Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
87. Sitzung vom 8. Dezember 1988
Lorenz
Angekündigt war uns Herr Kewenig weiter als ein Senator
der Verwaltungsreiorm. Herausgekommen ist nichts weiter
als eine Systematisierung von Ämterpatronage - „Straffung
der Leitungsstrukturen" genannt!
[Sen Dr. Kewenig: Unverschämt!]
Als vor zwei oder drei Wochen die Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Juristen eine Veranstaltung zu diesem
Thema machte, da war ein großer Raum des Rathauses bis
zum letzten Platz besetzt. So viele Stühle gab es im Unterge
schoß des Rathauses gar nicht, wie es Beamte gab, denen Ihre
sogenannte Personalpolitik, Herr Senator, zum Halse heraus
hängt.
[Beifall bei der SPD]
Und da diskutierten nun wahrlich nicht Sozialdemokraten! Von
den drei Referenten gehörte einer der CDU und einer-soviel
ich weiß- der F. D. P. an. Während sich also der Herr Senator in
schwarzen Filz gewandete, hatten Sie für die Verwaltungsre
form, wie sie das Abgeordnetenhaus einstimmig beschlossen
hatte, kein Interesse.-Einziges Resultatseiner Bemühungen:
Auch die Koalition ist nun von den Erkenntnissen abgerückt,
die Sie - unverfilzt - noch hatten.
Wir müssen mithin feststellen, daß der Senator dort, wo er
angeblich seine Stärken hat, nicht nur nichts Vernünftiges
geleistet hat, sondern auch bereits geleistete Arbeit vernichte
te.
Kommen wir nunmehr zu den Bereichen, in denen der Herr
Regierende Bürgermeister nicht die Stärken von Herrn
Kewenig sah, nämlich im Bereich der inneren Sicherheit.
Polizeisenator sollte er nicht werden, meinte Herr Diepgen.
Hierin irrte er sich auch nicht. Herr Senator Kewenig hat
tatsächlich keine Ahnung, wie man mit der Polizei als dem
Garanten der inneren Sicherheit umgeht.
[Zuruf von der CDU]
- Das weiß nun inzwischen jeder, und deswegen hat er ja auch
vom ersten Augenblick daran gearbeitet, einen kenntnisrei
chen Polizeipräsidenten aus dem Weg zu räumen.
Wir sollten uns fragen, welchen Grund das Versagen des
Senators hatte. War die Innenpolitik - von den Ereignissen am
1. Mai bis zur IWF 88, von EbLT bis Verfassungsschutz, von
Chaotenrandale bis Journalistenbeobachtung, von Einschrän
kungen der Meinungsfreiheit bis zu Parteienberichten -
tatsächlich das Nullsummenspiel, von dem Herr Senator
Kewenig immer redet? War die Kritik wirklich vorprogram
miert und damit jede Politik, so gut sie auch sein mochte, zum
scheinbaren Mißerfolg verdammt? Oder war es vielleicht nur
die ungeschickt-arrogante Art, die diese Kritik herausforderte
und die Herr Kewenig ja immer wieder zeigt? - So reden ja
viele in der CDU! - Aber, meine Damen und Herren, machen
Sie sich bitte nichts vor: Die Innenpolitik des Senats ist in die
Sackgasse unausweichlich falscher Entscheidungen geraten,
weil ihr ein falsches Konzept zugrunde lag.
[Beifall bei der SPD]
Das Konzept basiert auf zwei Irrtümern: Erstens glaubt
man, daß man gesellschaftliche Konflikte mit polizeilichen
Mitteln lösen kann. Zweitens reduziert man in konsequenter
Folge dieses Irrtums die Träger dieser Konflikte durch die
Bank zu bloßen Kriminellen, die man mit den Mitteln des
Strafrechts schon kirre kriegt. Die wirkliche Aufgabe, die der
Polizei obliegt, gerät aus den Augen. Sie besteht darin, die
Gefahren, die dem Bürger wirklich drohen, zu bekämpfen.
