Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
8. Sitzung vom 1. Juni 1989
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(A)
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Sen Wagner
auf diesen Aufkleber geschrieben hatten? - „Avus Berlin - für
unseren Grunewald 100 km/h“ - das war die Aussage des von
Herrn Diepgen geleiteten Senats.
[Beifall bei der SPD -
Dr. Wruck (CDU): Richtgeschwindigkeit!]
Präsident Wohlrabe: Herr Senator Wagner, gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Hassemer?
Wagner, Senator für Arbeit, Verkehr und Betriebe: Ich nehme
an, von Herrn Wronski auch. Selbstverständlich!
Präsident Wohlrabe: Gut, dann zuerst Herr Dr. Hassemer.
Dr. Hassemer (CDU): Herr Senator, sind Sie bereit, genau
an dieser Stelle den Unterschied einzusehen zwischen Ihrer und
unserer Politik, daß nämlich Sie Ihre Geschwindigkeitspolitik auf
der Avus gegen die Bürger machen und wir sie mit einem Appell
und nicht mit einem Verbot gegen die Bürger versucht haben?
[Beifall bei der CDU - Dr. Staffelt (SPD):
Aber Sie waren für 100 km/h! -
Dr. Wruck (CDU): Als Richtgeschwindigkeit!]
Präsident Wohlrabe; Eine weitere Zusatzfrage von Herrn
Wronski jetzt, wenn Herr Senator Wagner gestattet.
Wagner, Senator für Arbeit, Verkehr und Betriebe: Aber
selbstverständlich!
Präsident Wohlrabe: Bitte schön, Herr Wronski!
Wronski (CDU): Quasi ergänzend zu der Frage des Kollegen
Hassemer, Herr Senator: Sind Sie fairerweise bereit, zu präzisie
ren, daß das von Ihnen gezeigte Plakettchen eben nicht in der
Breite, die beabsichtigt war, und zwar von einem Kollegen des
Senats, verteilt wurde und Sie jetzt auf Restbestände von 6 500
Stück gestoßen sind?
[Dr. Staffelt (SPD): Und wo sind die anderen
geblieben? - Heiterkeit]
- Das weiß ich nicht!
[Dr. Staffelt (SPD): Ein glatter Verstoß gegen die
Landeshaushaltsordnung! - Heiterkeit]
- Na, das läßt sich ja wohl klären. Klären Sie mal, würde ich
sagen, klären Sie mal! - Aber, Herr Kollege Wagner, würden Sie
fairerweise auf die feinen Unterschiede hinweisen zwischen
dem, was Sie vortragen, und wie es wirklich gewesen ist?
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat jetzt Herr Senator
Wagner.
Wagner, Senator für Arbeit, Verkehr und Betriebe: Selbstver
ständlich beantworte ich Ihre Frage gern, Herr Kollege Wronski,
und natürlich auch so fair, wie Sie das gewohnt sind. Ich weiß
nicht, ob wir da 6 500 Stück noch gefunden haben,
[Wronski (CDU): Steht heute im „Tagesspiegel“!]
ich kenne auch nicht die Gesamtauflage, die der Senat damals
drucken ließ. Das weiß ich nicht, das ist mir aber auch gar nicht
wichtig. Ich bestätige Ihnen gern, daß hier draufsteht: „Der Sena
tor für Stadtentwicklung und Umweltschutz“, aber ich nehme
doch an, daß bei einer so wichtigen Frage wie dieser, nämlich
Umweltschutz, der Gesamtsenat soviel Verantwortung mittrug,
daß er auch diese Aussage trug. Und dazu habe ich auch keinen
Widerspruch von Herrn Hassemer gehört. Herr Hassemer hat
mich doch lediglich gefragt, ob ich den feinen Unterschied sehe
zwischen einem Appell an die Bürger und einer Verordnung.
Jawohl, Herr Hassemer, den Unterschied sehe ich wohl. Ich sehe
nämlich den Unterschied zwischen Ihrer Politik, das Richtige zu
erkennen, aber das Notwendige zu unterlassen, und unserer
Politik. Wir werden jetzt das Notwendige tun.
