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Volume Nr. 91, 19. Januar 1989

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1988/89, 10. Wahlperiode, Band VI, 82.-92. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
91. Sitzung vom 19. Januar 1989 
(A) Präsident Rebsch eröffnet die Sitzung um 13.01 Uhr. 
Präsident Rebsch: Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 
91. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und bekunde 
unseren unbeugsamen Willen, daß die Mauer fallen und daß 
Deutschland mit seiner Hauptstadt Berlin in Frieden und 
Freiheit wiedervereinigt werden muß. 
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich darauf hinwei- 
sen, daß die AL-Fraktion eine dringliche Große Anfrage 
über Vorstellungen des Senats zur Hochschulpolitik und einen 
dringlichen Antrag einer Entschließung über Streiks und 
Proteste an den Berliner Hochschulen eingebracht hat. Außer 
dem liegt auch ein dringlicher Antrag der SPD-Fraktion 
über die Lösung der Hochschulprobleme vor. Der Ältestenrat 
empfiehlt, die Dringlichkeit anzuerkennen. Dies werden wir 
dann bei Tagesordnungspunkt 2 feststellen. 
Ich rufe auf 
lfd. Nr. 1, Drucksache 10/2770: 
1. Bericht (Zwischenbericht) des 4. Untersuchungsaus 
schusses nach Artikel 33 der Verfassung von Berlin zur 
Aufklärung von möglichen Fehlentwicklungen beim 
Landesamt für Verfassungsschutz 
Das Wort zu einem zusätzlichen mündlichen Bericht hat der 
Abgeordnete Dr. Finkelnburg. Bitte sehr, Herr Kollege, Sie 
haben das Wort. 
Dr. Finkelnburg (CDU), Berichterstatter: Herr Präsident! 
Meine Damen und Herren! 
(B) 
[Unruhe - Glocke des Präsidenten] 
Der 4. Untersuchungsausschuß hat, wie Sie alle beschlossen 
haben, eine Vielzahl von Themen zur Ermittlung. Wir haben in 
der bisherigen Zeit einen Komplex abschließen können. Das 
ist der inzwischen durch die Presse hinreichend bekannte Fall 
des Steinewerfers Telschow. Wir haben uns mit diesem Fall in 
fast 40 Stunden beschäftigt. Wir haben zwölf Zeugen gehört, 
und wir haben sechs davon vereidigt. Wir haben Ihnen einen 
Zwischenbericht vorgelegt. Dieser Zwischenbericht ist ein- 
vernehmllch festgestellt und einstimmig beschlossen worden. 
Die Fakten des Falles Telschow sind unstrittig. Wenn über 
etwas gestritten werden kann, dann mag über die Wertungen 
gestritten werden. Die Tatsachen, die wir ermittelt haben, sind 
zwischen den Fraktionen, die sich in diesem Ausschuß - das 
möchte ich mit Befriedigung feststellen - in großer Harmonie 
und Eintracht gemeinsam um die Aufklärung bemüht haben, 
unstrittig. 
Bevor ich Ihnen diesen Wirklich spannenden Fall, den 
Friedrich Dürrenmatt oder Agatha Christie nicht besser hätten 
fügen können, vortrage, habe ich das wirkliche Anliegen, 
denen zu danken - und das ist kein Lippenbekenntnis -, die 
ohne Rücksicht auf das Weihnachtsfest und ohne Rücksicht auf 
Weihnachtsferien teilweise bis abends um 23 Uhr im Büro des 
Abgeordnetenhauses gesessen haben, ich meine die Mitarbeiter 
dieses Ausschusses. 
[Beifall] 
Die haben Ungewöhnliches geleistet, ein Beispiel für Pflicht 
erfüllung, wie ich es bisher noch nie erlebt habe und auch 
nicht für möglich gehalten habe. Ich sage das mit großer 
Dankbarkeit. 
Der Bericht gliedert sich in sechs Abschnitte, die ich Ihnen 
ergebnismäßig vortragen möchte. Wir haben uns zunächst mit 
dem Lebenslauf des Steffen Telschow, also dieses Steinewer- (C) 
fers, befassen müssen. Herr Steffen Telschow ist erst im 
Februar aus der DDR abgeschoben worden. Er hat in der DDR 
ein bewegtes Leben hinter sich, 
[Kuhn (AL): Aber das erzählen sie uns nicht noch 
mall] 
das Punkte wie SED-Mitgliedschaft, die freiwillige Verpflich 
tung zur Nationalen Volksarmee, aber auch oppositionelle 
Handlungen umfaßt. Wir haben dieses Leben nicht im einzel 
nen aufklären können, weil es sich außerhalb der Einflußmög 
lichkeiten des Ausschusses abspielte. Aber wir haben doch 
eine Reihe von Ungereimtheiten festgestellt. 
