Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
88. Sitzung vom 9. Dezember 1988
Pawiowski
(A) Für die Kulturflut, die über die Stadt hereinbrach, fehlte
einfach das Publikum, und das vor allem im Musik- und Thea
terbereich.
[Beifall des Abg. Wieland (AL)]
Philharmonie und Kammermusiksaal waren häufig nur halbleer
oder halbvoll - das kommt auf die Sicht des Betrachters an.
[Wieland (AL): Daun war er noch gut besetzt!
Häufig nur ein Viertel bis ein Drittel!]
Die Deutsche Oper klagte in der letzten Ausgabe ihres Journals
über viele freie Plätze, und selbst das mit Spannung erwartete
Gastspiel der Dresdener war an beiden Tagen nicht ausverkauft.
[Simon (CDU): Obwohl es hervorragend war!]
- Es war glänzend I
[Wieland (AL): Mit Ehrenkarten war er dal]
Ganz zu schweigen von den Berliner Kulturveranstaltern, die bei
soviel Angebot kaum noch ihre Zuschauernische fanden. Ange
sichts der vielen freien Plätze ist mir allerdings unverständlich,
weshalb der Senat hier nicht unkonventionell Karten an Jugend
liche, Studenten und Schüler ausgegeben hat.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Hier wurde eine Chance vertan, sich um das Publikum von
morgen zu kümmern. Hier wurde die Chance vertan, die wich
tige Basis zu verbreitern, denn kulturelle Spitzenleistungen kann
man auf Dauer nur auf der Grundlage einer soliden Breitenarbeit
erreichen.
[Beifall bei der F.D.P., der SPD und der AL -
Dr. Staffelt (SPD): Keine Mehrheit für Hassemer -
das stelle ich nur fest!]
Das Verständnis für Kunst und Kultur läßt sich nun einmal nicht
über Nacht herbeizaubem, und es ist notwendig, den Zugang zu
_ Kunst zu erleichtern und Schwellenängste abzubauen. Da muß
bereits in der Schule begonnen werden. Wäre nämlich dieses
Kulturverständnis in der Stadt bereits ausgeprägt oder aus
geprägter vorhanden gewesen, hätte es auch nicht diese über
trieben heftige Diskussion um den Skulpturenboulevard ge
geben.
[Beifall bei der F.D.P. und der AL]
Zwei Ereignisse - ein besonders negatives und ein positives -
will ich aus dem satten Programm herausgreifen. Das eine ist
das Theaterprojekt in der Volksbühne „The Forest“. Das
verschlang statt der kalkulierten 800 000 DM mehr als 4 Millio
nen DM und fuhr hierbei in fataler Weise auf der 1987 gelegten
„Mythos“-Schiene vom Anhalter Bahnhof. Originell - und das
kam für mich gar nicht unerwartet - war dagegen das Festival
in der Tempelhofer Ufa-Fabrik unter Beteiligung von vielen
freien Gruppen aus ganz Europa.
[Beifall bei der AL -
Härtig (AL): Das war meine Geburtstagsfete!]
Leider konnte sich der Senat nicht dazu durchringen, eine ähn
liche Veranstaltung - von der F.D.P. angeregt - mit der einheimi
schen Berliner Szene der freien Gruppen durchzuführen. Diese
Bescheidenheit war fehl am Platze!
Die F.D.P. hat sich - nicht zuletzt aus diesem Grunde - in der
Vergangenheit verstärkt um die sogenannte Kultur von unten
gekümmert.
[Beifall bei der F.D.P. - Rasch (F.D.P.): Richtig!]
Es galt vorrangig, Lücken unterhalb der sogenannten Hochglanz
kultur zu füllen, also Akzente in der Breitenkultur zu setzen.
[Rasch (F.D.P.): RichtigI]
Wir arbeiteten hier beharrlich und - ich glaube, ich kann das
ohne Übertreibung sagen - auch erfolgreich, und das wird sich
auch für die Kulturszene 1989 bemerkbar machen. Hier nur
einige Beispiele, die zeigen, wo die Szene im nächsten Jahr bes
sere Arbeitsbedingungen als bisher vorfindet: Das gilt, Herr Staf
felt, gerade für die Musikschulen, wo es gelungen ist, die
Wartelisten abzubauen.
