Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
88. Sitzung vom 9. Dezember 1988
Präsident Rebsch
(A) Zur Beratung kommt
Einzelplan 10 - Jugend und Familie -
und der
Einzelpian 40 - Jugend und Sport -
ohne den bereite beratenen
Sportteil
hierzu:
1. Betragliche Änderungen des Hauptausschusses nach
Drucksache 10/2647
2. Änderungen des Hauptausschusses im Stellenplan und in
der Beschäftigungsplanung nach Drucksache 10/2647
3. Sachbeschlüsse des Hauptausschusses nach Drucksache
10/2646, Nm. 21 und 22
4. Änderungsantrag Nr. 2 der Fraktion der SPD
Gibt es Wortmeldungen für die SPD? - Herr Löhe!
Löhe (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
hoffe, daß dieses Thema, die Jugend in unserer Stadt und die
Familien, Sie zwar nicht ganz so fesseln wird, daß wir sie aber
genauso wichtig finden!
[Beifall bei der SPD]
Ich habe an dieser Stelle bereits mehrfach auf die verfehlte
Jugend- und Familienpolitik dieses Senats hingewiesen. Daß ich
ausgerechnet von der Jungen Union darin bestätigt werde, daß
in christdemokratischen Regierungen Jugendpolitik nicht mehr
stattfindet, das hätte ich allerdings nicht erwartet. So jedenfalls
hat sich die Jugendorganisation der CDU auf ihrem letzten Bun-
(B) deskongreß über die Jugendpolitik von Frau Süssmuth geäußert.
Ich meine, daß gerade sie eine Menge Impulse eingebracht hat.
Wie vernichtend, frage ich, wäre eigentlich das Urteil der Jungen
Union über die Politik dieses Senats ausgefallen I Wer, frage ich,
hat sich denn in den letzten Jahren über den Bereich Jugend und
Familie positiv geäußert? - Das Gegenteil ist der Fall. Der Lan
desjugendring hat sogar den Rücktritt der Senatorin gefordert.
[Beifall bei der SPD]
Die Familienverbände fühlen sich nicht richtig anerkannt und
alleingelassen mit einer Familienproblematik, für die dieser
Senat die Verantwortung trägt. Den engagierten Verbänden und
Vereinen wurde laufend vor den Kopf gestoßen, und ich denke
da nicht nur an den Kinderschutzbund, das Kinderschutzzentrum
und die Projekte „NEUhland“, „Remise“ sowie „Wildwasser“ und
die anderen. Ich denke auch an die Liga der Spitzenverbände
der freien Wohlfahrtspflege. - Frau Senatorin! Sie haben es
nicht einmal für nötig gehalten, sie an der Erarbeitung des
Berichts für eine neue Piatzgeldstruktur zu beteiligen I Wir alle
wissen doch, daß nur bei einer Entlastung der freien Träger bei
den Eigenanteilen mit einem weiteren Platzausbau zu rechnen
ist. Wer also will, daß zusätzliche Plätze geschaffen werden, der
darf nicht vor sich hinwursteln, der muß alle relevanten Gruppen
in der Stadt beteiligen.
[Beifall bei der SPD]
Meine Fraktion hatte das Problem bereits 1985 erkannt und eine
Erhöhung von 45 % auf 48 % gefordert. Dies ist allerdings, wie
viele Dinge, von diesem Senat verhindert worden. Um die Auf
zählung Ihrer Kritiker zu vervollständigen, lassen Sie mich sagen,
daß selbst die Regierungskoalition selten ein gutes Wort für Sie
hatte, Frau Schmalz-Jacobsen. Zuletzt bei der zweiten Lesung
des Haushalts im Hauptausschuß gab es böse Worte. Ich war
es, Frau Senatorin, der z. B. die geschaffenen Kindertages
stättenplätze als respektabel bezeichnet hat. Ich habe von
guten Ansätzen im Jugendfreizeitstättenbericht gesprochen und
den Lücke-Kinderbericht gelobt, bei dem wir allerdings noch auf
die administrativen Auswirkungen warten. Eine wahrlich wider
sinnige Situation. Wir werden jedenfalls auch am Ende der
Legislaturperiode noch an unserer konstruktiven Opposition
festhalten.
[Beifall bei der SPD]
Ich werde Sie nicht enttäuschen und natürlich auch etwas zur
Kita-Problematik sagen! Ich finde es schade, daß der Kollege
Ewers nicht hier ist. Es ist schon abenteuerlich, wie er seit
Wochen das sogenannte Sonderprogramm des Senats feiert.
