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Volume Nr. 88, 9. Dezember 1988

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1988/89, 10. Wahlperiode, Band VI, 82.-92. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
88. Sitzung vom 9. Dezember 1988 
Stellv. Präsident Longolius: Gestatten Sie eine weitere 
Zwischenfrage? 
Frau Vonnekold (AL); Ja, sicher! 
Stellv. Präsident Longolius: Bitte, Herr Führer! 
Führer (CDU); Frau Kollegin! Ich habe Sie im letzten Jahr 
bereits gefragt und möchte es in diesem Jahr bei der Haushalts 
beratung wieder tun: Ist Ihnen nicht bekannt, daß man gerade 
beim Südring aufgrund der Tatsache, daß die Bahnstrecke ver 
kommen war, Untersuchungen anstellen mußte, um überhaupt 
zu klären, was man dort reparieren und instandhalten muß, und 
daß wir gerade für diese Maßnahmen das Geld im Haushalt zur 
Verfügung gestellt haben? 
Frau Vonnekold (AL): Gut! Aber auch mit diesen Unter 
suchungen hätte man ruhig ein Häppchen früher anfangen kön 
nen. Die Art der Verrottung wird doch nicht geringer, je länger 
wir die S-Bahn liegenlassen. Wir sagen immer: Es ist eine Milch 
mädchenrechnung; wenn man die S-Bahn noch 20 Jahre vor 
sich hin rotten läßt, brauchen wir über eine Modernisierung und 
Instandsetzung nicht mehr zu diskutieren. Dann können wir das 
ganze weghacken und völlig neu bauen. Aber wahrscheinlich ist 
das genau das, was Sie wollen, 
[Rasch (F.D.P.); Wir wollen doch S-Bahn fahren!] 
weil Sie eine Instandsetzung für etwas Altmodisches und 
Graues halten. Sie brauchen immer den High-Tech-Charme an 
den Projekten. 
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU); Auch auf Holzbänken, 
wenn es nach mir geht!] 
Wenn Sie mit der gleichen Energie an den Straßenverkehr 
gegangen wären, hätten wir auf den Straßen richtig nette Ver 
hältnisse. Es würden vielleicht 100 000 Autos fahren können, 
und den Rest könnten wir irgendwo stehen lassen, weil sie nir 
gends durchkämen. Um den Autoverkehr durchzusetzen, war 
jede Form der Akzeptanz da. Die Straßen wurden von jedem 
denkbaren Hindernis frei geräumt. Erst wurden die Straßenbah 
nen abgeschafft, dann wurden die Radfahrer von der Straße ge 
fegt, dann wurden die Straßen so organisiert, daß auch kein Fuß 
gänger mehr stört, indem er nur noch an der Ampel hinüber 
kommt. Das ging alles. Wir haben Autobahnen wie die Welt 
meister gebaut - Sie wollen das noch weitermachen -, 
[Rasch (F.D.P.): Nein, nein!] 
und Straßenausbau ist immer noch weiter in Ihrem Programm. 
Wenn Sie das mit ein paar kleinen Verkehrsberuhigungs- 
maßnahmen garnieren, die Sie tunlich immer dort installieren, 
wo nicht allzuviel Verkehr ist und die Beruhigung nicht weiter 
stört, ist das natürlich nicht das, was wir uns vorstellen. Ich kriege 
immer richtig träumerische Augen, wenn ich an Gemeinwesen 
wie Zürich denke. Dort haben die Kommunalbehörden ein Luft 
kataster für die Stadt entwickelt und haben dort, wo es am 
meisten stinkt, dafür gesorgt, daß der Verkehr zurückgeht, indem 
sie eine Straßenbahn durchgelegt und die Autos zurückgedrängt 
haben. Natürlich stinkt es auch in Zürich nicht in den Viilenvor- 
orten am meisten, in den kleinen Sträßchen, sondern auch dort 
stinkt es in den Hauptstraßen. In Zürich aber wird die Verkehrs 
beruhigung nicht in den Randgebieten durchgeführt, sondern es 
werden ernsthaft Hauptstraßen zurückgebaut. Davon träume ich 
für Berlin seit Jahren. Damit könnten Sie micht glücklich machen. 
[Beifall bei der AL] 
So viel zu diesem netten Anspruch: Wir wollen alles gleich 
berechtigt. Komischerweise sind bestimmte Gruppen immer 
gleichberechtigter als andere, und denen kann man ihre Privi 
legien nicht nehmen. Wenn wir heute eine vernünftige 
Verkehrspolitik für diese Stadt machen wollen, müssen wir 
ehrlich sagen: Wir wollen Privilegien beschneiden, wir wollen 
das Autofahren unattraktiver machen, und wir müssen, 
wenn wir den öffentlichen Personennahverkehr in seiner Attrak 
tivität steigern wollen, das Autofahren in dieser Stadt erschwe- (C) 
ren, sonst funktioniert das nicht. 
