 1. Juni 1989
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Sen Dr. Meisner
(A) für die Investitionstätigkeit in Berlin in den kommenden Jahren
befürchtet werden, denn das Vorziehen von Investitionen
bedingt zwangsläufig Investitionszurückhaltung in den darauf fol
genden Jahren. Das stört also die Kontinuität der wirtschaft
lichen Entwicklung in unserer Stadt. Zum anderen erhöhen sich
durch die vorgezogenen Investitionen die Investitionszulage und
die Sonderabschreibungen nach dem Berlinförderungsgesetz
erheblich und bewirken sprunghaft ansteigende Steuerausfälle
für den Haushalt. Es sind ganz überwiegend diese aus Vorziehef
fekten resultierenden Einnahmeverluste, die gegenwärtig den
Anstieg der Steuereinnahmen unseres Haushalts drücken.
Wegen der Übergangs- und der Auslauffristen für die bisherige
Investitionszulage werden die Bremswirkungen bis in das Jahr
1991 hinein anhalten. Es ist denkbar schwierig, unter diesen
ungünstigen Bedingungen eine neue Politik zu starten. Wer sich
der Notwendigkeit gegenübersieht, mitten in einem laufenden
Haushaltsjahr auf der einen Seite ein Steuerloch von knapp 260
Millionen DM stopfen zu müssen, und auf der anderen Seite eine
neue Politik energisch anpacken will, der muß zwangsläufig auch
auf die Kreditaufnahme als Finanzierungsinstrument setzen.
Das Steuerloch hat der Senat zwar nicht zu vertreten, aber er
muß diese Last tragen. Zu vertreten hat der Senat allerdings die
neue Politik, und zu dieser Verantwortung bekennt er sich aus
drücklich.
Mit dem Nachtrag vollzieht der Senat den Einstieg in eine öko
logisch orientierte, neue Stadtpolitik. Ein Umweltproblem, das
gerade Berlin schwer belastet, stellt - wie wir in der Aktuellen
Stunde feststellen konnten - der motorisierte Individualverkehr
dar. Der Senat und die ihn tragenden Parteien reden nicht nur
vom Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs. Das hat
der vorige Senat getan. Wir setzen vielmehr diese Priorität auch
in Taten um.
[Vereinzelter Beifall bei der AL]
Als ein erster Schritt hin zum beschleunigten Ausbau von S-
und U-Bahnlinien werden mit dem Nachtrag die Mittel für den
(B) Bahnbau um 95 Millionen DM aufgestockt. Der Senat hat gleich
zeitig beschlossen, die Finanzhilfen des Bundes nach dem
Strukturhilfegesetz von 72 Millionen DM jährlich in vollem Um
fang zur Finanzierung zusätzlicher Maßnahmen des S- und
U-Bahnbaus einzusetzen.
[Buwitt (CDU): Die sind doch in den 95 Millionen DM
enthalten, Herr Senator!
Sie tun ja so, als ob das zusätzlich wäre!]
- Haben Sie das noch nicht gemerkt, Herr Buwitt? Lesen Sie es
noch mal nach! - Die angestrebte Verdoppelung der jährlichen
Investitionen für den schienengebundenen Nahverkehr bedeu
tet, daß in den kommenden Jahren jeweils rund 340 Millionen
DM - -
[Zuruf von der CDU]
- Verzeihung! Ich will es Ihnen noch einmal sagen: Wir verdop
peln!
[Buwitt (CDU): Sie können gar nicht verdoppeln!
Weil Sie die dritte Finanzierungsschiene machen müssen!]
- Darf ich es Ihnen vielleicht erklären. Wir werden keine dritte
Finanzierungsschiene nehmen. Das Strukturhilfegesetz des Bun
des
[Zuruf des Abg. Buwitt (CDU)]
- Herr Buwitt, ich versuche doch gerade, es Ihnen zu erklären -
sieht eine Eigenbeteiligung des jeweils nehmenden Landes vor.
[Buwitt (CDU): Von 10 Prozent!
Und Sie haben 20 Prozent angesetzt!]
- Nein! Über die Höhe ist gar nichts gesagt, Herr Buwitt. - Das
heißt also, es wird zum einen die Mittel aus dem Gemeindever
kehrsfinanzierungsgesetz geben, die wir weiter voll ausschöpfen,
und auf der anderen Seite eine vorgesehene Kombination aus
Strukturhilfemitteln, die durch Landesmittel in der genannten
Höhe ergänzt werden.