Frau Schmalz-Jacobsen hätte doch bei Ihrem Finanzsenator
überhaupt keine Chance gehabt, wenn nicht die SPD-Fraktion
und der Kollege Baetge mit seinem Petitionsausschuß öffentlich
auf das Dilemma im Kita-Bereich hingewiesen hätten. Unser
Antrag wäre ein Beitrag zur Entschärfung der Situation gewesen.
Glauben Sie denn wirklich, meine Damen und Herren von der
Koalition, die Eltern in der Stadt merken nicht, daß dieser Senat
nur den Mund spitzt, aber nicht pfeift?
[Beifall bei der SPD]
Da Sie unseren sinnvollen Antrag abgelehnt haben, will ich
mich kurz mit dem angeblich so hilfreichen Sonderprogramm
des Senats auseinandersetzen. Frau Senatorin, Sie verkünden
vollmundig, daß bis 1992 insgesamt 2 000 zusätzliche Plätze
geschaffen werden. Vor welch einem Hintergrund beschließt
man so etwas eigentlich? Da fehlen in Neukölln z. B. rund 5 000
Plätze, und nur eine einzige zusätzliche Einrichtung mit ganzen
203 Plätzen ist für diesen Bezirk geplant. Zur Beruhigung der
Bürger in Neukölln stimmt dann in der Bezirksverordnetenver
sammlung die CDU dem Antrag der SPD zu, mit dem diese wei
tere Kindertagesstätten für den Bezirk fordert, und sie suchen
sogar gemeinsam die Bauplätze aus. Es ist eben leicht, in Neu
kölln die Hand zu heben, wenn man weiß, der CDU-Kreisvorsit-
zende wird die Sache im Abgeordnetenhaus schon wieder in
Ordnung bringen.
[Beifall bei der SPD]
Das nennen Sie nun ehrliche Politik, Herr Buwitt? In der Gene
raldebatte haben Sie dazu ja einiges gesagt! Ich nenne das tak
tieren, Herr Kollege, das ist unseriöse Bauernfängerei.
[Beifall bei der SPD]
In Reinickendorf ist die CDU nicht besser. Dort torpedierte sie
vor wenigen Tagen die Bemühungen des Stadtrates Dzembritz-
ki, eine Kita in der Kurstraße zu bauen.
In den vergangenen Jahren wurden von den Bezirken ange
meldete Projekte mit schöner Regelmäßigkeit vom Finanzsenator
aus der I-Planung gestrichen, als gäbe es keine Statistiken. Jetzt,
vor den Wahlen, versucht der Senat den Eindruck zu erwecken,
als Überschläge er sich. Wenn es aber dann doch nicht so klap
pen sollte, wie man sich das vorstellt, stehen die Schuldigen
bereits fest. Die Bezirksverwaltungen haben geschlafen, heißt es
dann. Das ist Ihr Verschiebebahnhof, den Sie installiert haben
und mit dem Sie Ihre jahrelange Unfähigkeit kaschieren. Da wird
behauptet, daß es bei der Schaffung von zusätzlichen 12 000
Plätzen in Berlin zu einer Übersorgung käme. Im gleichen Atem
zug erklärt die Senatorin im Oktober, daß der Bedarf durch eine
Steigerung der Geburtsrate um rund 10 % und einerzunehmen
den Zahl von Aus- und Übersiedlem noch wachsen wird. Allein
650 Kinder leben zur Zeit in Übergangsheimen. Weitere 600
Kinder unter 14 Jahren kommen noch bis zum Jahresende dazu.
Ich sage Ihnen, Ihre 2 000 Plätze zusätzlich sind nicht einmal ein
Tropfen auf den heißen Stein,
[Beifall bei der SPD]
denn Sie bauen damit keinen einzigen Platz der Warteliste ab,
Sie decken lediglich den gestiegenen Bedarf bis 1992. Da hilft
Ihnen auch nicht, daß Sie mit immer neuen Methoden den Bedarf
herunterrechnen bzw. seit fast zwei Jahren den Bedarf und die
Warteliste nicht mehr öffentlich gemacht haben.
Einen letzten Aspekt: Ich hätte mir gewünscht, der Senat
würde in dieser Angelegenheit mit offenen Karten spielen. Frau
Senatorin, weshalb sagen Sie den Eltern in der Stadt nicht, daß
der Senat bei diesen Sonderprogrammen keine einzige Mark zu
sätzlich ausgeben wird? Weshalb sagen Sie den Eltern nicht,
daß wegen des Baus einiger weniger Kindertagesstätten bei den
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