[Beifall bei der AL] 
Wir wissen doch gemeinsam; Selbst wenn wir das tun, wird 
die BVG immer noch große Schwierigkeiten haben; aber wenn 
wir das nicht tun, liquidieren wir unseren öffentlichen Personen 
nahverkehr und damit auch die BVG. Ein Senator, der Senator 
für Verkehr und Betriebe heißt und das riskiert - bei dem kann 
man nur dankbar sein, daß er dies in den nächsten vier Jahren 
nicht mehr zu machen hat. 
[Beifall bei der AL - Zuruf von der AL: 
Hoffentlich wird der Nachfolger besser!] 
- Ich habe die schlimmsten Befürchtungen. Was wir haben, wis 
sen wir; was aber nachkommt, kann noch grauenvoller werden. - 
Wenn die F.D.P. dieses Ressort bekäme, wäre für die Betriebe 
nur Schlimmstes zu befürchten. Nach unseren Erfahrungen hat 
die F.D.P. nur eine Vorstellung, wie man mit den öffentlichen 
Betrieben umzugehen hat: Soviel wie möglich privatisieren. 
[Rasch (F.D.P): Richtig!] 
Aber die Bereiche, die nicht besonders profitabel sind, machen 
wir dann mit Steuergeldern weiter. - 
[Simon (CDU); Die AL für die CDU - 
eine neue Koalition!] 
Wir haben bereits gesehen, wie die KPM abgetrieben wurde. 
Wenn wir uns ansehen, wie der Kollege Kammholz nach seinen 
Wünschen mit der BSR verfahren würde - er hätte die halbe 
BSR schon längst verhökert, wenn er nur dürfte. 
[Simon (CDU); Deshalb wählen Sie CDU 
beim nächsten Mall] 
Und er hat bereits gewisse Erfolge auf seinem Weg, weil große 
Teile der profitableren Müllbeseitigung nicht mehr über die BSR 
laufen. Wenn Sie uns machen ließen, _ 
(D) 
[Rasch (F.D.P): Nee, neel] 
würde die komplette Abfallbeseitigung in der Stadt wieder in 
einer Hand zusammengefaßt, damit nach einem vernünftigen 
Müllkonzept entsorgt werden könnte. 
[Zuruf von der F.D.P.; 
Dann gäbe es keinen Abfall mehr!] 
Sie sind dafür verantwortlich, daß große Teile des Berliner Son 
dermülls immer noch auf der Nordsee verbrannt werden. Das 
machen die Privaten! 
[Rasch (F.D.P.): Das stimmt ja gar nicht!] 
- Ich habe den Kollegen Kammholz angesehen, denn er ist ganz 
persönlich verantwortlich. 
[Beifall bei der AL] 
Die Frage der Abfallbeseitigung in dieser Stadt ist zentral. 
Genau wie beim Verkehrsproblem, wo von Gleichberechtigung 
gesprochen wird und davon, daß alles ganz toll gemacht wird, 
wird beim Müll gesagt; Wir haben ein Konzept, ein prima Gesetz. 
- Dem würden wir zustimmen. Das Gesetz ist hervorragend - 
wenn es nur irgend jemand umsetzen würde! Im Gesetz steht: 
Müllvermeidung hat die erste Priorität. - Gut, wenn es nur 
jemand machen würde! Im Abfallbeseitigungsprogramm und in 
den Plänen, die ich von Herrn Wronski immer bekomme, steht; 
Erste Priorität hat die Vermeidung - können wir aber nicht 
machen, da wir wegen Bundeskompetenz nicht dafür zuständig 
sind. - So viel zu dieser ersten Priorität. 
[Zuruf von der CDU] 
- Ja, dann versuchen Sie es doch einmal I Man kann zum Beispiel 
Müll dadurch vermeiden, daß man bestimmte Produkte verbietet. 
Aber solange Sie hier dafür arbeiten und rödeln, daß so interes 
sante Ansiedlungen wie Tetra-Pak in die Stadt kommen, und viel 
Geld hineinstecken, so daß sie hier sinnlose Verpackungen pro 
duzieren - so lange sollten Sie mir wirklich nicht erzählen, daß 
Sie als allererstes Müll vermeiden wollen. 
[Beifall bei der AL] 
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