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Volume Nr. 5, 11. Mai 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989, 11. Wahlperiode, 1.-16. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
5. Sitzung vom 11. Mai 1989 
178 
Lorenz 
(A) Deeskalation bedeutet nämlich ganz selbstverständlich nicht, 
daß kriminellen Gewalttätern die Straße überlassen werden darf. 
[Adler (CDU): Das hätten Sie Herrn Pätzold 
vorher sagen müssen!] 
Und Deeskalation bedeutet ebenfalls nicht, daß man sich nicht 
auf Gewalttäter und Gewalttaten einzustellen habe, wenn diese 
zu erwarten sind. 
[Beifall bei der SPD] 
Straßenterrorismus wird weder dieser Senat noch eine der 
beiden Koalitionsparteien dulden. 
[Adler (CDU): Vielleicht wäre es besser gewesen, 
wenn Sie Senator geworden wären!] 
Deeskalation versucht nämlich, im Grunde genommen nur dieje 
nigen, die politische Ziele verfolgen, nicht unnötig zu provozie 
ren. Sie versucht, auch im Polizeieinsatz sinnfällig zu machen, 
daß dieser Staat den Protest - auch den ungerechten Protest 
- gegen die politischen Zustände in diesem Lande solange 
sogar schützt, wie er sich im Rahmen einer friedlichen Demon 
stration hält. Dazu gehört, daß sich die Staatsgewalt bei solchen 
Demonstrationen nicht als Unterdrückungsmechanismus unnö 
tig darstellt. Deeskalation versucht, diejenigen, die ein politi 
sches Anliegen friedlich verfolgen, von denen zu trennen, die 
Gewalt ausüben wollen. Wer freilich nur den demokratischen 
Rechtsstaat abschaffen möchte und wer die Gewalt der Straße 
an diese Stelle setzen möchte, den kann man nicht deeskalie- 
rend behandeln. 
[Beifall bei der SPD und der CDU - 
vereinzelter Beifall bei der AL und den REP] 
Im Gegenteil: Er wird diesen Staat desto energischer bekämp 
fen, je sozialer und je lernfähiger er sich darstellt. 
[Beifall der Abgn. Frau Dr. Laurien (CDU) 
(B) und Adler (CDU)] 
So ist ein Teil der brutalen kriminellen Energie der Straßenterrori 
sten des 1. Mai nur zu verstehen als eine Kampfansage auch 
gegen diesen Staat, aber auch gegen die Politik eines Senats, 
der auch die kritischen Bürger und die sozial Benachteiligten 
erreicht. 
Diese Straßenterroristen haben nicht nur diesen Staat insge 
samt herausgefordert, sie haben dieser Regierung mit all denen 
den Kampf erklärt, die auf diese Politik des sozialen Ausgleichs 
und des sozialen Friedens hoffen. Sie haben den Ausländern 
den Kampf angesagt, die auf eine Eingliederung in diese 
Gesellschaft hoffen und nicht in einem Getto mit Chaoten und 
Kriminellen leben wollen, weil dies ihnen keine Perspektive eröff 
net. Sie haben den Frauen den Kampf angesagt, die auf 
Gleichstellung hoffen und eine Regierung wünschen, die ihnen 
dafür bessere Voraussetzungen bietet. Sie haben den sozial 
Benachteiligten den Kampfangesagt, die darauf hoffen, durch 
soziale Hilfe nicht auf Dauer als die Ausgestoßenen einer Zwei 
drittel-Gesellschaft angesehen zu werden. Sie haben den 
Arbeitslosen den Kampf angesagt, die darauf setzen, daß 
diese Regierung neue Chancen eröffnet. Und sie haben den 
Mietern den Kampf angesagt, die auf bezahlbare Mieten hoffen 
und auf neue Wohnungen. - Diese Aufzählung könnte weiter 
fortgesetzt werden. Sie bezweckt im übrigen nicht - wie Herr 
Diepgen meinte frühere Gewalttaten zu verniedlichen oder gar 
eine heimliche Freude über früher begangene Gewalttaten zu 
signalisieren. Diese Aufzählung macht aber deutlich, warum die 
Straßenterroristen heute isoliert sind - gerade auch in Kreuz 
berg. Ermöglicht wurde diese Solidarität zum Staat, zu den Poli 
zisten auch dadurch, daß eine Politik der Deeskalation berechtig 
ten Protest nicht unterdrückte. 