Wer nun einer Chimäre nachjagt, wie der Senat das tut, der
hat natürlich Mißerfolge. Und wenn er an-die Berechtigung
dieser Chimäre glaubt, dann gibt er die Schuld den Unzuiäng- (C)
lichkeiten, von denen er meint, umgeben zu sein. Bei dem
Versuch, diese dann abzustellen, gerät er in die Gefahr, auch
unzulässige Mittel einzusetzen. Legale Wege führen meist nur
zu Zielen, die mit der Realität vereinbar sind. So geschieht es
auch hier.
Die immer martialischer ausgestatteten Eliteeinheiten wer
den zu immer härteren Einsätzen getrieben. Schließlich
verprügeln sie sogar Polizeioffiziere, ganze Stadtteile müssen
abgesperrt werden, Journalisten müssen daran gehindert
werden. Übergriffe zu dokumentieren, und Schutzpolizisten
müssen mit Mitteln des Geheimdienstes ihre zu Feinden
herabqualifizierten Bürger observieren.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß wir die Gefahr
eines Polizeistaates noch nicht sehen.
[Sen Dr. Kewenig: Da habe ich aber Glück!)
Ich sage aber ebenso deutlich, daß Sie Ihre Ziele, gesell
schaftliche Konflikte mit der Polizei lösen zu wollen, nur dann
erreichen, wenn Sie auf solch einen Polizeistaat hinsteuern.
Es gibt deutliche Schritte in diese Richtung.
[Beifall bei der SPD]
Es ist auffällig, daß die Polizei bei der Erfüllung ihrer
Schutzfunktionen von der politischen Führung fast ausschließ
lich auf diejenigen angesetzt wird, die zu.den unterprivilegier
ten Schichten gehören, und gegen jene, die die Interessen
dieser Menschen vertreten.
Der Innensenator hat mich neulich falsch zitiert und unter
anderem behauptet, er- im Gegensatz zu anderen-würde die
Polizei im Interesse aller Bürger und nicht nur für die
Interessen der politisch Mächtigen einsetzen. - Wenn es
jemals einen Senator gegeben hat, der mit seinem Staatsse
kretär die für seine Regierung politisch wichtigen und relevan
ten Schichten hofiert und die unterprivilegierten, die unter der
unsozialen Politik der CDU leiden, bekämpft, dann dieser
Senator!
[Beifall bei der SPD]
Dagegen wäre schwer zu argumentieren, wenn es tatsächlich
so wäre, daß die Gefahren für die schützenswerten Rechtsgü
ter nur von den sozial Benachteiligten ausgingen. Das ist aber
nicht der Fall; und das glaubt auch kein Interessierter mehr.
Gesundheit und Leben der Bürger werden heutzutage in
höherem Maße durch die Einleitung giftiger Stoffe in Luft,
Boden und Wasser gefährdet als durch die Autonomen. Und
die Wirtschaftskriminalität, die nach sachkundigen Schätzun
gen den Staat-allein in Berlin-fast 5 Milliarden DM jährlich
kostet, läßt die Schäden der Kleinkriminalität nachgerade als
Witz erscheinen.
Ich weiß, daß die CDU jetzt wieder behaupten wird, daß die
SPD die Sicherheit auf den Straßen nicht garantieren wolle.
Sie wissen, daß dies barer Unsinn ist. Wir meinen aber, daß
jeder Kriminalbeamte, der im Bereich der Wirtschafts- und
Umweltkriminalität eingesetzt wird, sein Gehalt zehnmal wert
ist.
[Beifall bei der SPD]
Wenn heute von 2300 Kriminalbeamten weniger als 100 im
Bereich der Umweltkriminalität arbeiten, dann ist dies ein
deutliches Zeichen dafür, mit welcher Intensität man den
Straftaten nachgeht, die die wirklich gigantischen Schäden
hervorrufen.
[Beifall bei der SPD]
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