Abgeordnetenhaus von Berlin -11. Wahlperiode
5. Sitzung vom 11. Mai 1989
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Diepgen
Alle demokratischen Kräfte - wo immer sie stehen mögen - müs
sen dieses bedauern. Sie müssen bedauern, wenn eine demo
kratisch gewählte Regierung, die Regierung dieser Stadt die
Glaubwürdigkeit verliert, für die Sicherheit der Bürger zu
sorgen. Dieses ist zutiefst zu bedauern!
[Beifall bei der CDU -
Vereinzelter Beifall bei den REP]
Herr Regierender Bürgermeister, Sie haben heute die Chance
gehabt, ein Stück Glaubwürdigkeit wieder zurückzugewinnen.
[Zuruf von der SPD: Die hat er genutzt!]
Sie haben heute allerdings nicht dazu beigetragen.
[Kem (SPD): Doch! - Zuruf von der AL; Da waren Sie
wohl schon wieder draußen!]
Ich hätte erwartet, daß Sie sich hier bei den Polizeibeamten und
den Berlinern entschuldigen
[Kem (SPD): Wie oft denn noch?]
und bei den Berlinern, die unmittelbar geschädigt worden sind.
[Beifall bei der CDU und den REP]
Das habe Sie heute nicht gemacht. Sie haben die Ziele der Auto
nomen beschrieben - richtig beschrieben. Haß gegen den
Staat,
[Kern (SPD): Wie 19871]
Feuer und Zerstörung - das sind Ihre Formulierungen, richtig!
Aber die Schlußfolgerungen aus dieser Erkenntnis,
[Gelächter bei der AL]
die Schlußfolgerungen, die Sie hätten ziehen müssen, waren
unzureichend. Es sind übrigens Erkenntnisse, die Sie schon frü
her hätten haben können und auch teilweise hatten. Aber offen
sichtlich aus Gründen der Machtgewinnung haben Sie diese
Erkenntnisse verdrängt, die Gefahren der Gewaltanwendung
durch diese Chaoten mit einem sozialen Mäntelchen verharm
lost. Auch Ihre heutige Erklärung steckt voller Widersprüche:
[Dr. Köppl (AL): Steht das so im gedruckten Text?]
Einerseits wollen Sie verhindern - ich zitiere Sie, wenn ich das
richtig in Erinnerung habe -, daß die Polizisten sich verheizt füh
len. Ich finde es schon richtig und bemerkenswert, daß Sie zuge
stehen, daß die Polizisten sich durch Ihren Senat verheiz!
fühlen.
[Beifall bei der CDU -
Vereinzelter Beifall bei den REP]
Aber andererseits wenden Sie sich immer wieder gegen einen
starken Staat Sie wenden sich dort gegen einen starken Staat,
wo er stark sein muß. Offensichtlich haben Sie, Herr Regieren
der Bürgermeister, immer noch nicht begriffen, daß ein starker
Staat
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Kessel bildet und ganze
Stadtteile abriegelt I]
für unsere Ordnung sorgen muß, daß er willens und in der Lage
sein muß, seine Bürger zu schützen, und daß der Schutz der
Schwachen eine friedensstiftende und notwendige Aufgabe des
Staates und der Polizei ist. Das alles scheinen Sie nicht begriffen
zu haben.
[Beifall bei der CDU -
Vereinzelter Beifall bei den REP -
Edel (SPD): Gehört das Verprügeln von Journalisten
auch zum starken Staat? - Weitere Zurufe von der SPD]
- Ich bin sehr zufrieden, daß Sie unruhig sind; das läßt für die
Zukunft hoffen. Bleiben Sie unruhig bei diesen Ausführungen!
