Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
88. Sitzung vom 9. Dezember 1988
Momper
(A) Sie haben heute morgen - deshalb freuen Sie sich so - taktisch
einen Erfolg erringen können, und das hat uns irritiert - mich
auch.
[Gelächter bei der CDU]
Die Mehrheit hat in diesem Haus versucht, die Minderheit über
den Tisch zu ziehen, und ich habe meiner Fraktion heute morgen
einiges zumuten müssen. Aber wenn der Untersuchungsaus
schuß seine Arbeit erst aufgenommen haben wird, wenn der
Untersuchungsausschuß im Januar seinen ersten Zwischen
bericht vorlegen wird, dann wird niemand mehr in dieser Stadt,
dann wird niemand mehr, Herr Landowsky, über die Finessen bei
der Einsetzung des Untersuchungsausschusses diskutieren,
sondern dann wird über die Sache, über das, was beim Landes
amt möglich, über das, was beim Landesamt zulässig ist, disku
tiert werden '
[Beifall bei der SPD]
und nicht mehr über Ihren heutigen Tageserfolg, Herr Lan
dowsky.
[Oh! bei der CDU]
Dann wird man öffentlich anerkennen, daß dieses Parlament in
der Lage war - trotz Wahlkampf -, das beim Landesamt für Ver
fassungsschutz aufzuklären, was dort aufgeklärt werden muß.
[Beifall bei der SPD -
Simon (CDU): Und was sagen Sie dazu, daß einige
Mitglieder Ihrer Fraktion das unterlassen wollen?]
Das erreicht zu haben, ist der Erfolg unserer Fraktion hier und
heute.
Nun möchte ich etwas zur Alternativen Liste sagen. Meine
Damen und Herren, Sie sind eine sehr aktionistische Fraktion -
eine Fraktion, die um der kurzfristigen Effekthascherei willen, um
des Tageserfolges willen und weil es manchmal bei ihren Wäh
lern auf eine ganz vordergründige Weise populär ist, langfristig
(B) vernünftige Ziele ignoriert. Unter dieses Beispiel von Aktionis
mus fällt auch Ihr heutiger Antrag auf Auflösung des Landes-
amtes für Verfassungsschutz.
[Beifall bei der SPD - Preuss (CDU): Da haben auch
einige von Ihnen zugestimmt!]
Sie meinen doch nicht im Ernst, daß eine Gesellschaft auf die
Spionageabwehr verzichten kann,
[Widerspruch bei der AL]
Sie meinen doch nicht im Ernst, daß zum Beispiel auf die Beob
achtung militanter rechtsradikaler Bewegungen verzichtet wer
den kann. Ich sage Ihnen; Wenn Sie Ihren Aktionismus nicht
überwinden, dann werden Sie nie verantwortungsfähig werden.
[Beifall bei der SPD]
Nun möchte ich zu den Freien Demokraten kommen. Die
F.D.P. ist selbst in der Adenauer-Zeit - zum Beispiel bei der
Spiegel-Affäre - die Partei gewesen, die die bürgerlichen Frei
heiten in unserem Land hochgehalten hat. In allen Koalitionen
- übrigens auch in denen mit uns - sind Sie es gewesen, die für
Pressefreiheit, für Liberalität und für die individuellen Freiheits
rechte des Bürgers gestanden haben. In diesen Feldern Flagge
zu zeigen, Herr Rasch, dazu hätten Sie bei dieser Koalition, bei
den Innensenatoren, reichlich Gelegenheit in den hinter uns lie
genden Jahren gehabt.
[Beifall bei der SPD]
Da waren auch Sie gefordert bei der Abriegelung Kreuzbergs,
bei den IWF-Übergrrffen und bei den Verfassungsschutzfragen.
Dabei hätten Sie liberales Profil zeigen können -
[Ohl bei der CDU]
aber Sie sind weggetaucht Beim liberalen Bürgertum in
unserer Stadt fragt man sich, ob es überhaupt noch eine
Existenzberechtigung für die F.D.P. in unserer Stadt gibt.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Simon (CDU): „Das Kapital“ schlägt wieder zu!]
Sie, Herr Rasch, werden gleich wieder die große Mäuse-
Nummer ablaufen lassen,
[Beifall und Heiterkeit bei der SPD]
und wir werden beeindruckt sein. Aber ich sage Ihnen: Ange
sichts des Versagens des Liberalismus in dieser Stadt wird
das draußen niemand interessieren.
[Beifall bei der SPD]
Und nun möchte ich zur CDU kommen
[Ristock (SPD); Die ist ja auch das Letzte!]
und zum Regierenden Bürgermeister ein Wort sagen. Als einer,
der den Niedergang sozialdemokratischer Regierungsmehrheit
miterlebt hat, sage ich Ihnen aus Erfahrung: Purer Machterhalt
macht blind und unsensibel.
[Beifall bei der SPD]
Wir waren an dem Punkt nach 35 Jahren angelangt - Sie sind
schon nach acht Jahren Regierungszeit an diesem Punkt ange
kommen.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Die Diskussionen, die wir gestern und heute hier im Parlament
gehabt haben, werden die Bürgerinnen und Bürger in Berlin nur
zu einem Teil interessieren. Was die Bürger wirklich bewegt,
das sind die Zukunftsängste, die die Bürger selbst haben. Ob
die politischen Parteien - und da sollten uns manche Ergebnisse
sehr nachdenklich machen - überhaupt in der Lage sind, auf
diese Zukunftsängste Antworten zu geben, ist die Frage. Bei den
Antworten hat keine Partei ein Monopol, nicht bei der Arbeits
losigkeit, nicht bei der Frage nach dem Robbensterben, nicht
zum Ozon-Loch. Es interessieren auch gar nicht so sehr die prak
tischen Antworten - die erwarten die Bürger von den Parteien
ohnehin. Aber um die Herausforderung zu meistern, werden wir
von der Politik den Bürgern noch einiges zumuten müssen. Zum
Beispiel werden die Bürger von der einen oder anderen lieb
gewordenen Gewohnheit Abschied nehmen müssen, wenn es
denn zum Überleben notwendig ist. D i e Politiker werden vorn
liegen, die das den Menschen auch ehrlich und offen sagen. Dar
um geht es letztendlich in der Politik! - Vielen Dank!
[Anhaltender Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: Für die CDU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Buwitt das Wort.
[Härtig (AL); Jetzt kommt die persönliche Erklärung!]
Buwitt (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am
Ende dieser Legislaturperiode ist es an uns,
[Unruhe - Glocke des Präsidenten]
erst einmal Dank auszusprechen an Frau Senatorin Schmalz-
Jacobsen und an Senator Wronski, daß wir jahrelang gut Zusam
menarbeiten konnten!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. -
Kapek (AL): Was ist mit Kewenig?]
In diesen Positionen trennen sich unsere Wege, wir wünschen
Ihnen alles Gute, und mit Ihnen, Herr Wronski, werden wir die
Zusammenarbeit ja fortsetzen können.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Ich möchte mich auch bei den ausscheidenden Abgeordneten
von CDU und F.D.P. recht herzlich bedanken für die vielen Jahre,
die wir gut Zusammenarbeiten konnten. Sie werden uns in den
kommenden Jahren fehlen!
[Wieland (AL) I Was ist mit uns?]
Herr Momper, ich glaube nicht, daß Sie den verheerenden Ein
druck verwischen konnten, der in diesen zwei Tagen für Sie ent
standen ist.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
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