[Beifall bei der SPD]
Ein weiterer wichtiger Punkt sind Verkehrsberuhigungen in
Wohnbereichen. Sie wissen, daß zum Jahresende die Zonenge
schwindigkeitsverordnung ausläuft. Im Bundesministerium für
Verkehr wird eine Nachfolgeregelung vorbereitet. Wir treten
- übrigens gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag - für die
generelle Einführung von Tempo 30 innerhalb geschlossener
Ortschaften ein - bei gebotenen Ausnahmeregelungen für
Hauptverbindungsstraßen. Sollte sich hierfür keine Mehrheit der
Bundesländer finden, werden Wohngebiete mit flächenhaften
Geschwindigkeitsbegrenzungen versehen. Die Einrichtung von
weiteren Tempo-30-Zonen wird in jedem Falle zügig erfolgen.
Durch eine Verlagerung und Bündelung des Verkehrs wird auch
ein positiver Beitrag zur Verkehrssicherheit geleistet.
Wir halten sowohl bei Pkw wie auch bei Nutzfahrzeugen wei
tere Maßnahmen zur Minderung der Emissionen für dringend
geboten.
Der Senat wird weiter prüfen, inwieweit zum Beispiel durch
Parkgebührenregelungen eine angemessenere Beteiligung
des Autonutzers an den von ihm verursachten gesellschaft
lichen Kosten möglich wird. Wir wollen die Parkgebühren für
jede angefangene halbe Stunde auf 1 DM hinaufsetzen und
zugleich die Zahl der Parkuhren angemessen erhöhen, damit die
Kraftfahrer bei der Wahl der Verkehrsmittel auch die Parkgebühr
in ihre Kalkulation einbeziehen. Außerdem sollen in den Subzen
tren wie bereits in der City weitere flächenhafte Kurzparkzonen
eingerichtet werden. Damit wollen wir erreichen, daß bisherige
Dauerparker diese Subzentren künftig nur noch mit öffentlichen
Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad aufsuchen. Gleichzeitig
soll dadurch der Parksuchverkehr eingeschränkt, sollen die Zen
tren vom ruhenden Verkehr entlastet, die Inanspruchnahme der
unzureichend genutzten Parkhäuser erhöht und der öffentliche
Personennahverkehr besser ausgelastet werden.
Der ruhende Verkehr wird künftig in der ganzen Stadt zu
einem noch größeren Problem. Wir werden eine Analyse der
Situation mit einer Parkraumkonzeption erarbeiten lassen.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf die Anordnung
von Tempo 100 auf der Avus eingehen. Die Reaktionen in der
Öffentlichkeit und bei Interessenverbänden, die nur noch als Ver
fall der politischen Kultur und Verwilderung der Sitten zu fassen
sind, haben mich schon verwundert, und ich werde darauf auch
noch eingehen.
[Dr. Hassemer (CDU): Wechseln Sie doch
die Bevölkerung aus!]
- Das hätten Sie doch am liebsten am 29. Januar getan, als die
Bürger Ihnen ihre Antwort erteilt haben.
[Beifall bei der SPD]
Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Avus zwischen
Auerbachtunnel und Nikolassee erfolgte aus Gründen der Ver
kehrssicherheit. Anlaß war die erhebliche Zunahme der Ver
kehrsunfälle im letzten Jahr. Im Verhältnis zur Gesamtstrecke der
Avus ereigneten sich 64 °/o aller Unfälle allein auf diesem Teil
stück. Unfallursache war überwiegend überhöhte Geschwindig
keiten.
- Na, wie soll ich es Ihnen denn beweisen, wenn ich es Ihnen
hier doch erkläre? - Auf dem Teilstück bestand bisher eine
Richtgeschwindigkeit von 80 bis 100 km/h, die kaum beachtet
wurde. Schneller als 100 km/h fuhren weit über 60 Prozent,
schneller als 130 km/h rund 20 Prozent aller Kraftfahrer.
Die Hetztiraden des ADAC gegen diese Maßnahme gehen
nun so weit, daß die Presse, die über unsere Maßnahme positiv
berichtet hat, erpreßt wird in Form eines Boykotts bei Annon
cen.
[Dr. Wruck (CDU); „Erpressung“ ist als
Straftatbestand zu rügen!]
[Giesel (CDU): Das ist nicht wahr, Herr Senator,
das haben Sie bis heute nicht bewiesen!]
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