[Edel (SPD): Ich habe Sie gefragt, ob das Verprügeln
von Journalisten zu Ihrem starken Staat gehört. Antworten
Sie doch mal darauf!}
Da wollen Sie, Herr Momper, - völlig richtig - das Risiko für
Brandstifter, für Steinewerfer vergrößern. Das heißt doch, daß
diese Kriminellen dem Risiko einer Strafverfolgung - nicht nur
abstrakt, sondern ganz konkret - ausgesetzt sein müssen, das (C)
heißt, daß beweissichernde Festnahmen durchgeführt werden
müssen,
[Edel (SPD): Notfalls den Falschen!]
durchgeführt werden können. Es muß dafür gesorgt werden, daß
diese Leute ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Aber
genau das leistet Ihre Sicherheitspolitik nicht, wenn Sie auf der
anderen Seite in einer völlig neuen Form der Anwendung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - das wäre eine Selbstver
ständlichkeit - mit dem Begriff der Deeskalation Polizeikräfte
offensichtlich hindern und auch weiter hindern wollen, Straftäter
zu greifen - denn das ist Grundvoraussetzung, und das ist auch
Grundvoraussetzung für jeden vernünftigen Polizeieinsatz im
Zusammenhang mit diesen Gewalttaten. Aber alles dieses fehlt!
[Beifall bei der CDU]
Das sind nur einige der Widersprüchlichkeiten aus Ihrer heuti
gen Rede. Die Liste ist lang. Politisch entlasten wollen Sie sich
mit einer Legendenbildung - mit dem Hinweis auf die Jahre
1987 und 1988.
[Zuruf der Frau Abg. Holzhüter (SPD)]
Ich will hier weder begründen noch rechtfertigen noch erläutern,
was damals Richtiges oder Falsches
[Haberkom (AL): Es geht nicht!]
durch Polizei und Polizeiführung geschah. Ich diskutiere gern mit
Ihnen auch über Fehler der Vergangenheit
[Gelächter bei der SPD und der AL]
[Beifall bei der CDU -
Demonstrativer Beifall bei der SPD]
Heute geht es um die entscheidende Frage: Wurden die rich
tigen Lehren aus den Berliner Erfahrungen gezogen?
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Warum haben Sie denn nicht
die richtigen Lehren gezogen?]
Die richtigen Lehren übrigens nicht nur aus den Berliner Erfah
rungen, sondern genauso aus den Zuständen an der Hamburger
Hafenstraße.
[Kern (SPD): Daran ist der Senat schuld?]
Wurden die richtigen Lehren gezogen? - Die Antwort - und das
ist zugleich der Vorwurf der Opposition - muß leider ein ganz
klares Nein sein. Sie haben sich geweigert, die richtigen Lehren
zu ziehen. Sie waren noch nicht einmal bereit, darüber nachzu
denken, welche Lehren zu ziehen sind.
[Kern (SPD): Welches sind denn die richtigen Lehren,
Herr Diepgen? - Klären Sie uns doch auf!]
Sie haben, Herr Momper, damals versucht, die Gewalt - das war
im Jahr 1987 die Gewalt genau derselben Typen; es war die
Gewaltanwendung derselben Typen, derselben Gruppen, die
damals uns alle belastet hat -
[Kern (SPD): „Typen“ ist die Sprache der Republikaner -
und Ihre!]
als Ausdruck des politischen Zornes Unterprivilegierter zu
deuten, und in Ihren Formulierungen im Ergebnis versucht, Ver
ständnis für diese Gewalttäter zu wecken.
[Dr. Köppl (AL): Verstehen muß man schon!]
Ich kann nur festhalten: Schon damals waren Sie, war Ihre Partei
in der Rolle des Zauberlehrlings.
[Zuruf von der SPD: Und Sie in der Rolle des
Krokodils! - Heiterkeit bei der SPD]
Aber Sie haben am 7. Mai 1987 vor diesem Abgeordnetenhaus
auch einiges gesagt, an das ich Sie ausdrücklich erinnern
möchte. Sie haben nämlich kritisiert, daß die Polizei „zahlenmä
ßig hoffnungslos unterlegen“ war.
[Kem (SPD): An bestimmten Stellen - ja!
Zuruf des Abg. Edel (SPD)]
Aber heute wollen wir bitte nicht vom Thema ablenken.