Im Nachtrag hat daneben eine weitere für den Vorrang des
öffentlichen Personennahverkehrs bedeutsame Maßnahme ihren
finanziellen Niederschlag gefunden. Ich meine die Einführung der (C)
Umweltkarte der BVG, die den Anreiz erhöhen soll, vom eige
nen Auto auf Bahnen und Busse umzusteigen. Auch der Ausbau
von Busspuren, für den der Nachtrag ebenfalls die finanziellen
Voraussetzungen schafft, unterstreicht das Bemühen des
Senats, den Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs
auch wirklich durchzusetzen. Die Bereitstellung von zusätzlichen
Mitteln für bezirksübergreifende Fahrradrouten liegt ebenfalls
auf dieser Linie einer umweltbewußten Orientierung der inner
städtischen Verkehrspolitik.
[Wronski (CDU); Nichts Neues!]
- Hier geht es um Geld, Herr Wronski, nicht um Deklamationen!
Das ist der Nachtragshaushalt!
Der Senat verstärkt mit dem Nachtrag außerdem die Anstren
gungen zur Verbesserung des Umweltschutzes. Es werden 50
Millionen DM zusätzlich bereitgestellt, unter anderem für die
Ermittlung und Beseitigung von Bodenverunreinigungen, den
Ausbau des Klärwerks Ruhleben, für Maßnahmen zur Erhaltung
und Verbesserung von Grünflächen, für Baumpflanzungen und
Baumsanierungen sowie für verstärkte Straßenraum- und Flä-
chenentsiegelung. Das Versuchsprogramm zur Dekontaminie
rung verunreinigter Bauabfälle wird ausgeweitet wie auch die
Maßnahmen der Unterhaltung und Sanierung von Ufern, der Hof
begrünung und der Sanierung von Altanlagen.
Die Ausgaben im Zusammenhang mit der Asbestsanierung
werden um 32,5 Millionen DM aufgestockt. Von diesen zusätz
lichen Ausgaben sind 22,5 Millionen DM für Sanierungsmaßnah
men in Schulgebäuden und 10 Millionen DM für Maßnahmen in
anderen öffentlichen Einrichtungen bestimmt. Das finanzielle
Ausmaß der Asbestsanierung fordert im übrigen auch eine Neu
besinnung darüber, wie der einmütige Beschluß des Abgeord
netenhauses der vorigen Wahlperiode zu diesem Thema reali
siert werden kann. Das finanzielle Ausmaß - füge ich hier noch
einmal hinzu - ist so, daß wir auf jeden Fall sagen müssen: Alles
sofort zu sanieren, geht nicht! (D)
Im Wohnungsbau werden mit dem Nachtrag ebenfalls erste
Akzente für eine neue Politik gesetzt. Der Senat handelt in der
Erkenntnis, daß der akute Mangel an preiswerten Wohnungen
nicht kurzfristig überwunden werden kann. Jahrelange Versäum
nisse in der Wohnungsbaupolitik lassen sich eben nicht von
einem Jahr zum anderen korrigieren. Besonders akut wird dieses
Problem dadurch, daß die angesprochenen Versäumnisse der
Wohnungsbaupolitik zu einer neuen Wohnungsnot in Berlin
geführt haben und die verstärkte Nachfrage der Neuberliner auf
dem Wohnungsmarkt damit zusammentrifft. Der Senat hat sich
das Ziel gesetzt, den Bau von jährlich 7 000 neuen Wohnungen
zu fördern. Und selbst mit diesem durchaus ehrgeizigen Pro
gramm
[Gelächter der Abgn. Hapel (CDU) und Adler (CDU)]
- „ehrgeizig“ gemessen an dem, was der vorige Senat geleistet
hat - werden wir, wie es schon aus den Zahlen hervorgeht, in
einer Legislaturperiode den Wohnungsmarkt nicht ausgieichen
können. Wenn ich die Zahlen anspreche, meine ich damit auch,
daß in den Jahren 1987 bis 1989 insgesamt 50 000 Menschen
plötzlich in Berlin auftauchten, für die zunächst eine Unterbrin
gung für eine Übergangszeit geschaffen werden muß und die
dann natürlich weiter Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt in
Berlin sein werden. Der Nachtrag enthält dementsprechend die
notwendigen Ausgabenerhöhungen und Verpflichtungsermäch
tigungen bei den Ansätzen für die Wohnungsbauförderung, und
er weist die erforderlichen Kapitalzuführungen an Wohnungs
baugesellschaften aus. Als Ausgaben werden hierfür 31 Millio
nen DM und als Verpflichtungsermächtigungen 382 Millionen
DM zur Verfügung gestellt.
Aber nicht nur beim Wohnungsbau setzt der Senat mit diesem
Nachtrag Zeichen, sondern auch in der Mietenpolitik, indem er
darauf verzichtet, für Mietwohnungen im Besitz des Landes Ber
lin in diesem und im folgenden Jahr mögliche Mieterhöhungen
geltend zu machen.
[Beifall bei der SPD]