[Beifall des Abg. Dr. Biewald (CDU)]
Das gilt gerade für die freien Theatergruppen. Das gilt für die
bildende Kunst und Literatur, wo aufgrund einer F.D.P.-Initiative
das Stipendienprogramm erheblich angehoben wurde.
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Das stimmt!]
Wir gaben den Anstoß für die Einrichtung einer Werkstatt für
das Sprechtheater. Wir sorgten dafür, daß für Autoreniesun-
gen in den Schulen und Jugendfreizeitheimen mehr Geld als bis
her zur Verfügung stand.
[Beifall bei der F.D.P. und des Abg. Buwitt (CDU)]
Das „Theater der Autoren“, von uns angeschoben, könnte
auch die Theaterlandschaft beleben - und das tut auch not.
[Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU]
Als treibende Kraft erwies sich die F.D.P., als es um die Ein
richtung einer Landesmusikakademie ging, also einer Institu
tion, die sich in Ergänzung der Arbeit der Musikschulen verstärkt
um die Fort- und Weiterbildung kümmert.
[Beifall bei der F.D.P.]
Was die Zukunft des Hebbel-Theaters betrifft, hat die F.D.P.
aufgezeigt, wie es möglich wäre, dieser Kreuzberger Bühne not
wendiges Profil zu geben, nämlich im Musik- und Tanzbereich.
Hier sind Perspektiven gegeben. Allerdings sind Zweifel ange
bracht, ob sich ein derart zukunftsorientiertes Programm über
haupt realisieren läßt, wenn der Intendantenposten eine eher
bescheidene Dotierung aufweist. Profilierte Bewerber aus dem
Bundesgebiet wollten sich für ein Referatsleiterhonorar nicht an
Berlin binden. Aber vielleicht überrascht uns der ausnahmsweise
in dieser Frage einmal sehr sparsame Kultursenator doch noch
angenehm. Herr Hassemer, vielleicht zögern Sie Ihre Entschei
dung, den Intendanten oder die Intendantin am 12. Dezember zu
küren, noch hinaus, denn es liegt Ihnen ja ein sehr attraktives
Angebot des Tanztheaters aus Bremen vor - ein Ensemble, das
weltweiten Ruf genießt, und das - da die SPD in Bremen es
nicht verhindern konnte, daß dieses Theater die Stadt verläßt -
nun heimatlos ist. Vielleicht ist dies eine Chance, dieses Theater
nach Berlin zu holen.
[Wieland (AL): Es langt doch schon, wenn die
Sportler eingekauft werden!]
Wichtig ist allerdings, daß sich der Staat mit Aktivitäten, die
ihm immer mehr Verantwortung und auch Macht geben, zurück
hält. Denn Aufgabe des Staates ist es vorwiegend, den Finanz
rahmen abstecken, den die Kultur dann ausfüllen muß. Schließ
lich sind wir ein Kulturstaat und wollen keine Staatskultur.
[Beifall bei der F.D.P.]
Und ein Klima von Freiheit und Toleranz ist die beste Vorausset
zung dafür, daß sich Kultur frei entfalten kann. Insofern wäre es
falsch, wenn sich der Verwaltungsapparat des Kultursenators
immer weiter aufblähte. Das gilt vor allen Dingen für das 1988
eingerichtete Werkstattprojekt Das sollte, wie Sie es
beabsichtigt und versprochen haben, Herr Senator, sanft ent
schlummern, denn eine Verlängerung dieses Projekts kann nur
zum Nachteil für die Berliner Kulturszene sein. Das gleiche gilt für
das Hebbel-Theater. Der Kultursenator sollte vielleicht darauf
verzichten, dort indirekt den Intendantenposten zu übernehmen,
denn diese enge Bindung an die Verwaltung muß zweifellos die
Kreativität lähmen.
Überhaupt war es so, daß die Berliner Theaterlandschaft
dem Kultursenator etliche Sorgen verursachte. Vieles konnte der
Schokoladenguß von E 88 nicht verdecken. Doch deutlich
wurde wieder einmal, daß die Berliner Bühnen auf viel zu großem
Fuß leben. Dieses fiel besonders bei der Freien Volksbühne auf
und beim Theater des Westens.
[Beifall der Abgn. Adler (CDU) und Bayer (SPD)]
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