Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
91. Sitzung vom 19. Januar 1989
Wieland
(A) darüber Vermerke geschrieben, und den, der sie Ihnen
besorgt hat, in keiner Weise davon abgehalten, in keiner
Weise zurückgehalten, ihm auch nicht in höflichster, in ent
ferntester Form zu verstehen gegeben, er solle das unterlas
sen, er solle nicht mehr zu Pätzold gehen. Nichts dergleichen
ist geschehen. Sie haben hier gehandelt durch Unterlassen,
HerrSenator! Von dieser Verantwortung kommen Sie nicht los.
Wir müssen heute als Ceterum censeo, auch wenn es das
fünfte, sechste oder siebente Mal ist, wieder Ihren Rücktritt
fordern.
[Beifall bei der AL -
vereinzelter Beifall bei der SPD]
Es macht die Sache auch nicht besser, daß Sie zusammen
mit Dr. Wagner und dem Staatssekretär Müllenbrock, diesem
Einschleuser oder Schleusenwärter für V-Leute, in einem
Verband der Versager gesegelt sind, daß Sie gemeinsam
sozusagen eine Troika der Nieten gebildet haben. Das macht
die Sache nicht besser, das macht die Sache schlimmer. Das
kann Sie nicht retten.
Dr. Wagner, der hier immer von allen, auch von Ihnen,
beschrieben wurde, als langgedientester Chef eines Landes
amtes, als penibler schwäbischer Beamter, gab ein Bild ab,
das vollständig unnachvollziehbar ist. Er gab das Bild ab eines
dummen Schuljungen, der vom Senator gefragt wird: Was ist
denn an einem Vorgang dran? -, der genauestens informiert
ist über diesen Vorgang, deram Vortrag noch einen Vermerk
abgezeichnet hat, in dem ihm minuziös alles geschildert wird,
der sich hinstellt, mit den Schultern zuckt und sagt: Ja, ich
werde das prüfen! - Was ist das für ein Bild eines Spitzenbe
amten? Was ist das für ein Bild eines treuewidrigen Verhaltens
gegenüber dem Senator? Und - die SPD hat das schon
ausgeführt - es ist nicht zu fassen: Nichts ist daraufhin
(B) geschehen. Er hat sich im Ausschuß - es wurde so definiert -
als Offiziersopfer angeboten. Die Alternative Liste ist so frei zu
sagen: Dieses Offiziersopfer sollte sofort angenommen wer
den. Dieser Beamte muß sofort in den Ruhestand versetzt
werden.
[Beifall bei der AL -
vereinzelter Beifall bei der SPD]
Wir wissen noch, wie disziplinarisch Frau Bürgermeisterin
mit den Friedenslehrern umgegangen ist. Wir haben nicht
vergessen, was mit dem Polizeibeamten Bruder geschehen
ist, der es sich erlaubt hatte, an einer Hausbesetzer-Demon
stration teilzunehmen. Und wir wissen, daß dieser Senator
seinen Parteifreund Eggert Schwan aus dem Amt drängen
wollte, nur weil dieser seine Meinung zum Datenschutz
geäußert hatte. Hier wird eindeutig mit zweierlei Maß gemes
sen. Hier wird eindeutig an einem Beamten festgehalten, den
wir von Anfang an für eine Fehlbesetzung hielten, überden wir
wiederholt sagen mußten, daß man hier den Bock zum Gärtner
auf dem Mistbeet des Berliner Verfassungsschutzes gemacht
hat. Ihn hat offenbar das Tollhaus in der Clayallee vollständig
geschafft. Diese Mischung-die Senator Kewenig bestreitet-
aus Irrenhaus, Kindergarten, Vorposten des kalten Krieges
und nicht zuletzt aus High-Tech-Tscheka, diese Behörde hat
ihn offenbar restlos geschafft.
Der zweite, der hier beteiligt war bzw. sehr wenig beteiligt
war nach eigenen Angaben, ist Staatssekretär Müllenbrock.