[Zuruf des Abg. Härtig (AL)] 
Und wir haben es uns entgegen diesem Zwischenruf, von dem 
ich nicht weiß, ob er von der AL- oder der SPD-Fraktion kam, 
deswegen damit befaßt, weil der Abgeordnete Pätzold den 
Verdacht geäußert hatte, dieser Mann sei uns vom Osten 
geschickt worden. Diesem Verdacht mußten wir nachgehen. 
Wir haben dies nicht feststellen, aber wir haben ihn auch nicht 
entkräften können. 
Dieser Steffen Telschow bietet sich, nachdem er hier in 
Berlin gelandet war, aus eigenen Stücken dem französischen 
Geheimdienst zur Mitarbeit an. Der französische Geheim 
dienst hat für ihn keine rechte Verwendung und reicht ihn mit 
einer Empfehlung Ende August/Anfang September an das 
Landesamt für Verfassungsschutz weiter. Am 2. September 
findet das erste Treffen statt. Dieses Datum ist deswegen nicht 
ohne Bedeutung, weil wir uns in der unmittelbaren Vorphase 
der IWF-Tagung befinden und weil Steffen Telschow seinen 
Wunsch, beim Verfassungsschutz oder beim Geheimdienst 
mitzuarbeiten, mit seinem Interessen an militanten Gruppen (D) 
begründet hat. Er hat gesagt, er habe sich schon in der DDR für 
die RAF interessiert, und er habe gehofft, über den Verfas 
sungsschutz - übrigens ein für mich wenig nachvollziehbarer 
Gedanke - in diesem linksextremen, es fiel auch der Ausdruck 
„linksterroristischen Umfeld" schneller Fuß zu fassen. Er hat 
dann auf Nachfrage allerdings gesagt, das hätte er alles nur 
vorgetäuscht, auch, daß er mithelfen wolle, solche Leute 
dingfest zu machen; in Wirklichkeit sei er ein Sympathisant 
dieser militanten Gruppen, und er hätte sich, wenn er erst Fuß 
gefaßt hätte, vom Verfassungsschutz wieder sehr schnell 
gelöst. Dies zum Lebenslauf und zur Motivlage Telschows. 
Der Verfassungsschutz, der in dieser kritischen Vorphase 
vor der IWF-Tagung an Informationen aus der militanten Szene 
interessiert sein mußte, setzte ihn dort probeweise ein, wie 
wir einmütig festgestellt haben, und zwar probeweise des 
halb, weil man zunächst einmal testen wollte, ob dieser Mann 
zuverlässig ist, ob seinen Berichten zu trauen ist und ob er 
führbar ist. Er erhielt für diese Einsätze, die sich im wesentli 
chen - ich will das einmal lokalisieren - rings um den 
Mehringhof und noch ein bißchen woanders abspielten, sehr 
genaue Verhaltensregeln, insbesondere wurde er aufgefor 
dert, sich von gewalttätigen Aktionen fernzuhalten oder sich 
dabei zurückzuhalten. Dieses tat Steffen Telschow nicht, 
sondern er nahm am 27. September an einer Demonstration in 
dem Bereich Schweizer Hof - Interconti teil, wurde von einem 
Polizeibeamten beobachtet, wie er einen Stein in Richtung 
Interconti warf und wirkte nach eigener Bekundung mit, die 
Scheibe des Fahrzeugs des luxemburgischen Außenministers 
zu zertrümmern. Sie sehen, das ist alles sehr farbig angerei 
chert. Er wurde verhaftet und kam in die Gothaer Straße, ln 
diesem Augenblick, wenn ich das einmal so sagen darf, wurde 
Telschow zu einer Person der Zeitgeschichte für eine kurze 
Phase, die wahrscheinlich heute ihr Ende findet. 
in der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft offenbarte 
Telschow, daß er Verbindungen zum Verfassungsschutz habe. 
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