[Beifall bei der SPD] 
Wir Sozialdemokraten nehmen diese Herausforderung des 
Straßenterrorismus an. Wir werden nicht Zusehen, daß diese 
Art des Terrorismus und der Kriminalität eine sozial verantwort 
liche Politik kaputtmacht und die Bürger in den Rechtsradikalis 
mus treibt. Wir werden dagegen auf zweierlei Weise vergehen. 
Einerseits werden wir die Polizei in die Lage versetzen, dem (C) 
Straßenterrorismus entgegenzutreten und Straftäter ding 
fest zu machen. 
[Zuruf von der CDU] 
Wo Konzepte vorhanden sind - und es gibt natürlich Konzepte 
- und sie sich bewährt haben, dann werden wir sie anwenden. 
Wo sie sich teilweise nicht bewährt haben, da werden wir sie 
modifizieren. Und da, wo keine Kenzepte sind, da werden wir 
neue schaffen. Wir werden aber auch - das ist der zweite Ansatz 
- die sozialen Ursachen beseitigen, die den Straßenterrorismus 
nicht schaffen, aber ihn begünstigen. Wir werden dabei auch die 
Struktur von SO 36 dort verändert müssen, wo sie Nährboden 
für diesen Straßenterror ist. Wir werden in Schulen und anderen 
sozialen Einrichtungen für die Vermittlung humanitärer Prinzi 
pien des menschlichen Umgangs miteinander werben, denn 
es kann wohl nicht wahr sein, daß Kinder sich so weit von den 
Prinzipien unserer Staatsordnung entfernen, daß sie zu einer 
Gewalt greifen, die man tatsächlich in diesen Straßenterror ein- 
ordnen muß, und die sich mehr oder weniger nahtlos diesem 
anschließen. 
[Miosga (REP): Wie alt sind denn die Kinder?] 
- Sie sind sehr jung. 
[Andres (REP): Das ist Ihre Schulpolitik, 
die Sie machen wollen I] 
- Ach, entschuldigen Sie, das ist doch nicht richtig. - In dieser 
Gesellschaft gibt es viel Gewalt und überhaupt gibt es in dieser 
Welt viel Gewalt. Daß diese Gewalt immer mit einer Gegenge 
walt des Staates zu beseitigen ist, das ist eine Mär, die in fast 
allen Ländern dieser Welt widerlegt wird. Von Korea bis nach 
Amerika sieht man, daß Gegengewalt die Gewalt allein nicht 
bremst, sondern daß dazu mehr gehört, daß dazu eine andere 
Gesellschaft gehört, die sicherlich nur sehr mühselig zu schaffen 
ist. Aber man kann erste Erfolge dadurch bekommen, daß man 
sich dieser Tatsache bewußt wird, bewußter auch ein Programm 
zur Deeskalation von Gewalt in dieser Gesellschaft allgemein 
entwirft. Dies sind wir dieser Gesellschaft, glaube ich, auch 
schuldig, 
[Beifall bei der SPD] 
die trotz alledem gerade in unserem Lande noch eine sehr huma 
nitäre ist. Ich glaube, daß wir da an gute Traditionen anknüpfen 
können. 
Wir werden natürlich auch das Verhältnis von Bürgern zur 
Polizei durch geeignete Maßnahmen dauerhaft verbessern und 
das soziale Anliegen dieses Senats direkt vor Ort nach SO 36 
tragen. Dort muß die Polizei in ihrer wirklich bürgerfreundlichsten 
Weise häufiger und intensiver in Erscheinung treten. Auch 
dieses kann man erreichen. Wir fordern alle auf, daran mitzuwir 
ken; natürlich auch unseren Koalitionspartner, von dem wir wis 
sen, daß er dies tun wird, aber selbstverständlich auch die CDU, 
die sich als eine große demokratische Partei dieser Mitwirkung 
nicht entziehen sollte und bei der wir auch sicher sind, daß, wenn 
wir die geeigneten Angebote machen - und die müssen von uns 
kommen, das wissen wir -, sie sich dann auch nicht entziehen 
wird. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Stellv. Präsidentin Dr. Schramm: Für die CDU-Fraktion 
spricht jetzt Herr Landowsky. 
Landowsky (CDU): Frau Präsidentin! Herr Kollege Lorenz, 
dieser Diskussionsbeitrag war ja seitens der Koalition ein Licht 
blick in der Debatte 
[Beifall bei der CDU] 
und führt konsequent das fort, was wir beide im Innenausschuß 
schon besprochen haben, daß es nämlich die Hauptaufgabe 
der beiden großen demokratischen Parteien ist, sich für die 
Sicherheit dieser Stadt verantwortlich zu fühlen. Das dürfen wir 
nicht den beiden radikalen Richtungen überlassen. 
[Beifall bei der CDU]
	        
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