Er vertrat als Zeuge vor dem Ausschuß das Prinzip, daß nicht
sein kann, was nicht sein darf. Man hatte eine Weisung
gegeben; also konnte es gar nicht sein, also mußte Pätzold ein
Querulantsein, den kannte man sowieso, den nahm man nicht
ernst. Da ging man gar nicht hin, nachzuprüfen, ob das
vielleicht in Ansätzen stimmen könnte. Auf die Idee kam er gar
nicht. Er ist an sich das, was man den klassischen Juristen
nennt, der nach dem Motto vorgeht: Quod non est in actis, non
est in mundo - was nicht im Papier steht, gibt es nicht in der
Welt, ist nicht da -, aber er hat sich noch nicht einmal die Mühe
gemacht, in die Akten zu gucken. Er hat nichts nachgeprüft, er
hat nichts angefordert, er hat sich - nach seiner Aussage - in
dieser Affäre wie ein Bürobote verhalten, bestenfallswie der
Bürovorsteher des Herrn Senators. Dazu sagen wir: Er ist
überbezahlt!
[Beifall bei der AL -
vereinzelter Beifall bei der SPD]
Ein solcher Tiefststapler sollte Herrn Scholz nach Bonn folgen
und sehen, ob dieser Tiefstflieger dort auch für ihn eine
Verwendung hat.
[Beifall bei der AL]
Und nun zu dem im deutschen Sprachraum meistzitierten
Verfassungsrechtler des vergangenen Jahres, zu Senator
Kewenig. Er hatte in dieser Zeit wieder einmal Grundlegendes
vergessen, nämlich daß die Staatsgewalt vom Volk auszuge
hen hat und daß in einer parlamentarischen Demokratie die
Parlamentarier die Exekutive kontrollieren. Auch er hielt
schlicht für absurd, was ihm von Erich Pätzold vorgetragen
wurde. Mit der ihm eigenen unnachahmlichen Arroganz hielt
er es nicht für nötig, es selbst einmal nachzuprüfen. Er sprach
- man kann es sich förmlich von der Mimik her vorstellen - Dr.
Wagner darauf an und sagte: Sehen Sie sich mal an, was mir
Pätzold hier wieder erzählt. - Mehr zu tun, hielt er nicht für
nötig. Dem Parlament, der Opposition und der Öffentlichkeit
gegenüber hat er alles aktiv vertuscht. Er ist wiederholt auf
den Steinewerfer angesprochen worden. Er wußte seit dem 4.
Oktober, was es mit dem Steinewerfer auf sich hatte. Er hat
nichts, aber auch gar nichts an Konsequenzen gezogen. Er
hat, als hier in einer Mündlichen Anfrage am 27. Oktober nach
einem steinewerfenden Polizisten gefragt wurde, sich gera
dezu ins Fäustchen gelacht, daß er die Parlamentarier in die
Irre führen und desinformieren kann und daß die dumme
Opposition nach einer anderen Bezeichnung bei dem gleichen
Mann fragt. Er hat noch nach dem Krisensitzungswochenende
am 27. November einen Tag später im Innenausschuß zur
Desinformation ein Tonband mit einem Telschow-Interview
abgespielt und verteilt, in dem dieser Telschow klipp und klar
bestreitet, mit dem Verfassungsschutz überhaupt etwas zu tun
zu haben. Wenn es der „taz“ nicht gelungen wäre, Telschow
zum Reden zu bringen und mit ihm ein Interview zu führen, in
dem er zugab, Verfassungsschutzmitarbeiter zu sein, wüßte
niemand in dieser Stadt bis heute, ob er es nun ist oder nicht.
Die Aufklärung durch die Exekutive, durch den Senator kam
nicht. Sie mußte mit der Brechstange durchgesetzt und
erkämpft werden.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Abschließend fragt man sich bei dieser ganzen Affäre
natürlich, wo eigentlich der Mann blieb, den diese Stadt
angeblich braucht. Wir haben von ihm nichts gesehen. Sein
Gebrauchswert in dieser Affäre ging gegen null.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Aber das ist noch nicht alles. Er ließ es geschehen, daß
dieser Ausschuß bis heute nur einen kleinen Teil dessen
untersuchen konnte, was er eigentlich untersuchen wollte.
Der Ausschuß kam mit der Bespitzelung der Abgeordneten
und der Journalisten nicht weiter, weil vom Innensenator und
vom Landesamt massiv gemauert wird, die Listen nicht
übersandt werden, Aufstellungen nicht gemacht werden, trotz
angeblich gebildeter Arbeitsgruppen und angeblich vorhan
dener Überstunden und Urlaubssperre uns noch nicht einmal
ein Teilergebnis gegeben wurde. Das hat der Regierende
Bürgermeister zu verantworten.
[Beifall bei der AL und der SPD]
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