Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
4. Sitzung vom 27. April 1989
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Dr. Staffelt
(A) Obwohl diese Politik vorgab, die innere Sicherheit um nahezu
jeden Preis zu sichern, waren gewalttätige Auseinandersetzun
gen in Kreuzberg und anderswo auf der Tagesordnung,
[Wienhold (CDU): Jetzt fragt Herr Pätzold nach,
ob er nach Kreuzberg gehen kann?]
konnte sich die besonders gemeinschaftsschädliche Kriminalität
in Berlin immer weiter ausbreiten.
Der Ruf Berlins als offene, liberale und bürgerfreundliche
Stadt, in der auch Minderheiten unbehelligt leben können, wurde
in erheblichem Maße auf dem Altar einer sozial unausgewoge
nen Politik geopfert.
[Schütze (CDU): Das ist ein schlechter Witz,
was Sie erzählen! Das ist kompletter Blödsinn!]
- Wir haben häufig genug darüber diskutiert und haben uns ein
Urteil über die Zielsetzungen des ehemaligen Senators Kewenig
und seines Staatssekretärs Müllenbrock bilden können. Das kön
nen Sie uns abnehmen!
[Zuruf des Abg. Schütze (CDU)]
Und mit uns haben viele Berlinerinnen und Berliner genau diesen
Eindruck gehabt, der uns von diesen beiden Herren vermittelt
wurde.
Walter Momper hat in seiner Regierungserklärung mit unserer
vollen Unterstützung angekündigt, daß gesellschaftliche Kon
flikte politisch gelöst werden müssen und nicht auf dem Rücken
der Polizei ausgetragen werden dürfen.
[Buwitt (CDU); Und dann Pätzold noch
zum Senator machen! Das ist ein starkes Stück!]
Die Polizei muß und wird jedoch nach dem mit Verfassungsrang
ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einschreiten,
wo einzelne oder Gruppen rechtswidrig ihre Interessen mit phy
sischer oder wirtschaftlicher Macht durchsetzen wollen.
(B) [Buwitt (CDU): Das soll Ihr Obererzieher Pätzold
alles machen?]
Der Umgang mit Hausbesetzern in letzter Zeit hat unter
Beweis gestellt, daß es auch im Bereich der Innenpolitik sehr
wohl möglich ist, solche Konflikte nach sorgfältiger Abwägung
politisch zu lösen und polizeiliche Einsätze mit dem Ziel der Dee
skalation durchzuführen. Dafür danke ich Senator Pätzold aus
drücklich!
[Beifall bei der SPD -
Oh! bei der CDU - Preuss (CDU):
Ich hätte Sie gar nicht für so naiv gehalten!]
Wir Sozialdemokraten wollen die Bekämpfung der organisierten,
der Korruptions-, Wirtschafts-, Drogen- und Umweltkriminalität
wirkungsvoller als bisher betreiben.
[Buwitt (CDU): Deshalb werden die Drogenhändler
aus der U-Haft entlassen!]
Ich darf daran erinnern, daß die SPD-Fraktion über Jahre auf
diese Problematik aufmerksam gemacht und detaillierte Vor
schläge eingebracht hat. Wir werden den Senat mit aller Kraft
dabei unterstützen, daß auf diesem wichtigen Gebiet der Krimi
nalitätsbekämpfung endlich entscheidende Fortschritte erzielt
werden.
Die inzwischen bekannt gewordenen Verfehlungen und
Fehlentwicklungen beim Landesamt für Verfassungsschutz
müssen schnellstens offengeiegt und beseitigt werden.
[Zuruf von der CDU: Auch die jüngsten?]
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, daß die parlamentarische
Kontrolle verstärkt und ausgebaut wird.
[Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg. Schütze (CDU)]
Die von uns vorgeschlagene Gesetzesänderung ist ein erster
wichtiger Schritt in diese Richtung.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Die SPD will einen öffentlichen Dienst der für den Bürger da (C)
ist.
[Landowsky (CDU): Das ist klar! - Zuruf von der CDU:
Aber nur für die SPD!]
Das Handeln der Verwaftung muß den veränderten Bedingungen
einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft
Rechnung tragen und deshalb ähnlich kundendienstorientiert
sein.
[Wienhold (CDU); Deshalb schmeißen Sie die Guten raus!]
Die Vorschläge der Enquete-Kommission für eine durchgrei
fende Verwaltungsreform einschließlich ihrer Minderheitsvoten
müssen deshalb realisiert werden. Wichtigstes Ziel dabei muß
sein, die Bürgerfreundlichkeit der Verwaltung zu verbessern, die
bezirklichen Organe zu stärken und die Hauptverwaltung auf ihre
eigentlichen politischen Führungsaufgaben zu beschränken.
[Zuruf des Abg. Buwitt (CDU)]
Wir sind entschlossen, den Traditionen der Stadt folgend, ein
Höchstmaß an Liberalität und innerer Sicherheit zu gewähr
leisten. »
[Beifall bei der SPD - Buwitt (CDU):
Das Gegenteil haben Sie doch gerade
in den letzten Wochen gemacht!]
Neben der gesellschaftlichen und sozialen Stabilität hängt die
weitere politische Entwicklung unserer Stadt von weiteren Fort
schritten in der Berlin- und Deutschlandpolitik auf der Grund
lage des Vier-Mächte-Abkommens und der Verantwortung der
drei Schutzmächte ab. Die SPD-Fraktion begrüßt deshalb die
Ankündigung des Regierenden Bürgermeisters, noch in diesem
Jahr mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR zusammenzutref
fen. Die SPD erwartet, daß ein solches Gespräch weitere kon
krete Verbesserungen zum Wohle der Menschen in Ost und in
West bringen wird.
In diesem Zusammenhang nenne ich einige Beispiele: (D)
— die Intensivierung und Ausweitung der Austauschpro
gramme und Begegnungen der Menschen,
— weitere Erleichterungen im Reise- und Besucherverkehr,
— Entbürokratisierung der Visa-Erteilung,
— Gleichstellung von West-Berlinern bei 2-Tages-Aufenthal-
ten in der DDR,
— Ausweitung und Verbesserung der touristischen Möglich
keiten für West-Berliner in der DDR,
— gemeinsame Benutzung aller Grenzübergänge für alle Rei
senden und die Zulassung unterschiedlicher Übergänge bei
der Ein- und Ausreise,
— Reduzierung des Mindestumtausches und Abbau der Ein
reiseverbote,
— Verbesserung der wirtschaftlichen Kooperationen und Han
delsbeziehungen mit Berliner Unternehmen.
[Beifall bei der SPD]
Wir erwarten darüber hinaus von der DDR, daß auf dem Gebiet
der Menschenrechte und Grundfreiheiten die Übereinstimmung
mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Natio
nen und der Schlußakte von Helsinki erreicht wird.
[Beifall bei der SPD]
Eine offensive Berlin- und Deutschlandpolitik setzt, wie ich
bereits sagte, eine enge Abstimmung mit den alliierten
Schutzmächten voraus. Sie ist nur auf der Basis der engen Bin
dungen zum Bund und zur Europäischen Gemeinschaft denkbar.
Berlin stellt sich den Herausforderungen des Europäischen
Binnenmarktes. Die Stadt wird ihre Chance nutzen, wichtiger
Ort der Dienstleistung und des Dialoges zwischen Ost und
West zu sein. Jedoch kann der Europäische Binnenmarkt nicht
allein auf wirtschaftliche Aspekte reduziert werden. Das mensch
liche Miteinander, das Verständnis füreinander in Europa ist
wesentlicher Bestandteil und gewollte Zielsetzung einer solchen