Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
88. Sitzung vom 9. Dezember 1988
Stellv. Präsident Longolius
(A) würde, falls ein V-Mann in der Kanzlei des Vertei
digers eingesetzt war. Der inzwischen erteilte
neue Bescheid des Verfassungsschutzes lehnt
praktisch mit derselben falschen, vom Gericht
zurückgewiesenen Begründung wiederum jede
Auskunft ab und setzt sich dabei bewußt und un
verfroren über die Rechtsauffassung des Ge
richts hinweg.
Es bedarf unbedingt der Aufklärung, wer jeweils
diese ungeheuerlichen Ausforschungen und
Rechtsbrüche veranlaßt und zu verantworten hat.
5. Unterlagen; Aussagen
Welche Unterlagen es über die vorstehend bezeich-
neten Fehlentwicklungen gibt oder gab, muß im ein
zelnen geklärt werden. Ob das gelingt, ist mehr als
fraglich, weil es als zum nachrichtendienstlichen
Handwerkszeug gehörig angesehen wird, Unter
lagen nach eigenem Ermessen zu vernichten, anzu
passen oder unzutreffenderweise als nicht oder
nicht mehr existent zu bezeichnen.
Entsprechendes gilt für persönliche Aussagen, für
die es deshalb ebenfalls keine wirkliche Verläßlich
keit gibt.
6. Täuschungsversuche
In den vorstehend beschriebenen Fällen ist es zu
Täuschungsversuchen gegenüber dem Abgeord
netenhaus, seinen Ausschüssen, einzelnen Abge
ordneten, der PKK wie gegenüber der Öffentlichkeit
gekommen.
Neue Täuschungsversuche sind jüngsten Datums.
In der letzten Sitzung des Innenausschusses fragte
(B) die SPD-Fraktion wiederum in allgemeiner, beant
wortbarer Weise danach, ob bei den Krawallen am
1. Mai 1988 auch Mitarbeiter des Verfassungsschut
zes als Straftäter dingfest gemacht worden seien.
Der Senat verweigerte erneut mit der bekannten
rechtswidrigen Begründung jede öffentliche Aus
kunft und verwies darauf, daß er Auskünfte nur in der
PKK geben wolle. Am nächsten Tag lehnte er aber in
der PKK über eine allgemeine, nichtssagende Äuße
rung hinaus jede Auskunft ab - wiederum politisch
unsinnig und gesetzwidrig.
Ein ähnliches Krawall-Ereignis führte sogar zu dem
jede Vorstellung sprengenden Vorgang, daß der Ver
fassungsschutz einen mit ihm zusammenarbeiten
den, verurteilten Gewalttäter mehrfach bei einem
PKK-Abgeordneten vorsprechen und dort mit einer
Tarnstory verkünden ließ, er. habe mit dem Verfas
sungsschutz nichts zu tun, fühle sich durch parla
mentarische Nachfragen öffentlich diffamiert und er
warte einen Vorstoß des Abgeordneten beim Innen
senator, damit dieser das parlamentarisch zurecht
rücke. Daß der Mann dabei auch auszuforschen ver
suchte, was der Abgeordnete woher weiß, rundet
diesen Musterfall des Umgangs des Verfassungs
schutzes mit einem seiner parlamentarischen Kon
trolleure ab, denen er in der PKK kraft Gesetzes zur
wahrheitsgemäßen Unterrichtung aus eigenem An
trieb verpflichtet ist.
Vielfach werden auch Auskünfte - wie mehrfach er
wähnt - rechtswidrig gegenüber Abgeordneten und
anderen Bürgern verweigert, die danach fragen, was
der Verfassungsschutz über sie sammelt. Hier rächt
sich, daß der Senat nach dem Volkszählungsurteil
des Bundesverfassungsgerichts von 1983 und trotz
ausdrücklicher Aufforderung durch das Abgeord
netenhaus pflichtwidrig noch immer keinen Entwurf
eines Gesetzes vorgelegt hat, mit dem das Verfas
sungsschutzgesetz hinsichtlich der Datenregelun
gen an die strengen Erfordernisse des Verfassungs- (C)
gerichtsurteils angeglichen wird.
Ob die Täuschungsversuche und anderes Fehlver
halten subjektiv verwertbar sind, bedarf sehr nach
denklicher Abwägung, weil es wohl nicht nur an Un-
rechtsbewußtsein fehlt, sondern eher das Bewußt
sein gepflegt wird, der schwere Dienst zum Schutz
der Verfassung fordere einem geradezu Dinge im In
teresse des Staates ab, die man sonst nicht tut und
tun dürfte, und man sei damit besonders pflichtge
treu („Lügen für Deutschland“ oder „Der Zweck hei
ligt die Mittel.“). Diese Bewußtseinsverbiegung mit
all ihren gefährlichen Folgen ist aber auf keinen Fall
hinnehmbar, sondern bedarf sofortiger grundsätz
licher Korrektur.
Anlage 2
PRESSEINFO SPD Berlin
Nr. 565
30.11.1988
Thema: Inneres
SPD: Gesetze über PKK und Verfassungsschutz
neu regeln
Walter Momperzu Gespräch mit Eberhard Diepgen
bereit
Auf einer Pressekonferenz im Rathaus Schöneberg
führte der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Berliner
SPD, Walter Momper, heute unter anderem folgendes
aus:
„Die Affäre um den Berliner Verfassungsschutz zeigt, (D)
daß ein solcher Geheimdienst dann nicht kontrollierbar
ist, wenn eine Mehrheit im Parlament im Verein mit der
Exekutive dazu nicht bereit ist und eine solche Kontrolle
blockiert. Berlin hat seit dem letzten Jahr mit dem Gesetz
über die Parlamentarische Kontrollkommission eine auf
dem Papier wirksame und weitreichende Kontrollinstanz
geschaffen, die trotz des Makels der Ausgrenzung der AL
die über die Jahre hinweg angehäuften Mißstände hätte
aufarbeiten können. Diese PKK hat jedoch die in sie
gesetzten Erwartungen enttäuscht, und die SPD hat fol
gerichtig erklärt, daß sie sich nicht als Feigenblatt für die
schlimmen Fehlentscheidungen im Landesamt für Verfas
sungsschutz hergeben will, und sie hat die PKK deshalb
verlassen. Solange die Geschäftsgrundlagefür die Arbeit
der PKK nicht völlig neu geregelt ist, wird die SPD
diesem Gremium auch nicht wieder beitreten.
Es gibt drei Gründe dafür, daß die PKK in Berlin nicht
erfolgreich arbeiten konnte und kann:
1. Der Verfassungsschutz ist in die Hände von Leuten
gefallen, die nicht die geringsten Skrupel haben,
diesen Sicherheitsdienst, den wir als demokra
tischen Verfassungsschutz für erforderlich halten, für
parteipolitische Zwecke zu mißbrauchen und zur
Überwachung praktisch des gesamten Spektrums
links von der CDU einzusetzen. Die Herren Müllen-
brock, Wagner und Bakker sind direkt verantwortlich
für diesen antidemokratischen Mißbrauch des Ver
fassungsschutzes, über den im übrigen, wie ich mich
jüngst auf einer Gewerkschaftsversammlung selbst
überzeugen konnte, viele Mitarbeiter des Dienstes
beschämt und verärgert sind. Diese leitenden Her
ren haben den Verfassungsschutz dazu gebracht,
den bekannten Parteienbericht über eine angebliche
Infiltration der SPD und der Gewerkschaften durch
Kommunisten zu schreiben. Diese Herren haben den
Umgang mit den geheimen Sonderberichten über
die SPD zu verantworten, und diese Herren sind
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